(gefunden auf: linksunten.indymedia.org)
An einem sonnigen Juli-Tag vor zwei Jahren wurde ich in einem vergitterten Gefängnisbus von der JVA Bruchsal (jva-bruchsal.de) in die JVA Freiburg (jva-freiburg.de) überführt. Um Mitternacht, des 8. Juli 2013 hatte die Sicherungsverwahrung begonnen.
Was ist Sicherungsverwahrung (SV)?
Eingeführt 1933 von den Nationalsozialisten, ermöglicht die SV dem Staat Menschen über das Ende der Strafhaftzeit hinaus so lange in einem Gefängnis zu verwahren, wie der/die Gefangene vorgeblich eine „Gefahr für die Allgemeinheit“ darstellt. Die §§ 66 ff. StGB, die das Recht hinsichtlich der Anordnung der SV regeln, wurden in den letzten Jahren einer auch für Fachleute kaum noch zu überblickenden Art und Weise geändert. Im Regelfall ist es zumindest seit 2011 durchaus so, dass sich in den SV-Anstalten unter den aktuell rund 500 Verwahrten in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend Sexualtäter befinden, rund 70-80%, bei den übrigen Untergebrachten handelt es sich um wegen Körperverletzung, Raubes, Totschlag, Brandstiftung und in Einzelfällen auch wegen Drogendelikten verurteilte Personen. Fast alle sind männlichen Geschlechts.
Der Vollzugsalltag
Während die Strafgefangenen in Bruchsals Gefängnis die meiste Zeit des Tages in ihren Zellen weggeschlossen waren und sind, ist es in der SV üblich, und auch von den jeweiligen Landesgesetzgebern so geregelt, dass die Hafträume (die allerdings offiziell tatsächlich „Zimmer“ heißen, was die Betroffenen als zynisch erleben) von morgens bis spätabends geöffnet zu sein haben. Das ist eine erhebliche Umstellung, da man plötzlich wieder lernen muss die Tage in sozialer Gemeinschaft zu verbringen und nicht mehr oder weniger isoliert alleine in seiner Zelle.
Wer möchte, kann an arbeitstherapeutischen Maßnahmen ebenso teilnehmen, wie in Arbeitsbetrieben z.B. Akkordarbeit für Drittfirmen verrichten.
Ansonsten ist man im Vollzugsalltag primär sich selbst überlassen, wer nicht in der Lage ist seine Tage selbst zu strukturieren, der lebt so vor sich hin. Es gibt also auch jene, die die Tage durchschlafen, nachts fernsehen, oder vor ihrer Spielekonsole sitzen und sich in die fiktionalen Geschichten dort flüchten.
Die Therapie
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem spektakulären Urteil 2011 verlangt, dass künftig der Vollzug der SV nicht die bloße Verwahrung zum Inhalt haben dürfe, sondern durch therapeutische Maßnahmen, alsbald eine Freilassung sicherzustellen sei; nur in absoluten Einzelfällen sei eine Verwahrung bis zum Tod denkbar.
Dieser „therapeutische Optimismus“ wurde in der Fachwelt stellenweise kritisiert; bekannteste Kritikerin dürfte Frau Dipl.Psych.in Preusker (ehemals JVA Straubing/Bayern) sein, die in diversen Publikationen pointiert fordert: „Lasst sie niemals frei“ (so auch der Titel eines Aufsatzes von ihr im FOCUS).
In Freiburgs SV wird neben therapeutischen Einzelgesprächen, auch ein Gruppenangebot gemacht. Bspw. das BPS: ein Behandlungsprogramm für Sexualdelinquenten. Bis zu 10 Gruppenteilnehmer verbringen circa 1 1/2 Jahre wöchentlich ein-zwei Sitzungen gemeinsam, um mit den Therapeutlnnen in einem tatunspezifischen Teil grundlegende Fragen der Sozialkompetenz, der Eigen- und Fremdwahrnehmung oder Geschlechterstereotype zu behandeln.
In einem tatspezifischen Teil müssen die Teilnehmer ihre Sexualtaten, deren dynamische Entstehung, deren Verlauf und die heutige Einstellung dazu reflektieren.
Das Gegenstück zum BPS ist das Behandlungsprogramm für Gewalttäter (BPG); wobei dieses, mangels ausreichender Zahl an Sicherungsverwahrten, in Kooperation mit Strafgefangenen stattfindet. Daneben wird kunsttherapeutisch (Maltherapie) gearbeitet oder in einer „Suchtgruppe“ die Abhängigkeit von Drogen bzw. Alkohol bearbeitet.
Der Vollzugsalltag wird etwas euphemistisch als „milieutherapeutische Arbeit“ verklärt; dies bedeutet, auf den Therapiestationen essen Beamtinnen und Beschäftigte der Fachdienste gelegentlich zusammen mit den Bewohnern, es werden Spieleabende veranstaltet und wöchentlich eine (verpflichtende) Stationsversammlung.
Die Missstände
In den vergangenen Jahren habe ich ausführlich über die unterschiedlichsten Herausforderungen hier aus dem Vollzug der Sicherungsverwahrung der JVA Freiburg berichtet.
Die Spannbreite reicht von -scheinbaren Kleinigkeiten- dem Verbot des Besitzes zuvor in der JVA Bruchsal teuer erworbener Nagelscheren oder Teegläsern, über die indiskutable Praxis der Kleingruppenisolation, dem bloßen „Sich-selbst-Überlassen“ retardierter und ernstlich kranker Gefangener, bis hin zu diversen Todesfällen.
Scheinbare Kleinigkeiten
Für die Leserin oder den Leser dieses Beitrages ist die Nutzung einer Nagelschere wohl etwas Alltägliches; hier in der SV-Anstalt gilt sie als eine gefährliche potentielle Waffe. Was deshalb skurril anmutet, weil im vorangegangenen Strafvollzug in der JVA Bruchsal, die hiesigen Verwahrten problemlos Nagelscheren kaufen und besitzen dürfen bzw. durften.
Angesichts der zahlreichen Restriktionen, die Menschen in jeder Haftanstalt unterliegen, ist jede Form zusätzlicher Beschränkung besonders ärgerlich.
Selbst Rasierwasser, das Verwahrte zuvor in Bruchsals Gefängnis teuer kaufen konnten, wird ihnen hier in der SV dann verboten.
Ein Verwahrter, der aus der JVA Schwalmstadt nach Freiburg verlegt wurde, staunte nicht schlecht, als man ihm hier seinen großen Fernseher und den Besitz der X-Box, nebst PS-3 verbot – obwohl er doch alles dort in der hessischen JVA gekauft und in Besitz hatte.
Kleingruppenisolation
Während es in anderen Bundesländern ganz normal ist, dass sich Sicherungsverwahrte in der Einrichtung frei bewegen und gegenseitig besuchen, sind in Freiburg die SV-Stationen hermetisch voneinander getrennt. Nur zu festgesetzten Zeiten kann man einander besuchen; und wer auf der „Station 2“ wohnt, auch nur dann, wenn er eine Woche im Voraus einen begründeten, schriftlichen Antrag stellt, der dann, sofern er bewilligt wird, zu einem einmaligen Besuch auf einer der anderen drei SV-Stationen berechtigt.
Verwahrte, die sich mitunter seit Jahrzehnten kennen, werden so voneinander fern gehalten, alles unter dem Blickwinkel: Therapie und Sicherheit. Angeblich soll so verhindert werden, dass Verwahrte einander schädlich beeinflussen oder drangsalieren.
Sich-selbst-Überlassen retardierter Verwahrter
Man muss nichts beschönigen: in der Sicherungsverwahrung treffen wir vielfach auf Menschen, die verhaltensoriginell agieren (Psychiater würden von Persönlichkeitsstörungen sprechen).
In all der Buntheit und Vielfalt sonderbarer Verhaltensmuster strahlt der Vollzugsalltag. Aber selbst hier gibt es dann Menschen, die besonders hervor stechen; die, sich selbst überlassen, in ihren Zellen vermüllen, die sich regelmäßig einkoten, die Notdurft in das Waschbecken verrichten, die, die ohne Unterbekleidung über den Flur irren, die nachts über Stunden wie ein (einsamer) Wolf heulen, die mit sich selbst lautstark sprechen.
Bei zwei Mitverwahrten reinigt ein anderer Verwahrter wöchentlich mindestens einmal, meist mehrfach die jeweilige Zelle, richtet ihnen die Wäsche und übernimmt gewissermaßen pflegerische Funktionen. Ein irgendwie gesteigerter Betreuungsaufwand durch das JVA-Personal konnte bislang nicht beobachtet werden.
Dann bleibt es nicht aus, dass solche Menschen sterben, so wie Karl am 11.11.2014, der über Wochen mit wunden Füßen und Beinen über den Flur schlich, zuletzt dann auch ohne Unterbekleidung, da sein Hoden abnorm vergrößert war.
Mitverwahrte waren und sind der Ansicht, hier wurde ein Mensch sehenden Auges sich selbst überlassen (noch ermittelt die Staatsanwaltschaft Freiburg u.a. gegen den Leiter der Anstalt wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen).
Todesfälle
Nicht nur Fälle wie jene von Karl bewegen dann besonders die Bewohner hier, sondern auch der plötzliche Tod von Mario am 19.01.2014, der tot im Freizeitraum aufgefunden wurde, oder jener von Reinhold. Der starb zwar in Freiheit, aber er wurde erst entlassen, nachdem er fast 10 Jahre in der SV zugebracht hatte und man ihm einen Unterschenkel amputierte. Weitestgehend unbeweglich im Rollstuhl sitzend verbrachte er die Monate bis zu seinem Tod in einer Wohnung.
In der Zelle, in der ich lebe, ist wenige Monate vor meinem Einzug ein Insasse tot aufgefunden worden.
Gerade weil hier weitere Mitverwahrte krank sind, über 60 oder über 70 Jahre, einige sehr übergewichtig (bis zu 200 kg), oder auch anorektisch, muss mit weiteren Todesfällen gerechnet werden.
Sicherlich gehört das Sterben zum Leben dazu, auch hinter Gefängnismauern. Nur geht selbst der juristische Leiter der Anstalt, Oberregierungsrat R. davon aus, dass jährlich lediglich ein bis zwei Verwahrte entlassen werden. Simple Mathematik lässt einen dann zu dem Schluss kommen, dass das bedeuten wird, ein Großteil der jetzigen Insassen muss hier sterben. Denn ein heute 60, 65 oder 70 jähriger Insasse wird wohl kaum noch 10, 15 oder 20 Jahre leben.
Die Hoffnung
Trotz der Allgegenwart des Todes flammt immer wieder der Funken Hoffnung auf; die Vorstellung vieler, zu jenen Glücklichen zu gehören, die eines Tages vielleicht doch lebend die Anstalt Verlassen, lässt sie durchhalten und vieles aushalten.
Sicherungsverwahrung schließt sich an den Strafvollzug an, d.h., alle Insassen haben die ihnen zugemessenen Strafen voll verbüßt, sitzen also jetzt nicht (mehr) zur Strafe ein, auch wenn der Vollzugsalltag sich kaum von dem im Strafvollzug unterscheidet. Und sie wissen, wenn sie sich therapeutischen Maßnahmen entziehen, sinken die Chancen gegen Null jemals auf freien Fuß zu kommen. Also versuchen sie die Hoffnung am Leben zu halten.
Ausblick
Bald 20 Jahre befinde ich mich ununterbrochen in Haft, davon die erste Dekade in Isolation. Diese Zeit zu überstehen ist mir wesentlich dadurch gelungen, weil es stets solidarische Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen gab und nach wie vor gibt. Die schreiben, mich besuchen, helfen, wo sie können. In diesem Punkt geht es mir ungleich besser als den meisten der Mitverwahrten, auf die niemand wartet, die niemand besucht, denen keiner schreibt.
Da ich 1997 verurteilt wurde, also vor einer mittlerweile berüchtigten Reform der CDU-FDP-Koalition im Jahre 1998, als man die Dauer der erstmaligen Unterbringung in der SV von maximal 10 Jahren auf faktisch „lebenslang“ erhöhte, baue ich darauf, am 07. Juli 2023 entlassen zu werden. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte in mehreren Urteilen seit 2009, dass diese Praxis der BRD gegen die Menschenrechte verstoße: rückwirkend dürften Strafen nicht erhöht werden. Und nach Ansicht des EGMR handele es sich bei der Sicherungsverwahrung um Strafe, da diese in einem Gefängnis, unter strafvollzugsähnlichen Bedingungen vollzogen werde. Mich dem therapeutischen Diktat zu unterwerfen, das ist keine Option für mich; auch wenn das Landgericht Freiburg wissen ließ, eine Freilassung vor 2023 sei dann recht unwahrscheinlich. Auf dieser Rechtslage des EGMR bauen, bedeuten nicht, ihr zu vertrauen, denn Gerichten können wir nicht vertrauen, sie sind staatliche Organe. Faktisch bleibt mir jedoch zurzeit nichts anderes übrig. So werde ich ab 21. 9. 2015 die Haft sinnvoll nutzen, um das Abitur nach zu holen und besuche die Gefängnisschule.
Es kommt nicht nur darauf an frei zu kommen, sondern auch auf den Weg der dorthin führt.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8
79104 Freiburg
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