Tunesien am 26. Januar: Tag des Zorns

Quelle: enough is enough

Tunesien. Tunis. 26. Januar. 2021. Vertrauensvotum für die Regierungsumbildung, Belagerung des Parlaments durch Jugendliche aus proletarischen Stadtteilen und Oppositionsbewegungen, Repressionen und Verhaftungen.

Ursprünglich veröffentlicht von Tunisia Resistant. Übersetzt von Riot Turtle für Enough 14.

Am 26. Januar, einem symbolischen Datum für die Oppositionsbewegung, da es der Jahrestag des Aufstandes von 1978 ist, hat die Oppositionsbewegung, die seit über 10 Tagen die Plätze des Landes füllt, in Verbindung mit einer Plenarsitzung des Parlaments, in der über das Vertrauen für eine Regierungsumbildung abgestimmt werden soll, zu einer Demonstration aufgerufen, die sich auf den proletarischen Bezirk Ettadhamen, den Schauplatz der Unruhen in diesen Nächten, in Richtung Bardo, dem Bezirk, in dem das Parlament seinen Sitz hat, konzentriert. Gleichzeitig wurde ein Sit-in direkt vor dem Parlament abgehalten. Der Demonstrationszug, der hauptsächlich aus Jugendlichen und BewohnerLinnen der proletarischen Stadtteile Ettadhamen und Mnhila bestand, hätte sich mit dem Sit-in vor dem Parlament verbinden sollen, der überwiegend von Student:innen und andere Jugendlichen gebildet wurde, die in den zentralen Stadtteilen der Hauptstadt politisch aktiv sind.

Dieser Tag des Zorns, wie er genannt wurde, stellte den ersten bewussten Versuch dar, die beiden Momente der Anti-Regierungs-Protestbewegung dieser Tage zu verschmelzen: das massenhafte und proletarische der Peripherie (nicht nur aus der Hauptstadt, sondern aus den am meisten marginalisierten Regionen des Landes) und das der Jugend der Opposition. Militant und in Parteien und Organisationen der revolutionären und studentischen Linken verankert.

Erneut reagierte die Regierung Mechichi mit Repression: Jede einzelne Straße, die zum Platz vor dem Parlament führte, wurde abgesperrt und mit Hunderten von Polizist:innen und Dutzenden von gepanzerten Fahrzeugen besetzt, selbst die Zugänge zum Stadtteil wurden in einem Radius von zwei Kilometern abgesperrt und mit Wasserwerfern bewaffnet, selbst aus dem Parlament heraus beschwerten sich einige sozialdemokratische Abgeordnete sowie ein Liberaler aus einer Partei der Regierungskoalition über die Sitzung in einem „in eine belagerte Kaserne verwandelten Parlament“.

Aber das Innenministerium hat die meisten seiner Kräfte auf eine Kreuzung entlang der 4 km langen Autobahn, die Ettadhamen mit dem Bardo verbindet, konzentriert, die stark besetzt war, mit dem Ziel, die Demonstration nicht die Grenzen des Stadtteils passieren zu lassen und sie nicht zu den jungen Leuten vor dem Parlament durchzulassen.
Trotz der großen Beteiligung sowohl am Marsch als auch am Sit-in gelang es dem riesigen Aufgebot an Einsatzkräften, die Demonstration zu stoppen, nicht ohne heftigen Widerstand, während am Bardo die Jugendlichen, die versuchten, den Polizeikordon zu durchbrechen, um den Parlamentsplatz, 50 Meter weiter, zu erreichen, wieder einmal mit Tränengas beschossen wurden. VIDEO (Video ->Warnung Facebook Link).

Der Tag der Mobilisierung endete jedoch im Herzen der Hauptstadt: Tatsächlich erreichten einige der Demonstrant:innen aus dem Demonstrationszug und dem Sit-in in kleinen Gruppen das Zentrum, wo sie sich einige hundert Meter von der Avenue Bourguiba entfernt neu versammelten, aber auch hier wies die Anwesenheit einer großen Anzahl von Polizeikräften die jungen Leute zurück und zerstreute sie.

Am selben Tag fand in der Stadt Sbeitla, 250 km von der Hauptstadt entfernt, die Beerdigung des jungen Haykel Rahchdi, des ersten Märtyrers der Bewegung, statt, der starb, nachdem er von einem von der Polizei abgefeuerten Tränengaskanister im Gesicht getroffen wurde. Die Beerdigung wurde mit Knüppeleinsätze und Tränengas angegriffen, was die Revolte in der Stadt den ganzen Tag über und bis spät in die Nacht neu entfachte.

Im Großen und Ganzen zeigte der Tag des 26. Januar eine starke Entschlossenheit der jungen Tunesier:innen, oft Jugendliche die den Aufstand von 2010-2011 nicht miterlebt haben, die Straßen zurückzuerobern, sich nicht zurückzuziehen oder sich von der Angst für die Polizei einschüchtern zu lassen, indem sie den Willen zum Ausdruck gebracht haben, das System bzw. die Regierung und die reaktionäre Opposition zu stürzen.

Ihre Slogans voller Wut und Sehnsucht nach sozialen Fortschritten und Freiheit und, einmal mehr, für die Befreiung der 1.500 in den letzten Tagen verhafteten Jugendlichen zeigen einmal mehr, dass im postrevolutionären Tunesien die Restauration eines Polizeiregimes in Form einer parlamentarischen Demokratie im Gange ist, wer immer noch in gutem Glauben von „demokratischem Übergang“ spricht, sollte „bei den Massen zur Schule gehen“.

 

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