Quelle: schwarzerpfeil
William C. Anderson im Gespräch mit Lorenzo Kom’boa, veröffentlicht bei Black Rose Fed
Der Autor und unabhängige Autor William C. Anderson interviewt den altgedienten Organisator und ehemaligen Black Panther und politischen Gefangenen Lorenzo Kom’boa Ervin über die aktuelle politische Krise, Faschismus und die steigende Relevanz des Schwarzen Anarchismus.
Das neuartige Coronavirus, auch bekannt als COVID-19, hat die täglichen Katastrophen des Kapitalismus aufgezeigt. Der Mangel an medizinischer Versorgung, einer sicheren Umgebung, Unterkunft und Nahrung ist eine alltägliche Frage für ein wachsendes Segment von gefährdeten Menschen. Dies hat bei vielen ein spürbares Interesse am Anarchismus hervorgerufen. Das Versagen des Staates wurde durch ineffektive Lösungen, mutwillige Vernachlässigung und völlige Missachtung des menschlichen Lebens deutlich gemacht. Es legte (für einige) tiefere Fragen über die Plausibilität staatlicher Lösungen frei. Gleichzeitig wurden die Behörden aufmerksam, was sich in den zunehmenden Angriffen gegen Anarchist:innen zeigte. Präsident Trump und viele andere haben scheinbar eine Reihe von Politiken identifiziert, die sie als bedrohlich erachten. Dies ist kein Zufall und es folgt einem historischen Muster.
Wie üblich wurde dem Anarchismus seine Komplexität durch oberflächliche, vorsätzliche Fehldeutungen abgesprochen. Die Komplexität der verschiedenen anarchistischen Politiken, Prinzipien und Ansätze wurde auf die Trope des terroristischen Bombenwerfers reduziert. Auch wenn Anarchist:innen während dieser Pandemie im ganzen Land gegenseitige Hilfsprojekte organisieren und sich daran beteiligen, ist dies nicht das, was Anarchismus für viele Menschen darstellt. Inmitten einer globalen Pandemie ist die Effektivität dieser Art von Projekten gepaart mit anderen Überlebensprogrammen besonders relevant geworden. Dennoch bestand für Gegner:innen die Notwendigkeit, diese Politik von allen Seiten anzugreifen. Das wachsende Interesse am Schwarzen Anarchismus ist trotzdem ungebremst geblieben.
Der Schwarze Anarchismus wird seit langem durch die Arbeiten von oft übersehenen Denker:innen und Revolutionär:innen getragen. Einer von ihnen ist Lorenzo Kom’boa Ervin. Ich traf Lorenzo zum ersten Mal 2012 bei einem Organizing-Workshop, den ich zusammen mit verschiedenen Organisator:innen aus dem Süden leitete. Mein:e Freund:in (welche die Idee dazu hatte) lud Lorenzo ein, auf Empfehlung eines Bekannten zu sprechen. Es dauerte nicht lange, bis Lorenzo und seine Partnerin JoNina Ervin mir die Wahrheiten des Anarchismus klar machten. Es begann meine Reise, den Schwarzen Anarchismus vollständig zu umarmen.
Lorenzo hat, gelinde gesagt, ein revolutionäres Leben geführt. Nachdem er von Martin Sostre, einem Gefängnisanwalt, der einer der Architekt:innen der Gefangenenrechtsbewegung war, in den Anarchismus eingeführt wurde, musste er mehr als einmal gegen die US-Behörden kämpfen und fliehen. Er hat überall auf der Welt gelebt, während er lehrte und organisierte. Dies sind nur einige der Gründe, warum es wichtig ist, seine Einsichten über die gegenwärtige Situation zu hören, mit der wir konfrontiert sind.
Ich sprach mit Lorenzo über Black Autonomy, Faschismus und was wir brauchen, um die Krise zu bewältigen.
William C. Anderson (WCA): Was denkst du über die aktuellen Aufstände, die im ganzen Land als Reaktion auf die Polizeigewalt stattfinden?
Lorenzo Kom’boa Ervin (LKE): Ich denke, die Aufstände sind gut, aber wir sehen, dass sie als revolutionärer Aufstand Grenzen haben. Diese Einschränkungen erlauben es dem Staat, die Natur der Aufstände sowie die Themen als bloße Reformen zu unterwandern. Der Staat und die liberalen Politiker:innen und andere sind in der Lage, dies gegen die Bewegung auszunutzen. Diese Art der Kooptation findet schon seit einer Weile statt. Ich habe 60 Jahre Proteste und sogenannte „Revolten“ und Rebellionen und Aufstände in Großstädten und Kleinstädten wie Ferguson, Missouri beobachtet. Ich habe 60 Jahre beobachtet, wie sie bis 1964 mit der Harlem Rebellion in Harlem, New York, zurückreichen. Es war immer etwas, das mit der Polizei zu tun hatte. In der einen oder anderen Form töteten sie jemanden, schlugen jemanden, oder kamen einfach in die Community und taten irgendeine Art von Gräueltat. Und die Menschen reagierten mit einem Gegenkampf. Was in diesem Fall passieren durfte, ist, dass das Volk rebelliert, das Volk zurückschlägt und die Leute eine Massenfront von Protesten aufstellen. Dann behaupten die Politiker:innen und die anderen, dass sie ihre Themen oder ihren Antrieb nutzen, um dann einige liberale Reformen vorzuschlagen, die eigentlich gar nicht liberal sind.
Was wir sehen ist, dass jedes Mal der Polizeiterror oder der Rassismus schlimmer wird oder es wird einfach verlängert. Wir müssen uns also fragen: „Okay, wir haben Proteste. Wir lehnen uns auf. Aber verstehen wir nicht auch, dass es hier jetzt darum geht, die Gesellschaft als Ganzes zu verändern?“ Wir versuchen nicht nur ein „defund the police“ oder was auch immer zu bekommen. Die Regierung gibt nichts, und selbst wenn die Proteste sie unter Druck setzen, haben sie noch kein Programm vorgelegt, um weitere Gräueltaten gegen Schwarze zu verhindern. In den Vereinigten Staaten wurden tausende Menschen von der Polizei getötet und die Regierung hat den mordenden Cops Straffreiheit gewährt.
Dies ist meiner Meinung nach eine Form von Klassenkampf oder faschistischer Polizeiarbeit, und das müssen wir verstehen. Sie setzen die gewalttätigsten staatlichen Agent:innen ein, besonders in der Schwarzen Community und in armen Gemeinden. Sie benutzen sie auch, um jede politische Opposition an der Basis niederzuschlagen. Sie benutzen sie, um eine neue Art von kriminellem System zu schaffen, in dem sie Menschen kurzerhand anklagen und sie für lange Zeit mit drakonischen Strafen ins Gefängnis stecken. Und das geht schon seit geraumer Zeit so. Also, Rebellionen sind großartig. Sie sind wunderbar, es ist toll zu sehen, dass die Leute aufstehen. Die einzige Sache ist, du kennst meinen Standpunkt als langjähriger Aktivist und alles, ich versuche auf die eigentliche Essenz eines Kampfes zu schauen, nicht nur auf die Tatsache, dass er stattfindet. Die Ausrichtung des Kampfes heute ist sehr ähnlich zu dem, was ich in den letzten Phasen der Bürger:innenrechtsbewegung gesehen habe. Du siehst, wie sie Reformen gewinnen, aber nicht das System selbst verändern. Das ist der Unterschied zwischen Revolutionär:innen und Reformer:innen, wir wollen den Staat komplett zerschlagen.
WCA: Was für einen Ratschlag hast du für junge Radikale, die diese Gesellschaft verändern wollen? Welchen Rat hast du für diejenigen, die politisiert sind und nach einer Richtung suchen, wie sie die Dinge tun können, von denen du denkst, dass sie getan werden müssen?
LKE: Wir als Aktivist:innen, als Organisator:innen, müssen uns und unsere Gemeinschaften unregierbar machen. Ich weiß, dass du diesen Begriff schon einmal gehört hast. Das bedeutet, was er sagt. Wir müssen es so machen, dass wir eine neue Art von politischem System selbst erschaffen, ob es nun Duale Macht oder revolutionäre direkte Demokratie ist, wie auch immer wir es in dieser Zeit nennen wollen. Wir müssen diese Art von Bewegung schaffen, eine antifaschistische Massenbewegung auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite müssen wir in der Lage sein, massenhaft eine gemeinschaftsbasierte wirtschaftliche Überlebenstendenz aufzubauen, die auf Kooperativen im Ghetto basiert, um die Armen unterzubringen, die Städte wieder aufzubauen und sich um die materiellen Bedürfnisse der Armen zu kümmern. Wir müssen in der Lage sein, das aufzubauen. Ich bin nicht gegen einige dieser Gruppen, die jetzt entstehen, denn obwohl sie jetzt nicht radikal sind, könnten sie sich möglicherweise in etwas anderes verwandeln. Aber was passieren muss, ist, dass wir mit diesen Programmen die Masse der armen Stadtbewohner:innen erreichen müssen. Wir kämpfen nicht einfach um eine Sekte oder eine Gruppe oder ein paar Anführende zu haben. Wir kämpfen dafür, die Macht in einer neuen Gesellschaft in die Hände der Menschen zu legen. Vermutlich wissen Revolutionär:innen einige Dinge in einigen Bereichen der Organisation, die die Menschen nicht wissen. Also müssen wir sie trainieren, wir müssen sie ausrüsten, um unabhängig von dieser politischen Struktur zu sein. Ich denke auch, dass die Black Panther Party Recht hatte, wir müssen Überlebensprogramme haben und wir müssen über das hinausgehen, was sie hatten. Wir sollten versuchen, die Überlebensökonomie in dieser Periode jetzt aufzubauen.
Wir sollten aus dieser Periode herausgehen, in der es einige Leute gibt, die gegenseitige Hilfe verstehen oder praktizieren, aber die Masse das nicht tur. Wir müssen also über „nur helfen“ hinausgehen und auf eine Art andere Ökonomie hinarbeiten, eine Überlebensökonomie auf dem Weg zum vollwertigen anarchistischen Kommunismus. Vielleicht ist das der Name, den wir als Anarchist:innen kennen, aber in einigen Teilen der Welt nennen sie es eine „Solidaritätswirtschaft“, um ihnen zu helfen, den Kapitalismus zu überleben. Wie auch immer es genannt wird, wir brauchen das, damit wir nicht total abhängig vom kapitalistischen Staat sind. Ich behaupte nicht, dass ich alles weiß, aber ich weiß einige Dinge und ich weiß, dass eine Sache nicht funktionieren wird – wenn du den gleichen korrupten, rassistischen Bullen erlaubst zu behaupten, dass sie jetzt reformiert sind oder du hast die gleichen Politiker:innen, die behaupten: „Nun, das ist nicht das gleiche System, wir haben nie einen Weg gefunden, der Polizei die Mittel zu kürzen, aber wir reorganisieren sie, also habt Geduld!“ George Jackson, ein radikaler Gefangener in Kalifornien und Mitglied der Black Panther Party in den 1960er-Jahren, sagte selbst, dass solche Polizei- oder Gefängnisreformen nichts anderes sind als der weitere Aufstieg des Faschismus. Sie helfen dem Faschismus, für die Menschen akzeptabel zu werden.
Wir haben uns jahrelang damit beschäftigt, weil du siehst, wie die Polizei über die Jahre verschiedene Arten der psychologischen Kriegsführung und Pseudo-Kampagnen wie Weed and Seed oder Community Policing eingesetzt hat. Dieser Scheiß wurde entwickelt, um der Polizei die Macht über die Gemeinschaft zu geben. Es waren absichtliche Racial Profiling- und Kontrollmaßnahmen, und wir müssen verstehen, was bis zu diesem Punkt passiert ist. Dieser Scheiß mit Trump ist nur der Höhepunkt oder das Endstadium ihres Aufbaus des Faschismus. Sie haben das Gefängnissystem gebaut, das das größte der Welt ist. Das haben sie schon vor Jahren aufgebaut. Sie haben schon vor Jahren angefangen, paramilitärisches Policing einzusetzen, besonders in der Schwarzen Community. All diese Dinge, die wir sehen, diese Formen dessen, was in einem anderen Land einen faschistischen Staat ausmachen würde, müssen sie nicht erst aufbauen. Sie haben bereits Teile davon in Amerika aufgebaut.
Eins muss sich kritische Fragen stellen, wie so etwas überhaupt möglich ist, wenn eins all diese sogenannten Antirassist:innen und Antifaschist:innen hat. Aber sie tun nicht einmal etwas, um mit dieser Art von faschistischem Kampf umzugehen. Sie gehen auf die Straße und bekämpfen irgendwelche betrunkenen Nazis, irgendeine minderwertige Art von Organisierungskampagne. Wir brauchen mehr als das in dieser Periode, besonders jetzt. Wir brauchen die Fähigkeit, eine Massenbasis zu haben, nicht nur die Jugend, sondern Gemeinden, ein breites Segment der Bevölkerung. Wir brauchen diese Massenbasis, die zu einer neuen Art von Politik beiträgt, in der das Volk die Kontrolle übernimmt und nicht die Politiker:innen oder Prediger:innen oder wen auch immer all diese Leute gewählt haben. Sag der Jugend, sie soll Bewegungen von der Basis her aufbauen. Baue Widerstandsbewegungen auf und baue eine ausreichend große Bewegung auf, die nicht vom Staat kontrolliert werden kann, so dass sie, wie ich schon sagte, unregierbar ist. Und unregierbar bedeutet für die Leute in der Bewegung im Moment eine Reihe von Dingen: Es bedeutet die Art von Taktiken, die du auf der Straße anwendest, es bedeutet, wie die Gemeinschaft organisiert ist, damit sie nicht von diesen Politiker:innen abhängig ist, es bedeutet einen Massenboykott der kapitalistischen Unternehmen, eine neue Übergangsökonomie und viele andere Dinge als Teil eines Widerstands.
Eine Sache, die ich den Leuten unbedingt sagen möchte, ist, dass wir uns nicht so organisieren können, wie in den 60er-Jahren, wir können uns nicht so organisieren, wie wir uns vor 30 Jahren, vor 20 Jahren organisiert haben. Wir müssen neue politische Wege beschreiten und eine neue politische Theorie und neue politische Taktiken haben. Diese kommen nicht von einer Person oder Gruppe allein, es muss von den Menschen selbst entschieden werden.
WCA: Kannst du ein wenig darüber sprechen, warum du Black Autonomy gegründet hast, und was es ist?
LKE: Black Autonomy war etwas, das ich begonnen habe, um zu versuchen, mit der Tatsache umzugehen, dass es innerhalb der anarchistischen Bewegung nur sehr wenige Schwarze Menschen gab. Black Autonomy sollte auch eine Gruppe des Drucks gegen den institutionalisierten Rassismus innerhalb der anarchistischen Bewegung sein. Zu dieser Zeit bezogen weiße Anarchist:innen in den USA ihre politische Richtung nicht wirklich auf die Schwarze Community oder waren an Schwarzen Organisator:innen interessiert. Ehrlich gesagt, war es in dieser Zeit nicht wirklich eine echte antirassistische Bewegung. Und ich erreichte schließlich das Stadium, in dem ich sagte, was wir tun müssen, ist eine afroamerikanische/Schwarze Tendenz innerhalb der anarchistischen Bewegung zu schaffen, die stark genug ist, um für sich selbst zu stehen. Und das kann die weiße fixe Natur der anarchistischen Bewegung herausfordern. Das war auch der Grund, warum ich anfing, Anarchism and the Black Revolution zu schreiben, ein Buch, das die Widersprüche rund um Race und Kolonialismus und Unterdrückung ansprach und die Anarchist:innen aufforderte, ihr Bewusstsein zu erhöhen. Sie hatten es noch nie als Problem oder Thema betrachtet; sie dachten nie über Afrikaner:innen oder Schwarze in Amerika nach, es sei denn, sie versuchten lediglich, Schwarze für ihre Tendenzen zu rekrutieren, aber selbst das geschah nicht, als ich in den frühen 1970er-Jahren daherkam. Ich war der einzige Schwarze Anarchist in den USA und sogar in anderen Teilen der Welt für Jahre, eigentlich Jahrzehnte.
In den Vereinigten Staaten waren die Arbeits- und Lebensbedingungen der Schwarzen schon immer anders als die der weißen Bevölkerung, das geht bis zur Sklaverei zurück. Etwas, von dem Marx selbst gesagt hat, dass der „Sockel“ für die Entstehung des Kapitalismus in den USA die Schwarze Sklaverei war. Ich habe versucht, Anarchist:innen dazu zu bringen, das zu verstehen und kritischer darüber nachzudenken, aber sie wurden sehr wütend und defensiv mir gegenüber, wenn ich das sagte. Also schufen wir unser eigenes ideologisches Konstrukt und unsere eigene Organisation, die nicht perfekt war und unter wirklich harten Bedingungen entstand, aber wir haben sie geschaffen. Es war im Angesicht von Angst, Schuldgefühlen und Feindseligkeit durch weiße Anarchist:innen. Sie gaben Schwarzer Autonomie keine wirkliche Unterstützung, fingen an, uns „beschränkte Nationalist:innen“ zu nennen und dies und das.
Wir schufen das, was im Wesentlichen ein Kollektiv war, zuerst in Atlanta. Weißt du, ich und ich glaube, es waren sieben andere Community-Organisator:innen, und sieben oder acht Student:innen vom Clark College und der Morehouse University. Sie wurden zu dieser Zeit Teil dieses Kollektivs. Schließlich baute die Gruppe eine nationale Föderation mit zehn Städten und eine Gruppe in London auf.
Wir führten in Atlanta politische Diskussionen und so weiter über die Richtung, die wir einschlagen sollten. Die von der Straße sagten: „Wir müssen die Schwarze Community gegen die Zustände, die uns passieren, organisieren.“ Und wir begannen, uns gegen die Ermordung eines Bruders namens Jerry Jones durch die Polizei von Atlanta im Jahr 1995 zu organisieren, und wir begannen auch, uns gegen den Versuch der Stadtregierung zu organisieren, den armen und arbeitenden Menschen in der Stadt das Verkehrssystem wegzunehmen und es den Leuten in den Vororten zu geben. Sie wollten die Fahrpreise so sehr erhöhen, dass die Menschen, die in der Stadt lebten, nicht mehr in der Lage waren, sie zu bezahlen. Also gründeten wir die Poor People’s Survival Movement. Und daraus ging die Atlanta Transit Riders Union hervor. Wir kämpften gegen die Behörden, die das Verkehrssystem betrieben, und wir begannen, Widersprüche rund um Race, Klasse und Armut aufzuzeigen, die seit Jahren von den städtischen Behörden aufgeworfen worden waren. Das war eine erfolgreiche Kampagne. Wir waren in der Lage, die Verkehrsbeamt:innen jahrelang gegen die Umsetzung der Fahrpreiserhöhung zurückzuschlagen. Wir brachten die Reichen, die Stadtverwaltung und die Konzerne dazu, sie zu übernehmen, anstatt arme Leute oder Arbeiter:innen, die keine anderen Verkehrsoptionen hatten.
Black Autonomy selbst war eine anarchistische Organisation, aber sie verstand auch, dass ihre Politik auf der Realität der Unterdrückung Schwarzer Menschen in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt basierte. Wir organisierten uns rund um die Dinge, die wir auch heute noch passieren sehen: Masseninhaftierungen von Schwarzen Menschen und mörderische Erschießungen durch die Polizei oder faschistische Bürgerwehren. Wir haben uns in den 1990er- und auch in den 2000er-Jahren in einer Reihe von Städten organisiert. Die Anti-Klan-Demonstration 2013 in Memphis, Tennessee war die größte antifaschistische Demo in diesem Jahr mit 1500 bis 2000 Menschen. Wir hatten auch schon seit Jahren eine Reihe von Städten gegen Polizeiterrorismus organisiert.
Black Autonomy fing also auch an, sich zu organisieren und zu versuchen, eine politische Struktur mit dualer Macht zu schaffen, die versucht, Ideen zu entwickeln, die die Jugend erreichen können und zu versuchen, die Gefängnisse als Ganzes zu bekämpfen. Nicht nur gegen Richter:innen und all den anderen Müll, sondern tatsächlich gegen die Gefängnisse, die als Werkzeug zur Unterdrückung von Schwarzen und armen Menschen benutzt werden. Und leider waren wir nicht in der Lage, bei dieser Aufgabe genügend Kräfte um uns zu scharen, um eine breite Bewegung gegen die Masseninhaftierung aufzubauen. Wir haben versucht, Gruppen wie das Anarchist Black Cross dazu zu bringen, uns zu helfen, aber wir scheiterten, als sie sich mit der autoritären Linken vereinigten.
WCA: Warum denkst du, dass die aktuelle Regierung Anarchist:innen und Antifa (Antifaschist:innen) ins Visier nimmt?
LKE: Trump braucht einen Sündenbock für eine Sache. Die Antifa ist bereit, die Faschist:innen auf der Straße zu bekämpfen und das schon seit geraumer Zeit. Also kann Trump diese „Gewalt“ nutzen, um seine Politik zu rechtfertigen, und er wird mit der Zeit immer repressiver werden. Ich glaube wirklich, dass er sie vor einem Bundesgericht wegen „Hochverrats“ anklagen will. Er will die Antifa als „Staatsfeind:innen“ darstellen. Ich denke, er hätte das DOJ und seine Bundes-Schlägertruppe schon längst eingesetzt, um zu versuchen, sie zu zerschlagen, wäre da nicht die Tatsache, dass er für das Amt kandidieren musste und nicht völlig freie Hand hatte. Und ich glaube auch, dass er glaubt, und bis zu einem gewissen Grad mag das auch stimmen, dass vieles von dem, was auf der Straße passiert, von Anarchist:innen kommt, die scheinbar Massenunterstützung haben.
Die Sache ist die, dass die Regierung seit fast 100 Jahren Anarchist:innen immer als eine ernsthafte Bedrohung für Störungen angesehen hat. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Wellen der Repression gegen Anarchist:innen. Aber in den letzten Jahren haben Anarchist:innen nicht wirklich viel getan, was diese Art von Repression rechtfertigen würde. Ich bin überrascht, dass es jetzt kommt, aber in einer Hinsicht bin ich nicht überrascht, denn wir sind ein bequemer Sündenbock als die gefährlichste Tendenz der Linken. Die Kommunist:innen? Sie haben sich alle verkauft und sie kandidieren für ein Amt oder was auch immer. Und bis zu einem gewissen Grad ist das wahr, um ganz ehrlich zu sein. Ich sage nicht in jedem Fall, aber es gibt eine Menge kommunistischer Elemente, die mit dem Staat und den Kapitalist:innen im Bett sind.
Das Justizministerium und das FBI wollen die Schwarze Protestbewegung zum Sündenbock machen. Sie waren noch nicht in der Lage, es mit der Schwarzen Bewegung zu tun, obwohl sie vor einiger Zeit mit diesem so genannten Staatssicherheitsprogramm aufkamen, in dem sie Schwarze Aktivist:innen, du weißt schon, „Extremist:innen“, verfolgen wollten.
WCA: „Schwarze Identitätsextremist:innen (Black identity extremists)“.
LKE: Genau so haben sie es genannt, und sie haben versucht, es zur Einschüchterung zu nutzen, aber aus welchen Gründen auch immer, konnten sie die öffentliche Unterstützung nicht in diesem Ausmaß bekommen. Er will es mit Black Lives Matter machen. Aber ich denke, dass viele Leute jetzt davon überzeugt sind, dass Black Lives Matter nur gewaltfreie Taktiken anwendet. Das amerikanische Volk ist also nicht so sehr für die Idee, dass der Staat oder die Regierung so hinter ihnen her ist. Es kann immer noch passieren, bevor oder nachdem er aus dem Amt scheidet, wenn die Schwarze Protesttendenz radikaler wird oder die Taktik wechselt.
WCA: Ich wollte dich nach der wachsenden Popularität des Schwarzen Anarchismus fragen. Es gibt eine Menge Schwarzer Menschen, die sich mehr für Anarchismus interessieren. Viele dieser Schwarzen Menschen interessieren sich für deine Arbeit. Kannst du darüber sprechen und warum du denkst, dass das passiert? Und kannst du auch sagen, was du hoffst, dass sie von deiner Arbeit und dem Schwarzen Anarchismus mitnehmen?
LKE: Zunächst einmal war es eine Überraschung für mich, überhaupt herauszufinden, dass es neue anarchistische Tendenzen, Schwarze anarchistische Tendenzen, in der Szene gibt. Und ich habe das erst im letzten Jahr herausgefunden, eigentlich erst dieses Jahr. Aber auf der einen Seite spricht das für die Arbeit, die wir mit Black Autonomy gemacht haben. Was auch immer wir für Fehler gemacht haben und unser Versagen, vor Jahren eine Massentendenz aufzubauen, es spricht für diese Arbeit. Ich denke, wenn ich nicht Anarchism and the Black Revolution geschrieben hätte und andere Dinge getan hätte, die ich mit den Gefährt:innen, mit denen ich gearbeitet habe, getan habe, würden die Leute nicht einmal von den Ideen des Schwarzen Anarchismus wissen.
Die andere Sache ist, dass ich für eine Art von Anarchismus stehe, der ein Klassenkampf-Anarchismus ist. Meine Perspektive und mein Verständnis, das ich vor Jahren gelesen habe, ist, dass der Anarchismus aus der sozialistischen Bewegung kommt. Es ist in der Tat ein selbstverwalteter Sozialismus oder ein libertärer Sozialismus. Die Ideen des selbstverwalteten Sozialismus und all das kam von Bakunin, und die anarchistische Bewegung war Teil der ersten internationalen kommunistischen Bewegung. Meine Sache ist also, wenn die Leute eine anarchistische Perspektive oder eine Schwarze anarchistische Politik bekommen wollen, müssen sie verstehen, dass wir eine Bewegung aufbauen müssen, bei der es darum geht, für die Macht des Volkes zu kämpfen. Das ist nicht nur ein Kunstbegriff, sondern wir kämpfen nicht einfach für eine Partei oder Sekte oder irgendeine Führung. Wir kämpfen, damit die Menschen auf dem Boden, an der Basis, anfangen können, ein neues Leben für sich und eine neue Gesellschaft aufzubauen. Es gibt alle möglichen Debatten darüber, wie diese Gesellschaft aussehen könnte oder welche Übergangsphasen des Kampfes und des Aufbaus einer neuen Gesellschaft wir durchlaufen müssen.
Ich glaube schon, dass wir durch eine Übergangsphase gehen müssen. Aber an diesem Punkt, in diesem Moment, geht es um revolutionäres Community Organizing, nicht nur um „friedliche Proteste“, um an die Regierung zu appellieren. Wir müssen ein neues Denken über Widerstand und den Wiederaufbau von Gemeinschaften annehmen, damit wir vom Staat unregierbar werden. Wir müssen über Menschen nachdenken, die revolutionäre Kommunen und andere Formen unabhängiger politischer Einheiten aufbauen. Im Moment müssen wir darüber nachdenken, dass Millionen von Obdachlosen kommen, und darüber reden, wie wir ihnen einen Platz zum Leben geben. Wie gehen wir mit der Regierung um, um sie zu zwingen, diese Ressourcen zur Verfügung zu stellen und, wie kämpfen wir dagegen, dass die Regierung den Wohnraum komplett übernimmt? Wir werden uns auf breiter Front wehren müssen, in Form von Hausbesetzungen oder indem wir einfach physisch in die Gebäude eindringen. Mit der Art von Klassenkampf, die in den Vereinigten Staaten existiert, wirst du zur Waffe greifen müssen, wenn du die Gesellschaft verändern willst. Ich meine, ich sage nicht, dass eins den bewaffneten Kampf als einzige Taktik einsetzen soll, aber der revolutionäre Bürgerkrieg kommt unweigerlich. Die Regierung wird Krieg gegen dich führen, ob du nun bereit für den Krieg bist oder nicht.
Ich erkenne an, dass eine Massentendenz, die in einem bestimmten historischen Stadium Gewaltlosigkeit anwendet, die Regierung zurückdrängen kann, und das ist es, was jetzt gerade passiert. Ja, die Protestbewegung drängt die Regierung zurück, drückt sie an die Wand, aber sie würgt nicht das Leben aus ihr heraus. Was wir brauchen, ist die Art von revolutionärer Bewegung, die das Leben aus ihr herauswürgen und eine neue Gesellschaft schaffen kann. Diese Organisationen, von denen wir sprechen, werden durch kleinbürgerliches Bewusstsein, kleinbürgerliche Organisation, kleinbürgerliche Führung und so weiter erstickt, was eine bestimmte Art von Bewegung schafft. Eine bestimmte Art von Bewegung, die nicht bis zu dem Punkt gehen wird, „alles zu geben“, wie eins früher zu sagen pflegte. Ich glaube wirklich, dass sie in ihrer Fähigkeit oder ihrer Bereitschaft, den Staat zu stürzen oder auch nur darüber zu reden, Grenzen eingebaut haben. Das Lustige ist, dass wir weiterhin über solche Dinge nachdenken müssen, den Staat zu stürzen und nicht irgendwelche Reformen zu bekommen. Ich werde dir nicht sagen, dass du niemals Reformen bekommen solltest, wenn du es im unmittelbaren Sinne kannst. Aber in diesem Stadium sind wir schon zu weit gegangen, um uns immer wieder mit diesem Reformismus zufrieden zu geben, besonders in diesem Moment. Dieser Moment ist ein revolutionärer Moment und andere Dinge sind passiert, um ihn so zu machen, nicht nur die Proteste.
Das System selbst wackelt wegen des COVID-Virus und allem, was mit der Wall Street passiert. All diese Dinge passieren und es bringt den Staat an den schwächsten Punkt, an dem er je war. Selbst Trump oder wer auch immer den Staat übernimmt und versucht, einen faschistischen Staat zu schaffen, tut dies nicht aus einer Position der Stärke heraus. Sie versuchen nicht, eine Diktatur aus einer Position der Stärke heraus zu errichten, sondern aus einer Position der Schwäche und der Angst heraus. Deshalb habe ich gesagt, dass wir eine alternative, radikale Kraft aufbauen müssen, damit sie dann auf eine Art und Weise arbeiten kann, wie es noch nie zuvor der Fall war, um das gesamte System zu stürzen. Nicht nur die Demokrat:innen oder die Republikaner:innen – du weißt, dass die Herrschenden diese Art von Mist wollen. Sie wollen es, weil es trivial ist. Es bedeutet überhaupt nichts. Im Endeffekt will Trump vielleicht eine persönliche Diktatur. Aber der andere Typ [Biden], er ist ein Agent des Staates und er ist ein Unterdrücker in seinem eigenen Recht. Er hat dazu beigetragen, das Gefängnissystem an den Punkt zu bringen, an dem es jetzt ist. Seine Kandidatin, Kamala Harris, ist genauso eine etablierte Demokratin wie er. Sie ist genauso dafür, die Polizei und die Regierung gegen die Armen einzusetzen. Wir müssen in der Lage sein, Massen von Menschen über diese Dinge aufzuklären, während wir eine Alternative schaffen, damit sie nicht getäuscht werden. Wir brauchen eine neue Gesellschaft und eine neue Welt, nicht noch mehr Kapitalismus.