quelle: kontrapolis
Warum der Kampf gegen Staat und Nazis Handarbeit bleibt
Wir, einige Anarchist*innen aus verschiedenen Städten, beobachten und verfolgen gespannt und in voller Solidarität das Verfahren um den 129-Fall in Leipzig. Bei dem eine Person seit November 2020 in U-Haft sitzt, eine weitere sich auf der Flucht befindet und noch viele mehr beschuldigt sind.
Abgesehen von der miserablen Berichterstattung der Medienhäuser, die uns nicht verwundert, sind wir doch recht erschrocken wie über diesen Fall geredet und über die öffentliche (nicht-)Positionierung.
Wir fragen uns, ob es an dem Umgang mit der Öffentlichkeit liegt, dass es nicht mehr praktische Solidarität mit der Inhaftierten Lina gibt. Uns jedenfalls, fiel es in den letzten Monaten schwer, ein eindeutiges Gefühl der Verbundenheit zu entwickeln.
Wir wollen hier eine wohlwollende Kritik am Umgang mit dem aktuellen Repressionsfall zeichnen. Wir wollen, dass sich das Umfeld, aber auch alle Menschen, die sich selbst in tiefer Feindschaft zu Nazis, Faschos und dem Staat, der diese ganze menschenfeindliche Scheiße hervorbringt und fördert, in ihren Kämpfen bestärkt fühlen und diese im besten Fall mit einer sozial-revolutionären Perspektive weiterführen und intensivieren.
Warum Antifaschismus und Angriff zusammen gehört und zu jeder Zeit richtig ist
Die Liste von Angriffen durch Faschist*innen ist lang und wird ununterbrochen länger: Die Anschläge von Hanau und Halle, die Mordserie des NSU, die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen und Erfurt, die Brandanschläge von Mölln und Solingen. Das sind einige der Bekanntesten der vergangen 30 Jahre. Noch nicht erwähnt werden dabei die Baseballschläger-Jahre in den sogenannten „Neuen Bundesländern“ der 90er Jahren, die so viele Menschen, über mehrere Generationen hinweg, nachhaltig traumatisiert haben.
Elitesoldaten und Beamte, die sich fleißig an Munitionsbeständen bedienen, sich gemeinsam als „Prepper“ organisieren. Kurze Erinnerung an den Fall des SEK Bullen aus Meck-Pom. Er wurde am Ende zu 21 Monaten auf Bewährung verurteilt, in den Medien als „etwas schräg“ verhandelt und als absoluter Einzelfall abgestempelt. In Chats unter den Mitgliedern der Preppergruppe „Nordkreuz“ wurde rechtsradikales Gedankengut ausgetauscht, wie der Richter in der Verhandlung zu diesem Fall sagte. Jedoch sei dies für den Prozess unerheblich gewesen.
Wenn wir uns den Berichterstattungen der heutigen Zeit widmen, dann ist die Erzählweise von Repressionbehörden und Medienlandschaft denkbar simpel. „Auf dem rechten Auge blind“- heißt es doch immer so schön – und diese Phrase wirkt hier recht passend.
Ein dummes Arschloch, welches mordend durch Hanau läuft und 9 Menschenleben auslöscht, ein verwirrter Einzeltäter – nicht organisiert… ???
Uns verwundert das nicht sonderlich, auch wenn es uns immer wieder abstößt. Wir wissen was wir von diesem Staat, seiner Justiz und seinen Behörden zu halten haben. Denn auch wir haben die ein oder andere Erfahrung auf Nazidemos gemacht oder waren hier und da mal mit Nazi-Cops konfrontiert. Wir denken, dass sich sehr viele Menschen in diesen Erfahrungen wiederfinden: Linke/Antifaschist*innen oder Anarchist*innen als politische Gegner*innen und noch sehr sehr viele Menschen mehr, die nicht als „Deutsch“ gelesen werden und sich mit diesem Irrsinn täglich konfrontiert sehen.
Wir wissen oder haben am eigenen Körper gelernt, dass wir uns nicht ausruhen und uns auf staatliche Strukturen verlassen können. Ein Staat, der an den europäischen Außengrenzen mordet, der mit seinem Kriegsgerät Milliarden Umsätze macht- und mordet, ein Staat der weiterhin viele Strukturen aus der NS-Zeit in seinem System integriert hält. Gleichberechtigung und Solidarität sind mit seiner Existenz nie und nimmer vereinbar.
Daher braucht es null Komma null Rechtfertigung für Antifaschismus.
Antifaschismus in Wort und Tat ist einfach richtig und ist Handarbeit! Zu jedem Zeitpunkt und in jeder Form!
Weder Schuldig noch Unschuldig oder auch ‚Revolutionäre Solidarität‘
Wir freuen uns sehr, dass Lina sich nicht unterkriegen lässt und jegliche Zusammenarbeit mit Repressionsbehörden und dem Staat verweigert. Wir empfinden dies als Richtig und wollen hier noch einmal betonen, dass es uns nicht darum geht wer- wann- was gemacht hat oder nicht! Die Respressionbehörden unterstellen ihr, eine Sozialrevolutionärin (Linksextremistin im Behördensprech) und Antifaschistin der Tat zu sein. Die Presselandschaft versucht im Gegenzug das Bild der netten Studentin zu zeichnen, die in Minirock und roten Fingernägeln zu Miley Cyrus tanzt und als Pädagogin auch noch im Dienste des Staates steht.
Wir finden die Darstellungen, die Diskussion über Schuld und Unschuld und auch die Wichtigkeit einer solchen totalen Quatsch und wirklich völlig fehl am Platze. Hier werden nicht nur (vielleicht sogar aus falschem Wohlwollen) sexistische Bilder bedient, sondern wird auch die Ernsthaftigkeit und Richtigkeit von direkten Angriffen (auch gewalttätigen) gegen Nazis und Faschist*innen in Frage gestellt und untergraben.
Unsere Aufgabe, und auch eine Aufgabe von Solidarität unter Antifaschist*innen, Sozialrevolutionär*innen, Anarchist*innen ist die Aktionen, die Militanz und Kämpfe in ihrer Kontinuität fortzuführen und zu verteidigen. Für uns gehört dazu auch zu diskutieren und uns die Frage zu stellen, ob Ort, Zeit und Art einer spezifischen Aktion angemessen und vertretbar sind. Sicherlich machen wir darin auch Fehler. Aber wir müssen nicht, nein Falsch, wir sollten niemals die Aufgabe von Ermittlungsbehörden übernehmen.
Sie und auch die Justiz sind nicht unsere Referenz von Diskussion. Wir müssen uns damit beschäftigen, dass es den Menschen gut geht die gerade von Repressionsschlägen direkt betroffen sind. Dafür ist eine wichtige und große Aufgabe verantwortungsvoll für unsere gefangenen Gefährt*innen und Freund*innen zu sorgen. Eine weitere ist es auch unsere Kämpfe fortzuführen, denn Nazis sind immer noch gut organisiert und bewegen sich selbstbewusst in ihren Territorien.
Wir finden es aufgrund der uneindeutigen Öffentlichkeitsarbeit nicht leicht nachzuvollziehen, was von Lina und ihrem Umfeld gewollt ist. Wir sind uns allerdings sicher, dass ein Schüren von Mitleid, eine Inszenierung von der Betroffenen als eigentlich unschuldiges Opfer kein integrer Weg der solidarischen Unterstützung sein kann. Wenn nicht wir selbst, wer soll dann die Notwendigkeit unserer Kämpfe verteidigen?
Die Erfahrung aus vielen Repressionsfällen zeigt, dass es Menschen sehr den Rücken stärkt, wenn sie sehen, dass Kämpfe, in deren Kontext sie Repression erfahren, fortgeführt werden. Wenn in diesem Fall also weiterhin konsequent gegen Nazis und andere Autoritäre vorgegangen wird, wenn Menschen vor die Knäste ziehen, um ihre Ablehnung gegen eben jene zu demonstrieren, wenn Menschen sich weiterhin kollektiv aufeinander beziehen, dann ist das praktische Solidarität.
Der Paragraph 129 ist dazu geschaffen worden Menschen zu beschnüffeln, auszuspionieren und Leute unter Druck zu setzen. Wenn wir behaupten: „ Sie/Er war es nicht“ behaupten wir im gleichen Moment „Es war jemand anderes“. Es gibt keine Notwendigkeit diese Aussage zu tätigen.
Wir wissen doch wer wir sind! Wenn wir uns im Klaren darüber sind, welche Entscheidungen wir treffen, können wir uns mit geradem Rückgrat jeder schweren Situationen stellen. Es ist super wichtig im Falle von Repression, nicht das Gefühl der Einsamkeit zu bekommen. Es ist wichtig nicht dem Eindruck zu verfallen, dass irgendwer an irgendeinem Punkt in seinem/ihrem Leben die „falsche“ Abzweigung genommen hat.
Dies können wir tun, indem wir Aktionen machen, die den Gefährt*innen ein Lächeln in ihr Gesicht zaubern, indem wir Briefe schreiben, Poster anfertigen, Infoveranstaltungen machen, zu Demos gegen Faschos aufrufen oder wie auch immer uns gerade der Kopf steht.
Es gibt keine Notwendigkeit sich von Wort und Tat zu distanzieren oder Menschen in das Licht der Unschuld zu rücken.
Wir sind Schuldig: Denn wir wollen den Staat abschaffen, wir kämpfen gegen Faschismus und für ein Leben ohne Machtstrukturen.
Freiheit und Glück für Lina, der Person auf der Flucht und allen in dem Verfahren Beschuldigten!
Anarchist*innen