„Für eine neue, kämpferische Position des anarchistischen Aufstands – Für einen Schwarzen Dezember“

(gefunden auf: urbanresistance.noblogs.org)

von Panagiotis Argriou (CCF) & Nikos Romanos
( Übersetzung aus dem Englischen (Nov. 2015) Der Aufruf kommt von zwei griechischen Anarchisten, welche zur Zeit im Gefängnis sind.)

* * *

I hate the individual who bends his body under the weight of an unknown power, of some X, of a god.
I hate, I say, all those who, surrendering to others, out of fear, out of resignation, a part of their power as a man, are not only crushed themselves but crush me, and those I love, under the weight of their frightful cooperation or their idiotic inertia.
I hate, yes, I hate them, for I sense it, I do not bow before the officer’s braid, the mayor’s sash, the capitalist’s gold, moralities or religions; for a long time I have known that all of this is just baubles that can be broken like glass.

Joseph Albert (Libertad)

* * *

Es gibt Phasen in der Geschichte, in denen die Zufälligkeit einiger Ereignisse dynamische Veränderungen verursachen kann, die fast alleine in der Lage sind Raum und Zeit anzuhalten.

Es war Samstag Abend, am 06.12.2008, als der Höhepunkt eines Konflikts zwischen zwei Welten innerhalb weniger Momente stattfand. Auf der einen Seite die jugendliche, enthusiastische, spontane und ungestüme aufständische Gewalt; auf der anderen Seite das offizielle, staatliche Verfassungsorgan, welches die Legitimation des Gewaltmonopols durch Repression beansprucht.

Nein, es geht nicht um ein unschuldiges Kind und einen paranoiden Bullen, die zur falschen Zeit am falschen Ort zusammentrafen. Es geht um einen rebellischen, jungen Genossen, der einen Streifenwagen angriff, in einem Gebiet, in dem Zusammenstöße mit den Repressionskräften üblich sind, und um einen Bullen, der in demselben Gebiet patrouillierte und in persönlicher Auslegung über Ehre und Ansehen der Polizei, sich entschied auf eigene Faust gegen Unruhestifter vorzugehen. Es war ein Konflikt zwischen zwei gegensätzlichen Kräften: auf der einen Seite der Aufstand, auf der anderen die Macht, in welchem die Protagonisten jeweils ihre Seite vertraten.

Die Ermordung von Alexandros Grigoropoulos durch den Bullen Epameinondas Korkoneas und die darauf folgenden schweren Riots, verursachten einen mächtigen, sozialen Elektroschock, weil das Bild des „sozialen Friedens“ zersplitterte und die Existenz dieser beiden gegensätzlichen Welten sichtbar wurde; in der greifbarsten Weise Situationen auslösend, von denen es kein einfaches Zurück mehr gab, zumindest nicht ohne Ereignisse hervorgebracht zu haben, deren Wucht von niemand mehr ignoriert werden konnte.

Die Revolte 2008 erschütterte eine Gesellschaft, die in ihrer Mehrheit das Konsumglück und den westlichen Lebensstil genoss und die unvermeidlichen Konsequenzen der aufkommenden, wirtschaftlichen Krise ignorierte. Sie verursachte Verlegenheit, Taubheit und perspektivische Lähmungen, weil die Mehrheit der Gesellschaft nicht in der Lage war, zu verstehen woher so viele tausende Randalierer kamen, die Unruhen von solcher Spannung schufen.

Als Nachwirkung der Rebellion beteiligten sich zahlreiche Intellektuelle, politische Analysten, Professoren, Soziologen, Psychologen, Kriminologen und sogar Künstler an der öffentlichen Debatte, wobei sie alle Vorteile für ihr berufliches Prestige daraus zogen, nicht nur um den Dezember 2008 zu interpretieren, sondern auch um ihn zu verfälschen, indem sie den Verlauf verfälschten und gemeinsam jede Gewalt verurteilten, egal woher sie kommen mag, womit sie klar stellten, was ihre soziale Funktion ist.
Es gibt noch viel mehr, das über den Dezember 2008 und sein aufständisches Erbe gesagt werden muss, was sich durch dutzende Aktionsgruppen manifestiert hat, die sich explosionsartig im ganzen Land verbreiteten und eine neue Front der inneren Bedrohung kreierten. Eine Zeit, in der anarchistische, direkte Aktionen die soziale Normalität beinah täglich unterminierten. Aber was wir vor allem wollen, ist Erinnern…

Unterwegs mit Alfa TV am 17. November 2015 in Exarchia:

Erinnern an das, was der Dezember 2008 war und wie Anarchie, in führender Rolle, sich an Demonstrationen und dynamischen Situationen beteiligte, welche Resonanz in der internationalen, anarchistischen Bewegung auslösten.

Erinnern an die Zeit, als Anarchie die Angst vor Verhaftung, Gefangenschaft und gewaltsamer Repression überwand und dafür ein riesiges Selbstvertrauen bildete, was zu Aktionen und Gesten führte, die bis dahin unmöglich zu sein schienen; ein Selbstvertrauen, welches sich in der ganzen Spanne anarchistischer, polymorpher Aktionen ausdrückte, von einfachen öffentlichen Interventionen, Besetzungen, spontanen Konfrontationen, bis zu mehr organisierten Angriffen.

Wir wollen erinnern an unseren jungen Genossen, der seiner Spontaneität schuldig war, für die er mit seinem Leben bezahlte. Unter anderen Umständen hätten wir an seiner Stelle sein können, so wie uns derselbe, aufständische Enthusiasmus antreibt. Und außerdem, JEDE/R sollte sich an seine Wurzeln erinnern anstatt sie auszutreiben.

Wir wollen erinnern an die Schönheit einer Lähmung des sozialen Raum- Zeitgefüges, durch kleinere und grössere, soziale Kurzschlüsse.

Wir wollen erinnern, wie gefährlich Anarchie werden kann, wenn die Anarchie es möchte…
(…)

* * *

This is the way we learn humility.
How many times have people sat
and waited alone in a house
waiting for the comrades
to come back?
The battle is planned
Every minute is accounted for
Every person knows her job
All care has been taken.
Tonight, how many guerrillas are fighting battles?
Tonight, the radio reports
the police are attempting to drive
hundreds of demonstrators back from the streets.
Rocks are flying,
you can hear the chants, the breaking glass,
the sirens behind the nervous newsman’s patter.
Eleven o’clock.
Not done yet.
How many have been done before us?
The line stretches back
through history.
How many are there still to do?

— The Proud Eagle Tribe of the Weather Underground

* * *

Beginnen wir mit einer einfachen Beobachtung, es gibt den dringenden Bedarf, eine Strategie zu zeichnen, mit vielseitigen anarchistischen Aktionen in ihrem Kern. Diese wird mit der Macht und deren Exponenten frontal zusammenstoßen. Wir sind überzeugt, dass der Beitrag eines weiteren theoretischen Vorschlags über anarchistische Organisierung nicht erfolgreich wäre, wenn er in dem verengten Rahmen ideologischer Starre bleiben würde. Wenn wir nicht versuchen unsere täglichen Widersprüche zu entschärfen, durch Handlungen, welche die Gesamtheit des Befreiungskampfes ergänzen, sind wir dazu verdammt in den Fluten der Selbstbezogenheit zu ertrinken, die anarchistische Kreise pervertiert.

Wir glauben, dass um unsere Strategie umzusetzen – die Achsen, mit denen Bezugsgruppen, polymorpher Kampf und anhaltender, anarchistischer Aufstand verbunden werden – unsere Stärke, unser Schwung, unsere Fähigkeiten und unsere Grenzen, einem Praxistest unterzogen werden sollten. Auf diese Weise wird es uns möglich sein, unseren Zustand aufgrund aktueller Kampferfahrungen zu bestimmen und nicht durch theoretische Verrenkungen. Wir erleben den Anfang vom Ende der Welt, wie wir sie kennen.
(…)

Wir befinden uns in einem Prozess der qualitativen Aufwertung der „zivilisierten Kriegsführung“, in dem des einen Glück koexistiert mit der Qual eines anderen; innerhalb dieser neuen Umgebung gestaltet sich das Auftreten der Zeitgenossen genetisch geeignet, um diese kranke Art in einer degenerierten Welt zu leben, in der all die Brutalität der Natur verschwunden ist zugunsten einer urbanen Erneuerung und den starken Tendenzen der gekünstelten Konditionen der Zivilisation zu akzeptieren. Wir leben unter industriellen Nagetieren, welche eine kontrollierte Diät halten, in einem kontrollierten Umfeld. Sie haben sich zu sozialen Vorbildern gemacht, welchen man folgen muss, um zu überleben.

In dieser Umgebung bekommt Anarchie eine strategische Möglichkeit alle Formen der politischen Repräsentationen in Flammen aufgehen zu lassen, um in einem offen unorthodoxen Krieg zu einer dominierenden Front zu werden. Diese wird die Vielzahl der Sichtweisen innerhalb der anarchistischen Szene zu einem Vorteil machen und wird die Unterdrückten – jene, welche sich entscheiden die Ketten ihrer Unterwerfung zu sprengen – in Zentren der kämpferischen Auseinandersetzung zusammenbringen. Oft können die wichtigsten Beobachtungen auf dem einfachsten Weg gesagt werden.

Wir wollen sehen, dass die Welt der Macht durch die bewaffneten Hände rebellierender Männer und Frauen zerstört wird. Somit überwinden wir den theoretischen Rahmen und bringen den gewichtigen Diskurs zurück ins Feld an den Punkt, an dem Steine unsere Hände verlassen, um auf dem Schädel eines Cops einzuschlagen, der Punkt, an dem wir uns entscheiden die Fesseln der Gefangenschaft zu zerschneiden, der Punkt, an dem sich subversive Mittel kämpferisch in den Straßen manifestieren, der Punkt, an dem die Zeiger des Zeitzünders so ausgerichtet sind, dass sie den mörderischen Nebel der legalen Ordnung sprengen wollen.

Um den vorgegebenen Diskussionsfluss umzukehren, sprechen wir nicht im Voraus über die Art und Weise in der wir agieren sollten, wir schlagen jedoch eine Koordination anarchistischer Aktionen und einen informellen Austausch der anarchistischen Projekte über die Stärke der polymorphen Aktionen vor; Wir werden somit in der Lage sein unsere Fehler und Schwächen ausfindig zu machen, indem wir unser Potential messen und eine kritische Einschätzung treffen, welche die Grundlage unserer Strategie sein wird, die die frontale anarchistische Aktion gegen jede Autorität begünstigt.

Unsere Idee, den Rahmen auszuweiten hin zu einer facettenreichen, aufständischen, anarchistischen Front, ist einfach; eine Aktionskampagne mit dem Namen ‘Schwarzer Dezember’, welche der Zünder für einen Neustart anarchistischen Aufstands, innerhalb und ausserhalb der Knäste, sein wird.

Ein Monat voller koordinierter Aktionen, um sich kennen zu lernen, auf die Straße zu gehen und die Schaufenster der Kaufhäuser zu zerschlagen, Schulen, Universitäten und Rathäuser zu besetzen, Texte zu verbreiten, die die Botschaft der Rebellion streuen, Brandsätze gegen Faschisten und Bosse zu legen, Banner an Brücken und großen Straßen aufzuhängen, die Städte mit Plakaten und Flyern zu überschwemmen, Häuser von Politikern zu sprengen, Mollies auf Bullen zu schmeißen, Parolen an Wände zu sprühen, den reibungslosen Warenfluss zur Weihnachtszeit zu sabotieren, zur Schau gestellten Reichtums zu plündern, öffentliche Aktivitäten durchzuführen und Erfahrungen rund um verschiedene Themen von Kämpfen auszutauschen.

Um sich in den engen Gassen der Stadt zu treffen und die hässlichen Gebäude zu bemalen, Banken, Polizeistationen, multinationale Konzerne, Militärkasernen, Fernsehstudios, Gerichte, Kirchen.

Um die tödliche soziale Gleichmäßigkeit psychotropischer Drogen, ökonomischen Erstickens, Elends, Verarmung und Depression auf tausend verschiedene Weisen, zu deregulieren und unsere Existenz im Rhythmus des anarchistischen Aufstands zu regulieren, in dem Leben eine Bedeutung hat; im endlosen Kampf gegen die Herrschaft und ihre Repräsentanten. Um den zerbrechlichen sozialen Zusammenhalt in Brand zu stecken und auf die Straße zu gehen, um die ersten zu sein, die das Monster der Ökonomie ersticken, bevor es uns mit seinem bürokratischen Mechanismus und seinen Killern in Anzügen, welche die Zentren der ökonomischen Kriegsführung leiten, ausrottet.

Der Schwarze Dezember strebt nicht bloß nach einigen Tagen der Ausschreitungen; sondern was wir schaffen wollen ist – durch vielseitige und unterschiedliche Formen der anarchistischen Aktion – eine informelle Koordinierungsplattform, auf einer Basis, die subversive Impulse zusammenführt, zu kreieren; vor allem ein Versuch einer informellen Koordinierung der Anarchie, über den bisherigen Rahmen hinaus, welche danach strebt eine eigene Erfahrung des Kampfes auszubilden, als auch beides, die subversiven Vorschläge und die Strategien des Kämpfens, in Bewegung zu bringen.
Unser Vorschlag ist gleichzeitig mit ähnlichen Vermächtnissen des Kampfes verbunden, die über unsere geographischen Grenzen hinaus gehen. Vor einigen Monaten hat in Mexiko eine Gruppe von GenossInnen die nationale Wahlbehörde mit einem Sprengsatz angegriffen und zu einer polymorphen und dynamischen Anti-Wahl Kampagne, zu einem Schwarzen Juni, aufgerufen, welche von einem großen Teil der anarchistischen Bewegung mitgetragen wurde.
Wahllokale und Ministerien gingen in Flammen auf, Zusammenstöße mit Bullen weiteten sich in den Strassen der Städte aus, öffentliche Versammlungen wurden abgehalten und Texte mit anarchistischer Propaganda gegen die Wahl wurden verteilt. Ein Mosaik vielseitiger Aktivitäten, mit unterschiedlichen politischen Bezügen und Ausgangspunkten, mit denen die Anarchie auf den Wahlzirkus der Demokratie geantwortet hat. Dafür nutzten sie die Prinzipien der Horizontalität, informelle Koordinierung und den ständigen Aufstand als Werkzeug. Solche Erfahrungen des Kampfes, wo kollektive Vorstellungen und Entschlossenheit Brennpunkte des Befreiungskrieges schaffen, machen klar, dass es ein Aussicht auf die faktische Abschaffung der wohl bekannten Pseudo-Gegensätze zwischen legal und illegal gibt. (…)

Die Hoffnung auf die Subversion bleibt offen: das Schicksal dieses Vorschlags liegt in den Händen von GenossInnen aus dem ganzen Spektrum des Kampfes, wer glaubt, dass es das wert ist, setze ihn in Bewegung.

“The first night in the cell, thoughts from his free life were traveling in the neurons of his brain at breakneck speed. He knew that captivity is the logical consequence of confrontation with an enemy holding the superior firepower on all levels.
For those who have sabotaged the rail tracks of the train of terror belonging to a social reality that in every possible way exterminates those who are putting it into question, the prison bars will be a reality; but, of course, this doesn’t mean such a reality will be accepted without a fight.
With these thoughts in his head, he closed his eyes and dreamed not what he would like to live outside the walls but the longstanding nightmare of inertia, waiting, and tampering of one’s instincts.
The next morning, facing the monotony of a captive repeated daily routine for the first time, he was already sick of being patient; he had seen it aimlessly traveling through the labyrinths of tolerance in the first signs of a covert cowardice. He locked his hatred in the suitcase of intact emotions next to his love for freedom, and handed the key over to a comrade, asking him to leave it next to the graves of murdered comrades who have fallen in combat with the enemy.
The years passed, and the only thing that prison managed to do to him was fill him with wrath, make him impatient for what it to come, make him look for ways to practice anarchist warfare; he had by then realised that the only feasible alliance is the one with the world of probabilities.
A bunch of probabilities to convince the majority of people in this society that his choice is not something between madness and a deadlock, but enough ones to make it worthwhile to wager on them for the great idea of destruction. The great idea of a head-on collision with the world of shadows and its submissives. The prison door opens, and now he knows what to do; keep the memory alive, leave no space for oblivion, never forget the comrades left behind, pick up the thread of insurgency from where it was interrupted, pour the poison of insubordination into the reproduction networks of the capitalist society.
For lasting anarchist insurgency!
No truce with Power and its puppets!”

Für einen Schwarzen Dezember!
Für die anarchistische Offensive gegen die Welt der Macht!

PS: Am 11. Dezember vor zwei Jahren verlor unser Bruder Sebastián ‘Angry’ Oversluij während eines bewaffneten Bankraubs in Chile sein Leben durch die Schüsse eines uniformierten Dieners des Systems. Wir glauben, dass dieser Schwarze Dezember eine Chance ist, die Erinnerung an unseren anarchistischen Bruder zu ehren, wobei anarchistische Erinnerung und das Überwinden von Grenzen und Entfernungen durch die Praxis vereint werden.

Nikos Romanos
Panagiotis Argirou
, Mitglied der Verschwörung der Zellen des Feuers – FAI/IRF

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