Quelle: enough-is-enough14
Zwei parallele Geschichten eskalieren in diesen Tagen in den griechischen Nachrichten. Beide sind von historischer Bedeutung, aber mit sehr unterschiedlichem Umfang der Berichterstattung. Es sind Geschichten von zwei sehr unterschiedlichen Männern, die außer ihrem Vornamen keine Gemeinsamkeiten haben. Es handelt sich um Dimitris Lignadis und Dimitris Koufontinas, und ihre Lebenswege, die schon durch das schiere Timing miteinander verbunden sind, könnten sich am Ende gegenseitig beeinflussen, und zwar auf die übelste Art und Weise. Ersterer war bis vor zwei Wochen Direktor des Nationaltheaters und ist seit drei Tagen (20./21.2.) unter mehrfachen Anschuldigungen der Vergewaltigung, Pädophilie und des Kindesmissbrauchs verhaftet. Dies ist die Geschichte, die den Nachrichtenkreislauf beherrscht. Letzterer ist ein ehemaliges führendes Mitglied, Hauptverantwortlicher Scharfrichter und wichtigster politischer Verteidiger der Stadtguerillagruppe 17. November. Er befindet sich seit dem 8. Januar im Hungerstreik und seit gestern im Durststreik. Über diese Geschichte wird nur sporadisch berichtet. Für den Moment… Einerseits sind beide irgendwie mit dem Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis und seiner Familie verbunden. Und auf der anderen Seite sind sie mit der korrupten Arbeitsweise des griechischen Justizsystems verbunden.
Aber zunächst einige Hintergrundinformationen für das internationale Publikum.
Ursprünglich veröffentlicht von Freedom News. Geschrieben von Alexis Daloumis. Übersetzt von Riot Turtle.
Meer, Inseln und vererbbare Herrschaft
Es gibt eine Besonderheit in der griechischen Mainstream-Politik – und auch im griechischen Kapitalismus, was das betrifft. Griechenland hat eine starke Tradition von politischen Dynastien. Wir bezeichnen diese oft als „tzakia“, was „Feuerstellen“ bedeutet und eine reiche, mächtige Familie impliziert. Seit der Befreiung von der Nazi-Besatzung am 12. Oktober 1944 gibt es vor allem drei solcher politischer „Clans“, deren Mitglieder:innen immer wieder in den Listen der Premierminister:innen, Minister:innen, Abgeordnet:innen und Bürgermeister:innen von Athen auftauchen. Es sind die Familie Papandreou, die Familie Karamanlis und die Familie Mitsotakis. Der jüngste „Kamin“ dieser drei ist der des derzeitigen Premierministers. Seit den 90er Jahren hatte die kretische Dynastie der Mitsotakis zwei Premierminister, zwei Bürgermeister von Athen und mehrere Minister- und Abgeordnetenposten, vier Personen aus drei Generationen. Und das sind nur die politischen Positionen. Versucht euch eine Sekunde lang vorzustellen, welche Arroganz aus einer solch obszönen Menge an konsolidierten Privilegien resultiert. Derzeit ist Kyriakos Mitsotakis der Premierminister und sein Neffe Kostas Mpakogiannis ist der Bürgermeister von Athen, beide wurden für die rechtsgerichtete Partei Nea Dimokratia (Neue Demokratie) gewählt.
Wie bereits erwähnt, gilt der griechische Kapitalismus auch als etwas speziell. Er wird seit langem (meist von den Griech:innen selbst, aber nicht nur) als der „staatlichste“ der westlichen Welt bezeichnet. Amüsanter Weise läßt sich das griechische Wort „kratikodietos“ wörtlich mit „auf Staatsdiät“ übersetzen. Dies bezieht sich unter anderem auf die uralte, bis in die Zeit des Osmanischen Reiches zurückreichende Tradition, dass die politische Klasse mit reichen und mächtigen Familien, Unternehmen und Interessengruppen ein ko-abhängiges Verhältnis der Korruption eingeht.
Offensichtlich ist nichts davon ausschließlich in Griechenland anzutreffen, es liegt in der Tat in der Natur unseres globalen Systems, aber vielleicht wird es in Griechenland auf eine so unverschämte und unverfrorene Art und Weise gemacht, dass es für das Auge des westlichen Publikums etwas „ungewohnt“ erscheinen kann. Was jedoch für Griechenland ziemlich charakteristisch ist, ist, dass der mächtigste Teil des Kapitals das Reedereikapital ist. Viele griechische Reeder:innen sind in Listen der reichsten Menschen der Welt aufgeführt. Während viele von ihnen eher zur globalen Elite gehören und sich nicht allzu sehr um ihr kleines Herkunftsland scheren, üben bestimmte Reederfamilien enorme Macht über die griechische Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aus.
Nun wollen wir einige der anderen Hauptakteur:innen in unserer Hauptgeschichte benennen.
Vangelis Marinakis: Geboren und aufgewachsen in Piräus, dem größten internationalen Hafen Griechenlands, erbte er ein riesiges Vermögen von seinem Vater, einem kretischen Reeder und Politiker. Neben dem Gründer und Besitzer der Capital Maritime & Trading Corp. ist er auch Besitzer und (technisch gesehen ehemaliger) Präsident des Olympiakos F.C. und Besitzer von Alter Ego Media, einem riesigen Medienkonglomerat. Er wurde in großen Korruptions- und Kriminalfällen angeklagt, in Bezug auf die Absprache von Spielen in der griechischen Fußballmeisterschaft, aber am berüchtigtsten im zwielichtigen Fall der Noor1, einem Schiff mit 2,1 Tonnen Heroin. Ein bemerkenswert dubioser Fall, bei dem 9 Zeug:innen gestorben sind, 3 gerichtliche Ermittler sich geweigert haben, den Fall zu übernehmen und weitere 3 aufgegeben haben. Vor allem Kaliopi Mantaka, von der man annahm, dass sie in dem Fall am weitesten fortgeschritten sei, kündigte plötzlich ihren Job ganz und zog mit ihrer ganzen Familie in die USA! Schließlich ist Vangelis Marinakis, der schändlicherweise Miete und Ausstattungskosten für die Büros der Nea Dimokratia bezahlt hat, auch der Trauzeuge (bei ihrer Hochzeit) von Ntora Mpakogianni, einer Abgeordneten der Nea Dimokratia, Schwester des Premierministers und Mutter des Bürgermeisters von Athen, und gilt weithin als einer der eifrigsten Unterstützer:innen und Sponsor:innen der derzeitigen Regierung und der Regierungspartei.
Giannis Alafouzos: Auf der Insel Santorin in eine Reederfamilie hineingeboren, erbte auch er von seinem reisefreudigen Vater ein großes Vermögen. Er übernahm das Familienunternehmen Glafki (Hellas) Maritime Company und gründete die Ermis Maritime Corporation. Er verwaltet den Panathinaikos FC als dessen Hauptaktionär und ist Präsident der SKAI Mediengruppe und der Zeitung Kathimerini. Vielleicht habt ihr bis jetzt ein kleines Muster erkannt. Er wurde 1992 wegen Benzinschmuggels angeklagt und schließlich freigesprochen. Im Jahr 2001 wurde er wegen Schulden zu 5 Jahren Haft verurteilt, und gewann später die Berufung. Im Jahr 2016 ordnete die Staatsanwaltschaft für Finanzkriminalität das Einfrieren seines gesamten Vermögens in einer Steuerhinterziehungsaffäre von über 50 Millionen Euro an. Alafouzos zahlte später und erhielt die Kontrolle über sein Vermögen zurück. SKAI TV könnte man als die FOX News Griechenlands bezeichnen, während Kathimerini versucht, ein seriöseres, bürgerliches Profil zu wahren. Beide unterstützen jedoch inbrünstig die rechte (und gelegentlich rechtsextreme) Politik, wobei sie sich nicht einmal ansatzweise um Objektivität bemühen.
Vardis Vardinogiannis und Familie: Die Vardinogiannis-Familie ist eine der mächtigsten des Landes. Ihre Geschäftsgruppen und Konglomerate bilden ein kolossales Netzwerk von Macht und Reichtum, das Schifffahrt, Erdöl (Raffinerie und Vertrieb), Immobilien & Hotels, Banken, Medien und andere Branchen umfasst. Vardis, der als Anführer des Clans gilt und den Großteil der Familienunternehmen leitet, wurde 1990 von einer Gruppe des 17. November angegriffen, die drei RPG-Raketen auf sein Auto abfeuerte. Mindestens eine traf das Ziel, aber der Tycoon überlebte aufgrund der bemerkenswert robusten Panzerung des Autos. Die kretische Familie hat eine Tradition der zentristischen Politik und insbesondere amikale Beziehungen zum politischen Clan von Papandreou. Seit 2007 jedoch ist Vardis‘ Nichte, Olga Kefalogianni, Abgeordnete der Nea Dimokratia und Ministerin für Tourismus (2012-2015). Sie ist die Tochter von Eleni Vardinogianni, Vardis‘ Schwester, und Giannis Kegfalogiannis, einem prominenten Nea Dimokratia-Politiker. Außerdem ist eine weitere Nichte von Vardis, Chrysi Vardinogianni, mit dem Schauspieler Konstantinos Markoulakis verheiratet, einem der engsten Freunde und Mitarbeiter des Kindervergewaltigers Dimitris Lignadis.
Zwei Welten prallen aufeinander, ein Krieg der alten und neuen Medien und eine Timeline der Schande
Nea Dimokratia hat einen letztlich erfolgreichen Wahlkampf mit einer knallharten „Recht und Ordnung“-Rhetorik geführt ( neben anderen Dingen, wie zum Beispiel niedrigere Steuern). Sie nahm insbesondere die Anarchist:innen als paradebeispielhafte, kollektive Personifizierung der Gesetzlosigkeit ins Visier und versprach, sie als Bewegung auszurotten. Nach dem Wahlsieg machten sie sich daran, schrittweise eine noch nie dagewesene neoliberale und autoritäre Gesetzgebung durchzusetzen, die darauf abzielte, das Land nachhaltig umzugestalten. Sie begannen mit der Umsetzung der stark beworbenen „Recht und Ordnung“-Agenda, indem sie Krieg gegen die Anarchist:innen führten, Hausbesetzungen – beginnend mit denen, die Geflüchtete beherbergten – räumten und verschiedene andere Mittel der Repression anwendeten. Als die Covid19-Pandemie Griechenland erreichte und die Lockdowns begannen, fand die Partei eine einmalige Gelegenheit, ihre Pläne zu beschleunigen, indem sie Gesetze einbrachte, die für frühere Regierungen undenkbar gewesen wären und in jedem Fall massiven Unruhen auf den Straßen garantieren würden.
Am bemerkenswertesten ist die kürzlich vom Parlament verabschiedete und voraussichtlich nie umzusetzende Bildungsreform, die die Einführung von Polizeikräften und Überwachungsnetzen innerhalb der Universitäten, die Bestrafung aller Arten von gesellschaftspolitischen Aktivitäten der Student:innenen und die drastische Kürzung der Zulassungszahlen vorsieht, um eine Klientel für die privaten Universitäten zu schaffen, die sie in der gleichen Gesetzgebung mit den öffentlichen Universitäten gleichzusetzen versuchen.
Eine wichtige Anmerkung zum Kontext über diese Regierung ist, dass sie einen schwindelerregenden Prozentsatz der Mainstream-Medien kontrolliert. Es wird allgemein geschätzt, dass 80% der Medien nicht nur auf ihrer Seite sind, sondern sie blind loben, bis zum Punkt der Lächerlichkeit. Um ein berüchtigtes (und ziemlich amüsantes) Beispiel zu nennen: Mitsotakis wurde mit Moses verglichen, der die Nation aus der Wüste der aktuellen Krise führen wird. Dies wurde nicht nur durch den Eifer der Geschäftsinteressen erreicht, die die Medien kontrollieren, um die Deregulierung zu unterstützen, sondern auch durch buchstäbliche Bestechungsgelder, die am helllichten Tag übergeben wurden. Die Regierung hat wiederholt Sonderzuschüsse aus öffentlichen Geldern an ein Spektrum ihrer bevorzugten Nachrichtensender vergeben, um „das Bewusstsein für Covid19 zu erhöhen“.
Diese überwältigende Manipulation des öffentlichen Diskurses in den traditionellen Kanälen hat mehr Macht in Richtung der neuen Medien des Internets und insbesondere der sozialen Netzwerkplattformen verlagert. Hier haben sich Zorn und Verachtung zusammengebraut. In Anbetracht der Tatsache, dass die griechische Sprache für die zentralen Verwaltungen der Tech-Giganten, die Plattformen wie Twitter und Facebook kontrollieren, kaum eine Priorität darstellt, und der Low-Tech-Unterdrückungskapazitäten der alten Schule des griechischen Staates, hat die Unterdrückung der Meinungsfreiheit nicht mit dem gleichgezogen, was in der englischsprachigen Welt vor sich geht. In der Tat, wenn überhaupt, könnte dies genau jetzt der Dreh- und Angelpunkt des Übergangs zu einer umfassenderen Internetzensur sein. Die Zeitleiste unten wird -neben allem anderen- manifestieren, warum.
7. August 2020
Einen Monat nach der Wahl ändert die neue Kulturministerin Lina Mendoni die Gesetze über die Positionen der künstlerischen Leiter und ermöglicht damit direkte Ernennungen ohne Ausschreibung. Sechs Tage später ernennt sie Dimitris Lignadis zum neuen künstlerischen Leiter des griechischen Nationaltheaters, der höchsten Position in der Branche. Dimitris Lignadis wird nachgesagt, eine persönliche Beziehung zum Premierminister Kyriakos Mitsotakis zu haben. Prominenten Journalist:innen zufolge hat er ihm Nachhilfeunterricht in Rhetorik gegeben.
8. Januar 2021
Nach vielen Jahren rachsüchtiger Behandlung durch das Justizsystem und die Gesetze, die unverhohlen mit dem einzigen Zweck verabschiedet wurden, ihm seine Rechte als Gefangener zu verweigern, beginnt Dimitris Koufontinas einen Hungerstreik. Seine Forderung ist lediglich, die dreiste Verletzung des Gesetzes (4760/2020, Artikel 3) zu stoppen, damit er in seine ursprüngliche Zelle im Korydalos-Gefängnis in Athen zurückkehren kann.
Als einer der wichtigsten Scharfrichter der Revolutionären Organisation 17. November war Koufontinas derjenige, der Mitsotakis‘ Schwager und den Ehemann der oben erwähnten Ntora Mpakogianni hinrichtete: Pavlos Mpakogiannis. Mehr und mehr Quellen in den sozialen Medien, beginnen, den Mitsotakis-Clan für schamlose Instrumentalisierung des Justizsystems und den Umgang mit Koufontinas in der Tradition der kretischen Vendetta zu kritisieren.
20. Januar 2021
Die Olympiamedaillengewinnerin und Segelmeisterin Sofia Mpekatorou sagt vor dem Staatsanwalt über ihre Anschuldigung des sexuellen Übergriffs 1998 gegen einen mächtigen Sportmanager aus. Das war der offizielle Startschuss für die griechische #MeToo-Bewegung. Die Welle beginnt schnell, die griechische Theaterwelt zu überrollen, da mehrere Anschuldigungen von sexuellem Missbrauch auftauchen.
2. Februar 2021
Als Gerüchte über Dimitris Lignadis in den sozialen Medien die Runde machen, postet die Journalistin Elena Akrita, er stehe kurz vor dem Rücktritt. Das Kulturministerium gibt eine vernichtende Antwort heraus, weist die Behauptung zurück und verteidigt den Regisseur voll und ganz. In den nächsten Tagen und während der sozialen Welle der Empörung, ergreift Lignadis rechtliche Maßnahmen, um zu verhindern, dass sein Name in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit solchen Anschuldigungen genannt wird. In den Medien wird er fortan als „der berühmte Schauspieler und Regisseur“ bezeichnet. Dies ist das erste und einzige Mal, dass dies jemandem passiert ist, seit die griechische #MeToo-Bewegung begann.
6. Februar 2021
Die Nachrichten-Website 20/20 Mag veröffentlicht ein Interview mit Nikos S., in dem er sein traumatisches Erlebnis beschreibt, von „dem berühmten Schauspieler und Regisseur“ vergewaltigt worden zu sein, als er 19 Jahre alt war. Das Verbrechen kann aufgrund der Verjährungsfrist (15 Jahre) nicht strafrechtlich verfolgt werden. Obwohl Nikos S. den Namen des Regisseurs nicht genannt hat, enthält seine Erzählung Elemente, die Lignadis direkt identifizieren, der am selben Tag zurücktritt.
8. Februar 2021
Nikos S. reicht eine Klage gegen den Regisseur ein. An diesem Tag macht Giorgos Kalaitzidis, ein prominentes Mitglied der berüchtigten anarchistischen Gruppe Rouvikonas, den folgenden Beitrag auf Facebook: „Der pädophile Vergewaltiger Dimitris Lignadis nutzt seine Verbindungen, um Leute dazu zu bringen, Anrufe zu tätigen und Leute zu bedrohen, nicht legal gegen ihn vorzugehen. Dieser Abschaum sollte wissen, dass mehr von uns in dieses Spiel eingestiegen sind. (…)“ Der Beitrag geht halb-viral.
10. Februar 2021
Zehntausende Menschen in ganz Griechenland gehen auf die Straße, um inmitten der Pandemie gegen die Bildungsreform zu protestieren. Die Menschenmassen sind unerwartet groß, und es wird als Reaktion auf die Bemühungen der Regierung angesehen, den Lockdown auszunutzen. Viele dieser Demonstrationen werden von der Polizei mit zahlreichen Verhaftungen angegriffen, und die allgemeine Spannung wächst.
11. Februar 2021
Die anarchistische Gruppe Masovka macht eine aktivistische Intervention im politischen Büro des stellvertretenden Außenministers Miltiadis Varvitsiotis, wo sie Flugblätter abwerfen und die Wände in Solidarität mit Dimitris Koufontinas – neben anderen – beschmieren. Am nächsten Tag werden zwei Aktivist:innen der Gruppe direkt vor ihren Häusern verhaftet/entführt. Kurz darauf wird die gesamte Gruppe in einer ungeheuerlichen Reihe kreativer juristischer „Innovationen“ als „kriminelle Vereinigung“ strafrechtlich verfolgt.
12. – 13. Februar 2021
Offensichtlich koordiniert starten alle Medien der drei genannten Tycoons (siehe oben) eine schockierende Kampagne der Desinformation und Propaganda zur Verteidigung von Dimitris Lignadis, indem sie die Vorwürfe in Zweifel ziehen oder ganz zurückweisen. STAR TV, im Besitz der Familie Vardinogiannis, treibt es am weitesten. In den Abendnachrichten am 02.12. verkünden sie, dass sie „die ganze Wahrheit“ über den Fall aufdecken werden, und senden einen Bericht mit dem Titel „Berühmter Regisseur im Auge des Sturms, wegen… nichts“. Das Standbild dieses Titels geht prompt viral und löst eine der größten Gegenreaktionen aus, die es je in den griechischen sozialen Medien und im Internet gab. Die Reaktionen sind so stark, dass STAR TV gezwungen war, sich am nächsten Tag öffentlich zu entschuldigen. Es scheint, dass die Mainstream-Medien diese Schlacht komplett verloren haben.
15. Februar 2021
Während immer mehr Nachrichten über zahlreiche weitere Zeugenaussagen gegen den „berühmten Schauspieler und Regisseur“ auftauchen und das Internet vor Empörung tobt, gibt der Sprecher der Regierung eine Pressekonferenz. Er gibt einige Erklärungen zum Rücktritt des „Art Directors“ ab – ohne seinen Namen zu nennen – und erklärt, dass es „aus persönlichen Gründen“ war, während er dabei so sichtlich unbeholfen ist, dass es, zugegebenermaßen, urkomisch ist.
16. Februar 2021
Der Schauspieler Christos Perros gibt ein Fernseh-Interview und beschuldigt den „berühmten Schauspieler und Regisseur“ der sexuellen Belästigung, als Perros 14 Jahre alt war. Das Verbrechen kann wiederum aufgrund der Verjährung nicht verfolgt werden. Eine anarchistische Demo in Solidarität mit Dimitris Koufontinas schafft es, auf die Straße zu gehen und durch die Stadt Thessaloniki zu laufen. Jeder ähnliche Versuch in Athen wurde mit einer überwältigenden Polizeigewalt und Brutalität beantwortet. Generell gibt es den ganzen Monat Februar über in mehreren Städten Griechenlands Aktionen und Demos von Aktivist:innen in Solidarität mit dem Hungerstreikenden, die zumeist massiv niedergeschlagen werden.
17. Februar 2021
Ein 40-jähriger Mann namens Vasilis gibt ein weiteres Interview im Fernsehen, in dem er beschreibt, wie „der berühmte Schauspieler und Regisseur“ ihn sexuell missbraucht hat, als er 15 Jahre alt war. Er hatte am 5. Februar eine Klage gegen ihn eingereicht, aber das Verbrechen kann aufgrund der Verjährung nicht verfolgt werden.
18. Februar 2021
Eine Menge von Anarchist:innen führt eine Intervention in Solidarität mit Dimitris Koufontinas vor dem Gesundheitsministerium in Athen durch, indem sie Transparente aufhängen und Flugblätter werfen. 65 Personen werden kurzerhand verhaftet und in das zentrale Polizeipräsidium gebracht. Später werden sie von der Bereitschaftspolizei in den Gerichtsgebäuden angegriffen, nachdem sie freigelassen wurden. Am Abend postet der Anarchist Giorgos Kalaitzidis von Rouvikonas auf Facebook: „Christos Perros erhielt einen Anruf nach der [Interview-]Sendung, in der er Lignadis beschuldigte, und ihm wurde gesagt: „Du wirst sterben“. Der Vizeminister für zeitgenössische Kultur N. Giatromanolakis ruft, anstatt die Anwälte der Opfer anzurufen, jeden Tag die Schauspielergewerkschaft an und bittet um Informationen (um wen zu informieren?) Das Gleiche gilt für den Staatsanwalt. Nikos S. (der auch Lignadis beschuldigte) wurde von der Polizei vor seinem Haus angehalten und durchsucht. Die Gangster schlagen zurück. Sie werden überrollt.“ Dieser Beitrag wird mehr als 500 Mal geteilt.
19. Februar 2021
In mehreren Städten finden weitere Kundgebungen in Solidarität mit Dimitris Koufontinas statt. Die in Athen wird wieder einmal brutal von der Polizei angegriffen. Eine dritte Klage wird gegen Dimitris Lignadis wegen Vergewaltigung eines 14-jährigen Jungen eingereicht. Diesmal ist sie noch nicht verjährt. Die Kulturministerin Lina Mendoni gibt eine Pressekonferenz, in der sie sagt, sie habe mit Lignadis gesprochen und ihn eindringlich gefragt, ob die „Gerüchte“ wahr seien, aber er habe dies vehement bestritten. Dann sagt sie weiter, dass er sie mit seinem „tiefgründigen Schauspiel“ getäuscht habe…Wahre Geschichte!!!
20. Februar 2021
Eine überraschende anarchistische Demo in Solidarität mit Dimitris Koufontinas erreicht die Zentrale der Partei Nea Dimokratia. Die Polizei greift die Anarchist:innen auf dem Rückweg am Bahnhof an und verhaftet etwa 100 Personen. Schließlich wird Dimitris Lignadis verhaftet. Das Internet wird mit Kommentaren überschwemmt, die darauf hinweisen, dass er zwei ganze Wochen Zeit hatte, seit er öffentlich der Vergewaltigung von Kindern beschuldigt wurde – und deswegen zurückgetreten ist -, um alle möglichen Beweise von Festplatten, Sim-Karten usw. zu vernichten, die ihn weiter belasten würden, oder noch mehr, möglicherweise andere prominente Vertreter:innen der Elite des Landes belasten würden.
Heute ist die Regierung der Nea Dimokratia in den Seilen. Die Dinge liefen bereits schlecht für sie, bevor all dies explodierte. Der Umgang mit der Pandemie hat schon lange nicht mehr den Anschein von Kontrolle, den sie im letzten Frühjahr zu vermitteln vermochten. Es gibt eine wachsende Unzufriedenheit in verschiedenen Schichten der Gesellschaft aus verschiedenen Gründen. Und jetzt nehmen sie von Tag zu Tag mehr Schaden durch diesen Skandal.
Gleichzeitig wächst die Sorge, dass Elemente innerhalb der Regierung ein für sie günstiges Szenario in Betracht ziehen könnten, in dem Koufontinas Tod die ideale Exit-Strategie für sie darstellen könnte. Möglicherweise sind es dieselben Elemente, die dafür plädieren, dass eine solche Eventualität ihr rechtsextremes Klientel konsolidiert: die wertvollen Stimmen der Goldenen Morgenröte. Hoffentlich wird sich die eher vernünftige Seite durchsetzen. Diejenige, die versteht, dass die Konsequenzen gewaltig und langfristig sein werden.
Die Schlussfolgerung/Synopse dieser komplizierten und schändlichen Geschichte ist, dass Griechenland eine Art „Bananenrepublik“ innerhalb der EU ist, die von feudalen Gangstern regiert wird, und auch der Schatten der Akropolis kann das nicht verbergen. Dass der griechische Staat sein eigenes Justizsystem degradiert, um einen bereits inhaftierten Guerillakämpfer aus Rache zu vernichten, im gleichen Atemzug wie er sein eigenes Justizsystem degradiert, um einen Kindervergewaltiger zu schützen. Dass, wenn Dimitris Koufontinas der erste Hungerstreikende wird, der in Europa seit den IRA-Kämpfern 1981 stirbt, geschieht dies teilweise, um von einem Skandal auf Epstein-Niveau abzulenken, der den Premierminister selbst „berührt“ hat.
Und schließlich, was am wichtigsten ist, wenn das Schlimmste passiert, solltet ihr euch darauf vorbereiten, euren Zorn über all das gegenüber eurer lokalen griechischen Botschaft, eurem Konsulat oder einem anderen Ziel griechischer Interessen zu äußern. Für morgen, den 24. Februar (Heute, Enough 14), ist ein Tag der Solidarität ausgerufen.
Alexis Daloumis
P.S.:
„Ich schäme mich nicht, ich bereue nicht, ich bin stolz, an diesem großen Kampf für die Freiheit der Menschheit teilgenommen zu haben.“
Dimitris Koufontinas ( Während einer Gerichtsverhandlung am 15. Januar 2007)