Quelle: buuu.ch-Blog
Kinderbücher über Knast gibt es nicht viele, daher ist dieses hier jedenfalls ein besonderes.
Das Buch beginnt um 14 und endet um 15 Uhr, eine Stunde Besuchszeit, eine Stunde in der Woche Kontakt zur Außenwelt. Erzählt wird sie vom namenlos bleibenden Kind. Die Bilder sind hart, dunkel, eintönig, beklemmend.
Wir wissen nicht, warum Papa im Knast ist, was er gemacht hat und wie lange er dort bleiben muss. Lang offenbar, denn irgendwann wird es ein Wettrennen zwischen Vater und Sohn geben und letzterer wird gewinnen, da ist das Kind sich sicher, weil Papa dann viel zu alt sein wird.
Im Knast gibt es gute und schlechte Tage. Der Sohn lernt diese zu unterscheiden anhand des Parfums, das Papa benutzt und das Oma ihm geschenkt hat. An guten Tagen riecht er nach Haselnuss und sein Lachen bringt Wärme.
Papa ist keine einfache Persönlichkeit. Er hat Ecken und Kanten und manchmal hasst sein Sohn ihn, vor allem wegen dem Kummer, dem er seine Mutter bereitet. Seine Wut, seine gewalttätigen Ausraster wegen der schlechten Noten oder seine Tränen sind auch Grund genug für das Kind. Und doch will der Sohn sein wie der Vater, wegen der Muskeln, weil er lustig ist und Vogelstimmen nachmachen kann.
Wir bekommen einen Einblick ins Leben des Kindes und wie es ist mit regelmässigen Besuchen in der Haftanstalt aufzuwachsen. Denn Papa ist nicht abwesend, er ist Teil der Kindheit, nur eben auf andere, oft schmerzhafte Art und Weise.
Liebe und Hass: Die Ambivalenz, die Mutter und Sohn begleitet, zieht sich als roter Faden durch dieses Buch – der Verlag empfiehlt es ab 4 Jahren. Eine Ambivalenz, die Menschen oft in sich tragen, die Familienangehörige oder Freund_innen hinter Gittern haben und diese regelmäßig besuchen. Papa ist kein Strahlemann und das Gegenteil von perfekt, aber trotzdem der Papa und wird bedingungslos geliebt und manchmal gehasst. So ist das eben.
Das Gefängnis ist ein beschissener Ort. Für alle, egal ob vor oder hinter den Mauern. Das geht klar hervor aus dieser traurigen Geschichte. Im Knast sitzen vor allem arme Menschen, oft wegen Banalitäten, und für viele Familien ist Knast Teil ihrer Lebensrealität. Für Kinder, deren Eltern oder andere Familienangehörige Freiheitsstrafen verbüßen, ist die Wahrscheinlichkeit selbst ins Knast zu kommen, um ein Vielfaches höher als für andere. Dafür gibt es zwar keine offizielle Statistik, denn wer will das schon beforschen, allerdings ist das meine persönliche Erfahrung im Kontext von über 10 Jahren Kinder- und Jugendarbeit mit armutsgefährdeten jungen Menschen.
“Haselnusstage”, eine Übersetzung aus dem Französischen, schildert EINE Sicht der Dinge ohne moralische Bewertungen, politische Ausrichtung oder gut gemeinten Ratschlägen für Betroffene. Es macht niedergeschlagen, traurig, wütend und bietet keinen Ausweg, kein Happy End. Aber es bricht das Schweigen, gibt Kindern mit Familienangehörigen im Knast eine Stimme und zeigt auf, wie einschneidend Knast für diese ist.
Emmanuel Bourdier: Haselnusstage (Minedition)