Im Augustin 439 vom Juni 2017 ist dieser wichtige Text zu finden gewesen.
Fabrik hinter Gittern
Soziales Vorzeigeunternehmen GEA baut seine Kooperation mit Justizanstalt Krems-Stein aus
Resozialisierung?
Der Arbeit der Häftlinge kommt eine zentrale Rolle zu. Nicht nur hält ihre Leistung wichtige Teile des Gefängnisbetriebs aufrecht, denkt man an die Knastküche, Wäscherei, Landwirtschaftsbetriebe und Schlossereien; in Haft werden zynischerweise sogar die Gitterstäbe selbst produziert. Mit externen Auftraggeber_innen finanziert die Justiz auch rund 10 Prozent des jährlichen Budgets des Strafvollzugs, drückt damit also die Kosten seines Gefängnissystems. Häftlinge, die dazu nicht beitragen wollen und die Arbeit verweigern, können sogar mit Geldstrafen belegt werden. Glaubt man Arno Pilgram, ist dies in der Praxis aber eher die Ausnahme. Die meisten Inhaftierten wollen arbeiten: «Es ist ja elendig, den Großteil des Tages in der Zelle zu verbringen, da ist Arbeit eine Abwechslung.» Arbeit fungiert hinter Gittern aber auch als gewichtiges Mittel der Disziplinierung: «Oft haben nur jene, die arbeiten, Zugang zu anderen Dingen. Es ist eine kleine Verdienstmöglichkeit, wenn auch nicht gigantisch. In den Arbeitsbetrieben wirst du oft auch normaler behandelt.»
Dass die Verdienstmöglichkeiten in Haft tatsächlich keine gigantischen sind, zeigt eine Tariftabelle der Justiz: Externe Unternehmen bezahlen 9,70 Euro pro Arbeitsstunde. Dass das so billig geht, liegt daran, dass es für Häftlinge weder Pensions- noch Krankenversicherung gibt, die Lohnnebenkosten also entfallen. Den Inhaftierten wird davon aber noch 75 Prozent «Vollzugskostenbeitrag» abgezogen, weshalb letztlich nur zwischen 1,40 und 1,90 Euro übrigbleiben. Bei einer 30-Stunden-Woche sind das 175 Euro im Monat, wovon wiederum die Hälfte in die sogenannte Rücklage für die Zeit nach der Entlassung geht. Der durchschnittliche Gefangene hat somit rund 90 Euro im Monat zur Verfügung, um sich «Luxusartikel» wie Tabak oder ein Fernsehgerät zu leisten oder auch das meist wenig beglückende Gefängnisessen zu verbessern.
Made in Häfn?Im zweitgrößten Gefängnis Österreichs, der Justizanstalt Krems-Stein, lassen viele Unternehmen kleinere Arbeiten von Häftlingen verrichten. Auch GEA ist kein Neuling und lässt dort schon seit Jahren Kuverts herstellen. Ob eine Arbeit im Kuvert-Sektor zu größeren Jobchancen nach der Haft führt ist noch mal eine ganz andere Frage.
Das Waldviertler Unternehmen ist einer der bekanntesten am Gemeinwohl orientierten Wirtschaftsbetriebe Österreichs, der Einkommensunterschiede in der eigenen Belegschaft beschränkt und das gesamte Geschäft in Zukunft in einer Genossenschaft, also im kollektiven Besitz vieler Teilhaber_innen, aufgehen lassen will. Heini Staudinger, der GEA 1984 als Sozialverein gegründet hat, fasst die Firmenpolitik folgendermaßen zusammen: «Es geht uns nicht um Schuhe oder Möbel, es geht ums große Ganze.» Groß ist die Firma auch geworden, denn mittlerweile verkauft sie über 200.000 Paar Schuhe im Jahr, hat ein Sortiment an Möbeln, Taschen und anderem und beschäftigt rund 300 Mitarbeiter_innen.
Auf eine persönliche Bitte des Justizministers Wolfgang Brandstetter, mehr in Justizanstalten fertigen zu lassen, stieg GEA prompt ein: In Zukunft will man im Jugendgefängnis Gerasdorf gefertigte Feuerkörbe und in der Justizanstalt Krems-Stein produzierte Fleckerlteppiche ankaufen und vertreiben. Staudinger betont, dass es dabei «vollkommen uninteressant ist, ob wir was verdienen oder nicht». Vielmehr gehe es um eine «Würdigung der Arbeit der Gefangenen».
Idealismus?
Besonders in der Schuhproduktion sei viel Übung nötig, um Qualität herzustellen, man wolle es aber dennoch mit Häftlingen probieren. GEA sei noch «Lichtjahre» davon entfernt, von einer Zusammenarbeit mit den Justizanstalten profitieren zu können, so Staudinger. Denn bis in Stein produzierte Schuhe wirklich in den Verkauf gehen könnten, dauere es noch Jahre. Es gehe einzig um Idealismus: «Ich glaube ganz im Ernst, dass alle, die mit uns zu tun haben, eine Freude mit uns haben – nicht nur die Häftlinge, auch das Personal», gibt sich Staudinger beim Gespräch in seinem Büro überzeugt. «Die ganze Arbeitswelt ist unheimlich verdorben mit Zeitdruck. Im Häfn findest du den Zeitrahmen, wo du was sorgfältig in Ruhe machen kannst. Ich sage nicht, dass das im Häfn alles super ist. Ich möchte auch nicht im Gefängnis sein, aber ich würde gern so arbeiten wie die in der Schusterwerkstatt dort.» Da Häftlinge in der Justizanstalt Stein nicht selten zehn oder mehr Jahre einsitzen, könnten sie während ihrer Haftstrafe eine relevante Ausbildung absolvieren und Arbeitspraxis sammeln, so der Tenor. Dass das Justizministerium jetzt schon in seiner Presseaussendung titelt: «Waldviertler Schuhfabrik lagert einen Teil der Produktion nach Stein aus», sei, so Staudinger,«völlig absurd», weil es bis dorthin noch ein «braader Weg» sei.
Aus Sicht des Ministeriums ist es natürlich eine gute Gelegenheit, den unter Dauerkritik stehenden Strafvollzug in ein soziales und ökologisches Licht zu rücken. Unternehmen wie GEA könnten hier andocken und den Forderungen Gefangener Nachdruck verleihen. Denn Häftlinge kritisieren die fehlende Pensions- und Krankenversicherung und das fehlende Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Daran könne er nichts ändern, meint Staudinger dazu. Tatsache ist aber, dass im Gefängnis produzieren lassende Unternehmen durchaus ihre Macht ausspielen und bestimmte Arbeitsbedingungen sowie Löhne einfordern könnten. Und damit auch zeigen, wie (re)sozial(isierend) sie wirklich sind.
Eine Frage darf man also durchaus noch stellen: Wo bleibt jetzt der Justizrebell?