[USA] Brief von Eric King über "dry snitching" aus dem Knast vom 01. Mai 2018

Quelle: support eric king, übersetzt von ABC Wien

„Bevor ich ins Gefängnis kam hatte ich den Begriff „dry snitching“ noch nie gehört, aber das Konzept ist ziemlich klar, es ist ein indirektes verpfeifen. „Dry snitching“ bedeutet jemanden auf indirekte Art und Weise zu verraten. Das klingt vielleicht so, als wäre es keine große Sache, aber glaub mir wenn ich dir sage, „dry snitching“ wird dich verletzen, es ist verdammt beschissen. Wenn du das tust, bist du ein*e Verräter*in.

Sagen wir mal, du hast verbotenerweise ein Kissen in deiner Zelle und die Schweine nehmen dir, aber niemandem sonst, das Kissen weg. Du bist daraufhin wütend und motzt die Cops an „Jeder hier hat ein Kissen – warum nehmt ihr nur meins weg?“ Dann war das „dry snitching“. Oder ein Cop sucht nach einem Besen und du sagst ihm ganz ahnungslos „oh der ist in Joe’s Zimmer…“ – es klingt harmlos aber wer weiß, was sonst noch in dem Raum ist und du hast den Cop gerade dorthin geschickt.

Hier im Knast können wir telefonieren und E-Mails schreiben. Beides wird sehr stark überwacht. Eine eklige und unbeabsichtigte Art jemanden im Knast zu verraten, ist in E-Mails über Dinge die im Knast vorgehen zu schreiben. Du erzählst es den Cops zwar nicht offiziell, aber du verpfeifst zu 100 %. So zum Beispiel, wenn du dich in einer E-Mail an deine*n Partner*In darüber aufregst, dass jemand Zwiebeln oder irgendwas aus der Küche klaut. Diese Person wird dafür garantiert bestraft. Du hast sie verraten. Auch wenn es harmlos klang und du nur irgendeinen Kram mit deiner Familie teilen wolltest, kann es die Person in Bedrängnis bringen. Wir können das versehentliche „dry snitching“ immer verhindern, indem wir uns um UNSEREN EIGENEN KRAM KÜMMERN. Misch dich bei sowas nicht ein. Das ist so wichtig und entscheidend im Knast. Es ist kein Spiel. Es kann so viele potentiell hässliche Situationen vermeiden.

Vor kurzem habe ich von einem Gefangenen gehört, der absichtlich „dry snitching“ begangen hat und es brach mir das Herz und kotzte mich zur gleichen Zeit an. Diese Person fühlte sich offenbar mit seinem Zellengenossen nicht sicher und dachte, in Gefahr zu sein. Das ist verdammt beschissen und die widerliche Realität im Knast. Ein politischer Gefangener zu sein macht dich nicht immun gegen den täglichen Dreck, die Gewalt und die Scheußlichkeit des Knasts. Keiner wird es dir deshalb hier drin leichter machen. Wir existieren und funktionieren in der gleichen Realität wie alle anderen auch, etwas Anderes zu denken und zu erwarten ist elitär und plump. Unser Freund hatte einige Optionen: er hätte mit seinem Zellengenossen reden und dadurch vielleicht Probleme mit ihm bekommen können, er hätte versuchen können die Zelle zu wechseln, er hätte einchecken können (einchecken heißt, den Cops zu sagen, dass du dich unsicher fühlst und dann in eine separierte Knastabteilung zum Schutz umziehst), was auch immer. Er hat sich für die Möglichkeit entschieden, die niemals eine Option sein sollte. Er wandte sich entweder per Mail oder per Telefon an seine Lieben und erzählte ihnen in dieser überwachten Kommunikation, dass er sich von SEINEM ZELLENGENOSSEN bedroht fühlt. Er tat dies in dem Wissen, dass er nun von den Wärtern gerettet werden würde, es war kein Versehen. Es war nicht sein erster Tag im Knast. Das ist Verrat. Er hätte dies vielleicht niemals in einem Gerichtssaal ausgesagt, aber er hat Beweise gegen seinen Zellengenossen geliefert, so dass gegen diesen ermittelt wird… er hätte genauso gut eine verdammte Dienstmarke tragen können.

Denk an die ernsthaften Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Was, wenn der Zellengenosse Waffen oder Drogen in seinem Besitz gehabt hätte und er oder seine Zelle durchsucht worden wäre – das wären zusätzliche JAHRE zu seiner Strafe! Was, wenn eine Verlegung näher an sein zu Hause bevorgestanden hätte – das wäre jetzt vom Tisch. Oder wenn ein Besuch, ein Geburtstag eines Kindes oder so etwas bevorgestanden hätte. Dein Verrat hat dieser Person gerade die Möglichkeit genommen, für einen kurzen Moment frei zu sein, du hast einfach die Rolle der Cops übernommen – egal ob absichtlich oder nicht. Deine Angst war wichtiger als dass du einen anderen Menschen unterdrückst. Er hätte genauso gut einen Gefährten verraten oder die Person sein können, die mich an die Cops verraten hat – so hat es sich für mich angefühlt. Dafür gibt es keine Entschuldigung von niemandem, geschweige denn von jemandem der herrschaftskritisch gegen Unterdrückung, für die Freiheit eintritt. Unsere Angst berechtigt nicht, zum Verräter zu werden. Du kannst Eigeninitiative für deine Sicherheit ergreifen, ohne andere zu verraten. Niemand in der freien Welt schert sich darum, ob jemand eincheckt. Durch diese Aktion hat unser Freund eine sichere Verlegung und einen eigenen Hof bekommen, wo niemand hinterfragt, was und warum es passiert war. Aber wäre er in einen anderen, härteren Knast verlegt worden, hätte er auf verdammt viele Fragen antworten müssen, und niemand will oder braucht diese Probleme. Wenn du an ein Leben mit antiautoritären emanzipatorischen Ideen glaubst und es auch so lebst, kannst du nicht andere Leute verpfeifen, um deine eigene Situation zu verbessern – zumindest nach meiner Überzeugung.

Auf der anderen Seite kann es während der Untersuchungshaft Leute geben, die versuchen werden dich zu verpfeifen, in der Hoffnung ihre eigene Strafe auf deine Kosten zu verringern. Das wird „auf jemandes Schiff aufspringen“ (”jumping on someone’s ship”) genannt, z.B. „Josh ist auf Noahs Schiff aufgesprungen, um irgendwelche beliebigen Namen zu verwenden. Diese Person geht zur Staatsanwaltschaft und sagt, sie wird der Belastungszeuge gegen dich und so kann ihre Strafe vermindert werden. Das ist etwas, mit dem ich beim CCA konfrontiert wurde. Als mein Schuldeingeständnis bis auf die Unterschrift fertig war, fing ich an zu erzählen und ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass einer derjenigen, mit denen ich cool war versuchte, mit diesen Leuten über eine Strafreduktion zu verhandeln und im Gegenzug dann Dinge über mich zu erzählen. Ich fühlte mich wie ein verdammter Idiot, weil ich meine Schutzmauer habe fallen lassen und an einen verklärten Gefangenenkodex glaubte. Es gibt eine innere Sehnsucht mit Leuten zu reden, Dinge zu teilen, vielleicht auch sich in Pose zu stellen und anzugeben. Aber während der U-Haft müssen wir sehr vorsichtig sein, welche Informationen wir teilen und auch mit wem. Die Schweine nehmen große Anstrengungen auf sich, um dich fertigzumachen. Und Menschen werden sehr verzweifelt, wenn sie versuchen ihre Strafe zu reduzieren. Nicht jeder hier drin ist unser Freund, manchmal versteckt ein Lachen nur die Reißzähne.“

 

Ihr könnt Eric schreiben! Eine gute Gelegenheit dazu ist die monatliche Schreibwerkstatt, die im Juli ausnahmsweise mal am letzten Mittwoch des Monats, am 25.07.2018, stattfindet!

Eric King # 27090045
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