[Italien] Operation Prometeo: Updates zum Prozess (Mai – Juli 2021)

Quelle: brighton abc, übersetzt von abc wien

Am 10. Mai begann die Verhandlung des „Prometeo“-Prozesses, in dem die anarchistischen Gefährt*innen Natascia, Beppe und Robert beschuldigt werden, drei Paketbomben an den ehemaligen Direktor des DAP (Dipartimento dell’Amministrazione Penitenziaria, „Abteilung für Strafvollzugsverwaltung“), Santi Consolo, und zwei Turiner Staatsanwälte, Roberto Sparagna und Antonio Rinaudo, geschickt zu haben. Der Prozess findet vor dem Schwurgericht von Genua statt, da die Anklageschrift (Artikel 280, Absatz 1 und Absatz 3) eine Strafe ab 20 Jahren Haft vorsieht. Die Verhandlung wurde per Videokonferenz für die beiden noch inhaftierten Gefährt*innen Natascia und Beppe abgehalten, die über einen Bildschirm aus den Gefängnissen von Santa Maria Capua Vetere bzw. Bologna an den Anhörungen „teilnahmen“. Die Verhandlung fand vom 10. Mai bis zum 2. Juni in zwei Sitzungen pro Woche statt, an denen zahlreiche Carabinieri der ROS (Raggruppamento Operativo Speciale) und Sachverständige der RIS (Reparto Investigazioni Scientifiche) teilnahmen, die von der Staatsanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt Federico Manotti, und dem Zivilkläger, der Rinaudo vertrat, als Zeugen geladen waren.

Im Mittelpunkt der Anklage steht die Aussage des Turiner ROS-Generals Bogliacino, die zwei volle Tage dauerte und sich nicht auf konkrete Fakten bezog, sondern vor allem auf ideologische Fragen im Zusammenhang mit den angeklagten Gefährt*innen im Prozess, auf ihre zwischenmenschlichen Beziehungen und ihre Korrespondenz mit einigen Gefangenen, auf Internetrecherchen, die bis ins Jahr 2012 (!) zurückreichen und sich auf Nachrichten und öffentliche Diskussionen beziehen, sowie auf alltägliche Dialoge, die instrumentalisiert wurden, um zu erzwungenen Schlussfolgerungen zu gelangen. Dasselbe Drehbuch, das in ähnlichen Prozessen gegen andere Gefährt*innen verwendet wurde: Schließlich spielt die Suggestion in einem Prozess gegen Anarchist*innen eine wesentliche Rolle, erst recht, wenn man vor einer Geschworenenjury steht. Aus diesem Grund wurden auch viele Worte über die freundschaftlichen Beziehungen zu einem Gefährten verloren, der in der Vergangenheit unter dem Vorwurf des Terrorismus und des angeblichen Besitzes von Sprengstoff verhaftet wurde. In diesem Zuge haben die ROS dann die Solidarität mit den Angeklagten im Scripta-Manent-Prozess und mit einem anderen Gefangenen angeführt, um auf diese Weise die Motive und Abneigungen gegenüber denjenigen zu rechtfertigen, die in diesem Prozess die Angegriffenen sind – dem DAP und zwei Staatsanwälten, die an der Unterdrückung der Kämpfe beteiligt sind. Als ob diese Abneigung nicht von fast allen Rebell*innen, Anarchist*innen, Antagonist*innen oder Kriminellen geteilt würde, sei es aus Notwendigkeit oder aus Tugend.

Dieselben RIS-Experten waren nicht so sehr von der Tödlichkeit der fraglichen Paketbomben überzeugt, und der Zeuge, der versuchte, glaubwürdiger zu erscheinen, klammerte sich an nicht näher bezeichnete „von ihm privat durchgeführte Experimente“, Experimente, die er im Übrigen nicht einmal in der Verhandlung offenlegte, um die Tödlichkeit zu beweisen.

Die Zivilpartei benannte daraufhin eine eigene Liste von Zeug*innen, die sie in den Gerichtssaal bringen wollte, alle mit dem gleichen Tenor wie die oben genannten. Sie brachte dann Rinaudo und seine Frau persönlich in den Gerichtssaal, um ihr Schicksal als Verfolgte des gefährlichen gegnerischen Milieus zu schildern, wobei sie sich im Übrigen über die Daten einiger angeblicher Einschüchterungen widersprachen.

Die Verteidigung intervenierte durch das Kreuzverhör aller Zeug*innen, die Benennung von Sachverständigen wie eine*r Sprengstoffexpert*in und eine*r Gerichtsmediziner*in für die Typologie des Materials, eine*r Sachverständigen für die Zerlegung bestimmter Abhörmaßnahmen, die nach der inzwischen konsolidierten „cut and sew“-Technik von ROS und DIGOS (Divisione Investigazioni Generali e Operazioni Speciali, „Abteilung für allgemeine Ermittlungen und Sondereinsätze“, politische Abteilung der Staatspolizei), und schließlich mit eine*r Expert*in, um das Video zu analysieren, das laut Anklageschrift Beppe und Natascia vor und nach dem Kauf der mysteriösen Umschläge filmt. In diesem Zusammenhang ist es interessant festzustellen, dass das Geschäft, das Beppe und Natascia an jenem Tag betraten, nach Angaben der Staatsanwaltschaft das einzige war, das diese Art von Umschlägen in ganz Genua und Umgebung verkaufte (d.h. die einzigen Gebiete, in denen solche Kontrollen durchgeführt wurden). Natürlich reichte eine Recherche der Anwält*innen aus, um herauszufinden, dass die gleichen Umschläge auch in einem anderen Geschäft in Genua verkauft wurden, und zwar zu genau demselben Preis, der oben mit Bleistift angegeben war. Als wäre das nicht genug, kam dank der Kreuzverhöre der Anwält*innen auch noch ans Licht, dass die ROS dieses „Detail“ bereits kannten. Ein „Detail“, das sie absichtlich verschwiegen haben, um das erfundene Kartenhaus der Staatsanwaltschaft zu untermauern.

Während der Anhörung am 1. Juli äußerte sich Natascia zu ihrem Hungerstreik und ihrem Befinden im Gefängnis von Santa Maria Capua Vetere, welches sie daran hindert, ihre*n Anwält*in und ihre Angehörigen zu sehen.

Am 2. Juli fand eine abschließende Erklärung aller drei beschuldigten Gefährt*innen statt.

Das Gericht verschob den Abschluss des Ermittlungsverfahrens auf den 20. September, den Tag, an dem voraussichtlich die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und des Zivilklägers mit der dazugehörigen Anklageschrift und dem Antrag auf Verurteilung stattfinden werden.

Der 27. und 28. September werden ganz der Verteidigung gewidmet sind, der 19. Oktober ist die letzte Anhörung für eventuelle Erwiderungen, und dann wird der Termin für das Urteil festgelegt werden müssen.

In der Zwischenzeit sind Natascia und Beppe seit mehr als zwei Jahren im Gefängnis eingesperrt. Natascia befindet sich seit 20 Tagen im Hungerstreik und ist entschlossen, keinen Bissen mehr zu essen, solange sie im berüchtigten Gefängnis von Santa Maria Capua Vetere sitzt. Derselbe berüchtigte Ort – der Protagonist der Nachrichten dieser Tage [in Italien] – an dem die schweren Schläge vom April 2020 als Vergeltung für einen Protest der Gefangenen stattfanden. Dasselbe Gemetzel, von dem die Massenmedien und Institutionen nur in diesen Tagen Notiz zu nehmen scheinen, von dem wir aber wissen, dass es schon immer systematisch stattgefunden hat, in jedem Gefängnis, in jeder Kaserne, in jeder Polizeistation.

Unser ganzer Hass gilt denen, die versuchen, unsere Gefährt*innen in einer Zelle zu begraben.

An der Seite von Natascia, die seit 20 Tagen im Hungerstreik ist und gegen ihre erneute Verlegung in das Gefängnis von Santa Maria Capua Vetere kämpft.

An der Seite von Beppe und Robert, von allen inhaftierten Gefährt*innen und allen Gefangenen im Kampf.

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