quelle: freedom for thomas
Im bundesdeutschen Strafvollzug gibt es seit Jahrzehnten sogenannte „Vollzugspläne“ (VP), in welchen die Entwicklung von InsassInnen festgehalten und die nächsten Schritte geplant werden. Wie sieht das mal ganz konkret in einem Einzelfall aus?
Durchführung und Teilnehmende der VP-Konferenzen
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Der Aufbau eines VP
Auf immerhin 14 Seiten werden die Anträge der InsassInnen dargestellt, ebenso psychiatrische Diagnosen, indizierte Behandlungsprogramme, erforderliche Maßnahmen zur Förderung der Behandlungsmotivation, Arbeitszuweisung, Maßnahmen zur Gestaltung der Freizeit, zur Ordnung der finanziellen Verhältnisse und schließlich „Vollzugsöffnende Maßnahmen“, wie Ausführungen, Ausgänge, Urlaub.
So wird unter „Allgemeine Angaben“ zum Beispiel textbausteinartig dargestellt, welche Angebote pandemiebedingt nicht gemacht werden konnten (z.B. reguläre Besuche, Ausführungen, Freizeitgruppen). Erwähnt wird auch, dass ich mich angepasst verhalten würde, „lockere Kontakte“ zu Mituntergebrachten pflegte und regelmäßig in den Hof ginge. Gegenüber dem Personal würde ich mich „interessiert und distanziert höflich“ geben. Die Stationsküche würde ich „zum Zubereiten von Mahlzeiten“ nutzen und im Gemeinschaftsraum Zeitung lesen. Zudem würde ich mich immer wieder schriftlich beschweren.
Psychiatrisch liege eine „dissoziale und narzisstische Persönlichkeitsstörung“ vor. Es sei die Teilnahme am Behandlungsprogramm Gewalttäter ebenso indiziert, wie an Kunst- und Bewegungstherapie, auch sei eine Einzelpsychotherapie erforderlich. Angeraten sei auch die Absolvierung des „Sozialen Kompetenztrainings“, da mir selbst „basale soziale Kompetenzen“ fehlen würden.
Mangels „Einblick in (meine) Kontakte“ könne die Anstalt nicht einschätzen „inwiefern die einzelnen Kontakte für (mich) wichtig sind und förderlich sein könnten“.
Vollzugsöffnende Maßnahmen
Die umfangreichsten Erwägungen finden sich in diesem Unterpunkt. Zuvörderst wird festgehalten, dass mir die vier vom Gesetz vorgesehenen bewachten Ausführungen weiterhin zustünden – aber mehr auch nicht. Insbesondere komme eine pauschale Erhöhung der Anzahl der Ausführungen ebenso wenig in Betracht, wie eine von mir beantragte Verlegung in den Offenen Vollzug.
Zu der Zahl der Ausführungen: trotz der langen Haftstrafe (ich hatte vor Antritt der SV immerhin 16 Jahre 9 Monate Freiheitsstrafe abgesessen) und nun fast neun Jahre in SV könne bei meinen Ausführungen „immer wieder festgestellt werden, dass er sich seine Lebenstüchtigkeit bislang durchaus bewahren konnte. Er regelt seine Angelegenheiten selbstständig sowie strukturiert und ohne Auffälligkeiten“.
Was die Verlegung in den Offenen Vollzug betrifft: es bestehe Fluchtgefahr, da nach wie vor keine Entlassperspektive vorliege. Die „gepflegten Außenkontakte sind bezüglich der sozialen Integrationsfähigkeit als nichtaussagekräftig zu beurteilen, da sie größtenteils aus der Distanz gepflegt werden“. Zudem würde ich „dem Behandlungsteam bislang keinen Einblick in wichtige Kontakte“ gewähren. Zudem habe man einen Blogeintrag vom 01.01.2014 (!) gefunden, dort hätte ich mich zum-Untertauchen der damals aus der nachträglichen Sicherungsverwahrung entlassenen Carmen F. eingelassen. Ich hätte dort geschrieben, dass einem die Freiheit nicht gegeben werde, sondern man sie sich nehmen müsse.
Dies belege, so die Konferenzteilnehmer, den Verdacht der Fluchtgefahr auf frappierende Weise. Zum einen, weil sich der Text nach wie vor auf dem Blog finde, weshalb man davon ausgehen müsse, dass ich die dort zum Ausdruck kommende Haltung nach wie vor vertreten würde, zum anderen gebe es immer wieder Solidaritätsbekundungen u.a. im Rahmen von Kundgebungen vor der JVA nebst finanziellen Zuwendungen, weshalb in Verbindung mit der nicht vorhandenen Entlassperspektive von einem „natürlichen Anreiz zur Flucht“ ausgegangen werden müsse.
Außerdem bestehe Missbrauchsgefahr, da ich mich nicht auf eine Therapie einlassen würde und zudem der Anstalt keine „authentischen Einblicke in (die) innere Gedankenwelt (…) gewähren“ würde, weshalb eine „ausreichende Abschätzung der Gefährlichkeit weiterhin nicht möglich“ sei. Die „hermetische Abriegelung der inneren Gedankenwelt“, nebst der „demonstrierten Höflichkeit und Freundlichkeit“ dürften dabei keinesfalls als „Anzeichen gewertet werden, dass er keine aggressiven Wünsche mehr habe“. Es sei daher zu befürchten, dass ich weiterführende Vollzugslockerungen „zur Begehung von Straftaten missbrauchen“ würde.
Ausblick
Geht es nach diesem vollzuglichen Dokument, werde ich wohl weiterhin die Welt primär durch die Gitterstäbe der Gefängniszelle sehen. Es fällt ins Auge, dass prosoziales Verhalten im Grunde gar nicht thematisiert wird, denn solange es das Vollzugspersonal nicht dokumentiert, gilt es als nicht vorhanden. Wenn man aber gar nicht mehr umhin kommt sozial adäquates Verhalten zu konstatieren, wird dieses tendenziell negativ bewertet. Einerseits wird behauptet keine Aussagen über die innere Erlebniswelt und Einstellung treffen zu können, weil der Proband seine innere Gedankenwelt hermetisch abriegele, um dann andererseits fröhlich vor sich hin zu spekulieren über etwaige Flucht- und Missbrauchsgefahren, und dies unter Rückgriff auf Solidaritätsveranstaltungen, sowie einen Artikel von vor acht Jahren zum kurzfristigen Untertauchen von Carmen. Letztlich ergeht es aber nicht nur Sicherungsverwahrten so, sondern auch vielen Gefangenen in Strafhaft, insofern steht die Praxis der Freiburger Haftanstalt pars pro toto für jene der Vollzugsanstalten bundesweit.
Thomas Meyer-Falk
z. Zt. JVA (SV),
Hermann-Herder-Str. 8
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