[Griechenland] Bericht von einer militanten anarchistisch-feministischen Aktion in Athen

quelle: enough is enough 14

Athen. Griechenland. Am Dienstag, den 22. Juni, gab es einen sehr großen – mehrere Tausend Menschen umfassenden – feministischen Demonstration durch das Athener Stadtviertel Petralona in Griechenland.

Eingereicht bei Enough 14. Das Bild oben stammt vom Twitter-User @Marichiweu100, welche*r in keiner Weise mit der Autor*in dieses Artikels in Zusammenhang steht. Deutsche Übersetzung Bratislav Metulski.

Anlass war ein Vorfall, bei welchem eine Frau, die zur Reinigung eines Hauses angestellt war, von ihrem „Arbeitgeber“ eingesperrt und wiederholt sexuell missbraucht wurde. Die Nachbar*innen riefen zwar die Polizei, aber diese weigerte sich, einzugreifen. Sie sind stets bereit, ein besetztes Haus zu stürmen oder Menschen auf einem öffentlichen Platz anzugreifen, schrecken allerdings davor zurück, die Tür eines Hauses der Mittelschicht aufzubrechen, so dass der Vergewaltiger entkommen konnte und auf freiem Fuß verbleibt.

Dieser Horror entwickelte sich zudem im Schatten eines laufenden und für Schlagzeilen sorgenden Falles, in welchem ein „achtbarer“ griechischer Mann, ein Airline-Pilot, seine (viel jüngere) Frau ermordete und anschließend behauptete, sie sei von Immigranten getötet worden, ein kalkulierter rassistischer Trick, dem die griechische Polizei, indem sie im nationalen Fernsehen „hartgesottene migrantische Kriminelle“ beschuldigte, nicht nur zustimmte, sondern sogar aktiv handelte, indem sie einen georgischen Mann ohne Papiere entführte und ihn tagelang zusammenschlug, um ihm ein Geständnis abzuringen.

Es scheint fast zu offensichtlich, um es nochmal klar und deutlich auszusprechen, und dennoch ist das oben beschriebene ein Beispiel für die Verflechtung von Gender und Klasse, Ethnizität und Nationalismus, sowie für die Schlüsselrolle, welche die Polizei bei der Aufrechterhaltung dieser brutalen Hierarchien einnimmt.

Wie bei so vielen Vorfällen von geschlechtsspezifischer Gewalt, ob tödlich oder nicht, war der Täter eben das, was meist am tödlichsten ist: „der Herr des Hauses“. Ein Graffiti, welches in der Nachbarschaft entdeckt wurde, fasst ihn kurz und bündig zusammen: „Guter Junge. Pilot. Orthodoxer Christ. Femizid.“

Die Polizei reagierte auf die Enthüllung der Schuld des Ehemannes, indem sie erneut im TV auftrat und anderen Männern, die möglicherweise ebenfalls ihre Frauen ermorden wollen, Ratschläge erteilte, wie sie besser damit durchkommen könnten als dieser. Hierbei handelt es sich weder um einen Scherz noch um eine Übertreibung.

Während sich die Mainstream-Berichterstattung zu diesen beiden Fällen auf das konzentrierte, was man als „karzerale“ Sichtweise bezeichnen könnte – warum wurden diese Männer nicht VERHAFTET und EINGESPERRT? – versammelten sich die Frauen von Athen an mehreren Abenden hintereinander in enormer Stärke, nicht nur um ihre Wut auszudrücken, sondern auch um direktere, systematischere Lösungsansätze gegen die täglich an Frauen ausgeübten Gewaltexzesse zu finden.

Der Demonstrationszug am Dienstagabend begann mit Beiträgen von Redner*innen und Sprechchören. Bereits im Vorfeld waren die umliegenden Blöcke mit militanten feministischen Graffiti in griechischer und englischer Sprache übersät worden. Einmal in Bewegung, wurde die Menge an Graffiti so gewaltig, dass die Künstler*innen im hinteren Teil der Demo Probleme hatten, überhaupt noch freie Flächen zu finden! Viele feministische, anarcha-feministische, polizeifeindliche und queere Slogans und Symbole waren dabei zu entdecken. Einige, welche mir aufgefallen sind, waren TOTE MÄNNER VERGEWALTIGEN NICHT, TÖTET VERGEWALTIGER, TREIBT DAS PATRIARCHAT AB, TREIBT DEN KAPITALISMUS AB, DIE POLIZEI SCHÜTZT MICH NICHT – MEINE FREUNDE TUN DAS, und die unvergängliche Zeile SAG ANSTELLE VON „ICH LIEBE DICH“, „FICK DIE POLIZEI“.

Sehr bewegend fand ich außerdem das Graffiti mit der Aufschrift LASS UNS ALLE ZU AUFSTÄNDISCHEN, RÄUBER*INNEN, SABOTEUR*INNEN WERDEN.

Es gab unzählige Aufkleber und Flugblätter sowie wüste Sprechchöre (auf Griechisch). Im Folgenden findet ihr Übersetzungen einiger dieser großartigen Rufe:

„Das Patriarchat vergewaltigt und tötet, auf der Straße und zu Hause. Wir werden den Staat und das Patriarchat abfackeln.“

„Glorreicher griechischer Mann, auf deinem Grab werden wir das allergrößte Festival feiern.“

„Der Vergewaltiger wird nicht aus dem Osten herkommen, er wird aus Ekali und Koponi stammen.“ (Griechische Nachbarschaften)

„Das, das, das ist genau das Richtige: Tritte mit 12cm-Absätzen, um dich aufzuhübschen.“

„Griechenland, stirb, damit wir leben können. Zur Hölle mit der Familie! Zur Hölle mit dem Vaterland!“

„Zwei Meter, zwei Meter unter der Erde, gibt es für jeden Vergewaltiger ein Zuhause.“

„Schwule, Transen, Lesben, Priester*innen der Schmach. Wir sind stolz, die Schande der Nation zu sein.“

„Auf den Straßen, auf den Plätzen, in allen Vierteln: Migrant*innen, ihr seid nicht allein!“

Die Bereitschaftsbullen der MAT hefteten sich an die Fersen der Demonstration, wobei es allerdings zu keinen direkten Zusammenstößen kam, obwohl einige Teilnehmer*innen die typisch griechische Multitasking-Methode praktizierten, sich noch während des wegjoggens vor der Polizei eine Kippe zu drehen.

Frauen, die Graffiti sprühen, sind hier kein exotischer Anblick, aber der Prozentsatz der gesamten Sprühereien (und des Zerschlagens von Geldautomaten und des Anzündens von Bengalos usw.), welcher bei dieser Demo von Frauen durchgeführt wurde, lag bei bzw. bei nahezu 100%. Es war sehr ergreifend zu beobachten, wie Frauen sich gegenseitig Sprühdosen weiterreichten oder, wenn einer mal mitten im Satz die Dose ausging, eine andere Frau einsprang, um den Slogan zu vervollständigen.

Obwohl auf der Demonstration eine starke anarchistische Präsenz zu verzeichnen war, war diese dennoch nicht ausschließlich anarchistisch; es beteiligten sich Kommunist*innen, Autonome und andere, im Übrigen gab es unter den Teilnehmer*innen einige Diskussionen darüber, was ins Visier genommen werden sollte und was nicht – z.B. ob „lokale Gewerbe“ von einer Renovierung verschont bleiben sollten. Dabei handelte es sich um Gespräche unter den Frauen; Männer, welche versuchten, ihre Meinung dazu anzubringen wurden zurückgewiesen.

Der Demonstrationszug endete auf dem Merkouri-Platz, auf welchem ein Genosse namens Dimitris Armakolas 2018 beim Aufhängen eines Banners zur Unterstützung eines politischen Gefangenen sein Leben ließ: https://itsgoingdown.org/on-the-passing-of-anarchist-comrade-dimitris-armakolas/

Nachdem Ende des Umzuges brannte mitten auf der Straße ein Müllcontainer – dabei handelte es sich um einen Recycling-Müllcontainer, welcher schlussendlich schmolz und dann gänzlich in sich zusammenfiel.

In Anbetracht der nutzlosen konsumpolitischen Ablenkung, die das „Recycling“ im Angesicht der Klimaapokalypse zu bieten hat, bildet ein abgefackelter Recycling-Müllcontainer eine brauchbare Schlussanalogie für jene Antwort, welche diese große, kraftvolle Demonstration auf den uralten und andauernden Krieg gegen Frauen darbot: Anstatt Reformismus und staatlichen Lösungen, fackeln wir die Scheiße lieber ab.


 

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