Zu den Inhaftierungen in Belgrad

Seit 4.9.09 sitzen in dem zentralen Belgrader Knast sechs AnarchistInnen – angeklagt wurden sie wegen „internationalem Terrorismus“.

Am 4.9.2009 verhaftete die serbische Polizei in Belgrad vier AktivistInnen der „Anarhosindikalisticka inicijativa“ (Anarchosyndikalistische Gewerkschaft) ASI-IAA.
Bereits einen Tag zuvor, am 3. September, hat die Polizei zwei Hausdurchsuchungen durchgeführt. Bei einem der Betroffenen wollten sie ohne gültigen Durchsuchungsbefehl in die Wohnung eindringen. T. verweigerte dies und wurde von der Polizei „gebeten“ auf die Wache mitzukommen, um dort ein Protokoll abzugeben. Aber anstelle des angekündigten Protokolls wurde er dort festgenommen. Auch in der Wohnung eines anderen Betroffenen konnte die geplante Hausdurchsuchung nicht durchgeführt werden. Später wurde R. von der Polizei angerufen und aufgefordert auf die Polizeistation zu kommen um eine Aussage zu machen. Als er dort ankam, wurde er ebenfalls festgenommen.


Noch bedenklicher war die Verhaftung bei I. Er war nicht zuhause – dafür sein Vater. Diesen nahm die Polizei kurzerhand mit. Später informierte sie I. telefonisch, dass sein Vater erst freigelassen werde, wenn er sich selbst persönlich bei der Polizeistation meldet.
Bald war auch bekannt, dass eine weitere ASI Aktivistin(S) festgenommen wurde. Ein weiterer Betroffener (N) ist nicht Mitglied der ASI, ebenso wenig wie I.S. der erst später verhaftet wurde. Genauer Informationen zum Zeitpunkt und den Umständen seiner Verhaftung gibt es nicht, auch weil die Polizei sich widersprechende Angaben lieferte.
Als Vorwände für die Verhaftungen diente angeblich der Angriff mit einem Molotovcocktail auf die griechische Botschaft in Belgrad, bei dem es nur zu einer geringen Fassadenbeschädigung kam. Diese Aktion fand am 25. August als Zeichen der Solidarität mit dem griechischen Gefangen Thodoros Illiopoulos, der sich zu dieser Zeit im Hungerstreik befand, statt. Von der bislang unbekannte Gruppe „Crni Ilija“ tauchte ein BekennerInnenschreiben auf. Etwa eine Woche später wurden die Betroffenen verhaftet, und bereits am nächsten Tag hatten die serbischen Medien ihre Schuldigen festgemacht: am 4. September, obwohl noch kein Verhör stattgefunden hatte, tauchten in den Hauptnachrichten die Fotos der inhaftierten AktivistInnen auf – mit ihren vollen Namen.

Sie befanden sich fürs erste in Polizeigewahrsam und wurden am 4. September, nach Ablauf der 48-Stundenfrist, einer Untersuchungsrichterin vorgeführt. Diese verhängte eine Untersuchungshaft von 30 Tagen.
Am 28./29. September sollte die Staatsanwaltschaft in Belgrad die haftbegründenden Ereignisse rekonstruieren und ZeugInnenaussagen aufnehmen. Danach würden etwa 7 Tage Zeit bleiben bis zum Ablauf der 30-tägigen Untersuchungshaft. Alle Anklagen hätten in dieser Zeit vorgebracht werden müssen, oder die Gefangenen freigelassen werden. Die geplante Rekonstruktion hat aber nicht am 28./29. September stattgefunden und wurde auf 12./13. Oktober verschoben. Somit war klar, dass die Gefangenen am 4. Oktober trotz des Ablaufs der 30-tägigen U-Haft nicht freikommen würden. Und es war auch klar, dass der starke Wille besteht, den Prozess aufzuschieben.
Nach dem serbischen Gesetz können alle Verhafteten bis zu 6 Monaten ohne Anklage in den Knästen festgehalten werden. Das bedeutet, dass die U-Haft maximal 6 Monate dauern kann, und nachdem die Untersuchung geschlossen ist, muss eine Anklage stehen.
Erst am 12. Oktober wurden die Aussagen von allen Verdächtigen aufgenommen und die Rekonstruktion wurde gemacht. 8 ZeugInnen haben Aussagen abgegeben, davon auch 4 Mitglieder der ASI. Dabei wurde bekannt, dass es einen Gerichtsbeschluss gab, die Genoss/innen der Anarcho-Syndkalistischen Initiative (ASI-IAA) zu verfolgen und auszuspionieren. In diesem Zusammenhang können alle Telefonate und andere Gespräche, die der Staat aufgezeichnet hat, als Beweis in dem Verfahren verwendet werden. Bald danach kam die Polizei in der Wohnung von T. und beschlagnahmte seinen Computer. In der Folge wurden noch weitere Leute der ASI als ZeugInnen vorgeladen.
Die ganze Zeit waren die AnwältInnen der Betroffenen sehr „optimistisch“ und ziemlich sicher, dass die Gefangenen spätestens nach zwei Monaten – also am 4. November – raus kommen würden. Sie hatten auch bekanntgegeben, dass die Richterin „nett“ sei und dass sie den Fall so unauffällig und schnell wie möglich abschliessen möchte. Ein Anwalt hat auch gesagt, dass die Anzeige wegen internationalem Terrorismus für die Anwälte selbst und auch für die Richterin lächerlich sei, aber dennoch ein starker politischer Druck bestehe, den Prozess und fortzuführen. Und die Anwälte haben auch „sehr freundlich geraten“, dass solidarische Aktionen und Proteste gefährlich seien und für die Gefangene schädlich sein würden.
Und hoffentlich wissen wir schon alle wieviel den Anwälten zu glauben ist. Aber können die freundliche Ratschlage von AnwältInnen vielleicht ein Grund sein, warum ASI und andere große AktivistInnen in Serbien keine Soliarbeit geleistet haben? Waren die Anwälte wirklich so überzeugend, dass gedacht wurde, dass ihnen alles überlassen und ihnen vertraut werden könnte? Es kann auch sein, dass die Erfahrung hier eine große Rolle spielt, weil niemand von ASI schon in solchen Situation war. Oder haben sich die Menschen wirklich vor dem Staatsterror erschrecken gelassen?
Nach dem großen Medienaufschrei nach den Festnahmen wurde das weitere Schicksal der Inhaftierten in den folgenden zwei Monaten von den Medien nicht mehr weiter verfolgt. Erst als am 2. November die Untersuchungen abgeschlossen waren, wurde der Geschichte wieder vereinzelt Aufmerksamkeit geschenkt. Am nächsten Tag wurde die Information bekanntgegeben, dass die Anklage fertig sei und sie auf internationalem Terrorismus hinauslief. Daraufhin wurde die Haft automatisch eine weiteres Monat verlängert – mit der Argumentation, es bestehe doch die Möglichkeit, dass ein ähnliches „Verbrechen“ wieder passieren könnte, solange sich die AnarchistInnen in Freiheit befänden. So kann und konnte die Haft immer wieder ein weiteres Monat verlängert werden – bis der Prozess irgendwann einmal beginnt. Die Prophezeiungen der AnwältInnen wurden mit Lügen gestraft und das schlechteste Szenario ist mit der Anklage wegen Internationalem Terrorismus eingetreten.
Aber die Anklage scheint lange Wege zu haben aus. Noch immer warten die AnwaltInnen und die Gefangenen, dass ihnen die Anklage offiziell geschickt wird und somit auf den Prozessbeginn. Zudem waren mittlerweile alle AnwaltInnen in Serbien in Streik, wodurch alle Prozesse im Land zu dieser Zeit ausgesetzt waren. Ebenfalls wurden zu diesem Zeitpunkt die Gerichte mit neuem Personal besetzt, was in Serbien alle fünf Jahre stattfindet und in dieser Phase wird an den Gerichten nicht gearbeitet …. Der Prozess lässt offenbar noch länger auf sich warten.
Da die Anklage noch nicht vorliegt ist auch nicht klar, ob sie auch gegen die ASI als Organisation gerichtet ist.
Den Gefangenen ist immer noch jeder Kontakt über die Knastmauern hinaus Welt verboten. Sie dürfen noch immer keine Briefe empfangen, auch Besuche sind verboten (nur die nähersten Familienangehörigen dürfen einmal in 15 Tagen vorbeikommen). Einige der Inhaftierten befinden sich in schlechtem Gesundheitszustand: I. ist Epileptiker und hat öfters Anfälle; S. hat Asthma, verstärkt durch die prekäre Situation; T. hat psychische Probleme. Den anderen geht es gut, sofern dies in dieser beschissenen Situation überhaupt zu sagen möglich ist.
Außer von sogenannten „Intellektuellen“, die einen Brief an die Öffentlichkeit geschickt haben, gibt es innerhalb von Serbien kaum Solidarität. Nach dem Medienterror im Rahmen der Verhaftungen ist, wie bereits erwähnt, die Geschichte in Vergessenheit geraten. Es ist enttäuschend und frustrierend, dass es keine grundlegende Staats- und Knastkritik in Serbien gibt. „Intellektuelle“ (einige Uni-ProfessorInnen, sogenannte „Liberale“ und einige „Linke“) haben das System kritisiert, insofern, dass sie gleiche Rechte und gleiche Gesetze für alle gefordert hatten, aber natürlich nur im Rahmen des Rechtsstaats. Traut sich niemand weiter zu gehen?
Die massivste Kritik, die auch in dem Brief der „Intellektuellen“ zu finden ist, war der Vergleich dieses Falls mit den Ereignisse von Februar des letzten Jahres, wo während nationalistischen und faschistischen Aktivitäten die kroatische und die amerikanische Botschaft angezündet wurden; die amerikanische Botschaft wurde dabei vollständig zerstört und einer der Beteiligten ist gestorben. In der Folge wurde nur eine Person verhaftet und wegen „schwerem Akt gegen allgemeinen Sicherheit“ angeklagt – und bald wieder freigelassen. Hier zeigt sich wieder die bekannte Geschichte: Der Staat schützt und unterstützt die Faschisten und terrorisiert die „Linke“. Als zusätzliche Farce hat der Präsident von Serbien öffentlich bekanntgegeben, dass Serbien mit gleichen Maßen und gleichen Mitteln gegen Rechts- und Linksextremismus kämpfen wird.
In diesem Zusammenhang ist es mehr als fragwürdig und merkwürdig, dass der Fall der faschistischen Krawalle des letzten Jahres und der diesen Ereignissen folgenden lächerlichen Anklage gegen eine Person, nachdem es mehr als ein Jahr vergessen war, erst jetzt wieder Aufmerksamkeit der Medien bekommen hat. Nachdem am 4. November die AnarchistInnen offiziell als „internationale Terroristen“ gebrandmarkt wurden, wurde auch in den Hauptnachrichten gesagt, dass die Verhandlung gegen den bekannten serbischen Faschisten Milan Živanović angefangen hatte. Es wurde betont, dass für diese Anklage die Strafe bis zu 12 Jahre sein könnte – obwohl klar ist, dass ihm ohnehin kaum Knast bevorstehen wird. Jetzt ist es offensichtlich, dass Serbien gegen Rechtsextremismus kämpft …
Und es sieht so aus, als hätte der serbische Präsident Boris Tadić zum ersten Mal „die Wahrheit“ gesagt. In der im Norden Serbiens gelegenen Stadt Vršac wurden ein paar Jugendliche (wieder Terroristen?) – Mitglieder der lokalen ASI Gruppe sind – verhaftet und vier Stunden von der Polizei festgehalten. Sie wurden wegen Ruhe- und Öffentlichkeitsstörung angeklagt, weil sie in der Stadt die Plakate „Freiheit für die gefangenen AnarchistInnen“ aufgehängt hatten. Sehr extremistisch.
Serbien ist mit dem staatlichen Terror noch weiter gegangen. Am 24. September wurde in Belgrad von der serbischen Polizei versucht, eine Kunstausstellung zu verhindern. Es ging unter anderem um eine kirchenkritische Foto-Inszenierung von einem der Gefangenen. Die Künstlerin Biljana Cincarević wurde unter Druck gesetzt, die Eröffnung der Ausstellung „freiwillig“ abzusagen, was sie natürlich verweigerte.
Wie weit der Staat zu gehen bereit ist, ist uns allzu gut bekannt. Aber es steht die Frage, wie weit wir bereit zu gehen sind, wenn wir gegen den Staat kämpfen wollen. Es bleibt zu hoffen, dass die bisherige Repression die Leute, besonders in Serbien, wachrüttelt, massiver gegen jede Repression und Herrschaftssysteme vorzugehen und nicht zu warten bis es andere für uns in die Hand nehmen.

Liste von bisherigen soli Aktionen (Kundgebungen, Proteste, Demos…)
6.9. – Belgrade (ASI)
7.9. – Bratislava (PA)
7.9. – Warsaw (ZSP)
7.9. – Lisbon (IWA Portugal)
9.9. – Prague (squatters)
9.9. – Vienna (anarchists)
10.9. – Ljublana (Federation for Anarchist Organizing)
11.9. – Vienna (FAS)
11.9. – London (SolFed)
11.9. – Sydney (Anarcho-Syndicalist Federation)
11.9  — Warsaw (ZSP)
14.9. – Zagreb (MASA)
14.9. – Bratislava (PA)
15.9. – Moscow (KRAS)
15.9. – Kiev (Direct Action)
16.9. – Thessaloniki (AK, ESE)
16.9. – Athens (AK, ESE)
16.9. – Hamburg (VAB Altona) morning
16.9. – Hamburg (VAB Altona) afternoon
16.9. – Denver (ABC)
18.9. – Sofia (FAB, Anarcho-Resistance)
18.9. – Berlín (FAU)
18.9. – the Hague (AGA, De Vrije Bond)
25.9  –Frankfurt / Main (FAU)
25.9  –Skopje (Anarchist Front)
28.9 — London (SolFed)
28.9  –Budapest (anarchists)
1.10 –Bern (FAU)
2.10 –Madrid (CNT)
2.10 –Oslo (NSF)
3. 10 –Madrid (CNT)
4.10 –Bern (FAU)
4.10 –Petersburg
16.10 — Prague
17.10 — serbische Kultur Zentrum in Paris besetzt
22.10 –Ankara Anarchist Collective
23.10 –Frankfurt/Main
27.10 –Granada (CNT-AIT)
3.11 –New York

 

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