Freiheit für die russischen Antifaschisten!

Quelle: de.indymedia.org

In Russland sind zurzeit elf Antifaschisten und Anarchisten teilweise seit Monaten inhaftiert. Die Beschuldigten im sogenannten Fall Pensa (Penzenkoe Delo) beziehungsweise im Netz-Fall (Delo Seti) wurden von Beamten gefoltert und mit Gewalt zu Schuleingeständnissen gezwungen. Die Betroffenen brauchen unsere Unterstützung. Deshalb informieren wir an dieser Stelle ausführlich über den Fall und die Betroffenen sowie rufen dazu auf, sich an der Internationalen Woche der Solidarität mit den Inhaftierten vom 23. bis 30. August 2018 zu beteiligen.
Im Herbst 2017 wurden in Pensa, einer Stadt südöstlich von Moskau, sechs Antifaschisten und Anarchisten von der örtlichen Abteilung des russischen Geheimdienstes Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation (FSB) verhaftet. Ihre Wohnungen wurden durchsucht und hierbei einigen von ihnen Waffen und Sprengstoff unterschoben. Sie wurden von den FSB-Beamten im Untersuchungsgefängnis geschlagen und unter anderem mit Elektroschocks gefoltert. Sie sollten sich zur Gründung beziehungsweise Mitgliedschaft einer vom FSB ausgedachten terroristischen Organisation namens „Netz“ [auf Russisch: Set‘] bekennen. Außerdem wurden ihnen fingierte Geschichten vorgelegt, die sie auswendig lernen sollten. Im Januar 2018 wurden in Petersburg zwei weitere Antifaschisten verhaftet. Sie wurden ebenfalls gefoltert und verprügelt. Auch sie sollten gezwungen werden, sich selbst zu beschuldigen und zu bestätigen, Mitglieder von „Netz“ zu sein. Vor wenigen Wochen wurden noch einmal zwei Antifaschisten in Moskau verhaftet. Sie sitzen seitdem ebenfalls in Untersuchungshaft.

Die Grundlage der ausgedachten Beschuldigung durch den FSB zur vermeintlichen Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ scheint das Hobby der Inhaftierten zu sein. Denn sie trafen sich zu Airsoft-Spielen und Überlebensübungen im Wald. Erwähnenswert ist außerdem, dass nicht alle Beschuldigten miteinander befreundet waren und sogar für verschiedene konkurrierende Teams spielten, die in der absurden Phantasie des FSB vermeintliche terroristische Zellen der größeren terroristischen Organisation „Netz“ sein sollen. Nach Ansicht der Geheimdienstbeamten soll es neben der Gruppe in Pensa auch Zellen in Moskau, Petersburg und in Belarus gegeben haben. Das Ziel dieses Netzes soll laut FSB gewesen sein, während der russischen Präsidentschaftswahlen im März 2018 sowie der FIFA-Weltmeisterschaft im Juni und Juli diesen Jahres Anschläge zu verüben, um so die Situation im Land zu destabilisieren. Das heißt, die Inhaftierungen und ausgedachten Beschuldigungen gegen die elf Antifaschisten und Anarchisten stehen im direkten Zusammenhang mit der Verschärfung der Repressionen gegen Migranten und Aktivisten in den vergangenen Monaten.

Die ersten Verhaftungen begannen im Oktober und November 2017 in Pensa. Dort wurden fünf Antifaschisten inhaftiert.Der erste war Egor Zorin, ein Student an der örtlichen Universität, der seit am 18. Oktober nicht nach Hause gekommen war und, wie sich später herausstellte, sich bereits in Gewahrsam befand. Seine wahrscheinlich durch Folter erpresste Aussage scheint die formale Grundlage für die Einleitung des Strafverfahrens über eine „terroristische Gruppe“ gewesen zu sein, welche die Antifaschisten gegründet haben sollen. Da weder Genossen noch Journalisten seither Kontakt zu Zorin hatten, lässt sich diese Vermutung leider nicht abschließend klären. Auffällig ist aber, dass sich alle Beschuldigten in Untersuchungshaftbefinden, nur er steht unter Hausarrest.

Am 19. Oktober wurde Ilja Schakurskij, ein bekannter Aktivist aus Pensa, von Beamten des FSB regelrecht aufgelauert und in ihrem Fahrzeug entführt. Er wurde sowohl auf der Fahrt zur Polizeistation als auch während des Verhörs durch die Geheimdienstmitarbeiter geschlagen und massiv unter Druck gesetzt. Im Nebenzimmer hörte Schakurskijdie Schreie eines weiteren Beschuldigten, der gefoltert wurde. Es handelte sich hierbei um Wasilij Kuksov, der am selben Tag vom FSB überfallen, zusammengeschlagen und verhaftet wurde. Bei ihm wurde im Zuge einer Durchsuchung seiner Wohnung und seines PKW angeblich eine Pistole gefunden, die offenbar von den Beamten zuvor in seinem Fahrzeug platziert worden war.

Am 27. Oktober haben vier FSB-Mitarbeiter Dmitrij Ptschelinzevvor seinem Hausin Pensa überfallen, verprügelt. Ihm wurden seineWohnungsschlüssel gestohlen und seine Wohnung verwüstet. Es wurden Mobiltelefone, weitereSpeichermedien sowie offiziell registrierte Jagdwaffen des Schießlehrers beschlagnahmt. Wie auch beiKuksov „fanden“ die Beamten im PKW von Ptschelinzev zwei Handgranaten als weitere vermeintliche Beweise, die sie zuvor dort abgelegt hatten. Er wurde in Gewahrsam genommen und als mutmaßliches Mitglied einer „terroristischen Organisation“ verhaftet. Während der Verhöre wurde er nicht gefoltert, aber massiv bedroht, um ein Schuldeingeständnis zu erpressen.

Anfang November 2017 wurde Andrej Tschernov in Pensa und fast gleichzeitig mit ihm Arman Sagynbaev in Petersburg festgenommen. Die Umstände ihrer Festnahmen sind unbekannt. Zu Tschernov gibt es keinen Kontakt und Sagynbaev lehnt den Kontakt mit Genossen, Journalisten sowie Menschenrechtlern ab. Sicher ist aber, dass Sagynbaev ebenfalls gefoltert und ihm hierbei die Rippen gebrochen wurden. Außerdem hat er offenbar ein Schuldeingeständnis unterschrieben und andere Beschuldigte belastet. Denn bei einem zufälligen Treffen soll er sich bei Ptschelinzev dafür entschuldigt haben, dass er unter Folter gegen Dmitrij und die anderen Beschuldigtenfalsch ausgesagthat. Insgesamt haben aufgrund der Folter und massiven Bedrohungen offenbar fünf von sechs Festgenommenen in Pensa Schuldeingeständnisse abgeben.

Sagynbaev war in Petersburg gut vernetzt und kannte viele Aktivisten. Unter der Folter nannte er offenbar weitere Namen. Unter ihnen waren Igor Schischkin und Wiktor Filinkov, die so ebenfalls zu Beschuldigten und mutmaßlichen Terroristen wurden.

Der Antifaschist Wiktor Filinkov wurde am 23. Januar 2018 am Petersburger Flughafen auf dem Weg zu seiner Frau nach Kiew von sechs FSB-Mitarbeitern aufgehalten und abgeführt. Während des Verhörs folterten ihn die Beamtenmit Eletroschocks. Sie knebelten und schlugen ihn. Außerdem sollte er ein Geständnis auswendig lernen. Erst danach wurde eine Durchsuchung seiner Wohnung durchgeführt und er in die Petersburger FSB-Außenstelle gebracht. Beim Haftprüfungstermin am 25. Januar widerrief er sein Schuldeingeständnis und erzählte von Folterungen, deren Spuren von Menschenrechtsaktivisten dokumentiert werden konnten.

Am Abend des 25. Januars lauerten FSB-Mitarbeiter in Petersburg demprofessionellen Kletterer Ilja Kapustin auf. Sie folterten ihn mehrere Stunden in einem Auto mit einem Elektroschocker und drohten, ihm seine Beine zu brechen. Er sollte gezwungen werden, die Namen weiterer Antifaschisten zu nennen. Er wurde nicht festgenommen.

Einen Tag später, am 26. Januar,verschwand der Petersburger der Antifaschist Schischkin. Seine Familie konnte ihn zwei Tage lang nicht finden. In dieser Zeit wurde er offenbar vom örtlichen FSB gefoltert und hat ein Schuldeingeständnis unterschrieben. Beim Haftprüfungstermin waren Spuren von Schlägen zu sehen, die von den Beamten durch einen Schal verdeckt wurden. Bei ihm wurden ein Jochbeinbruch, Spuren von Wunden eines Tasers an der Hüfte, auf dem Rücken und an den Armen sowie zahlreiche Hämatome und Schürfwunden festgestellt.

SeitApril 2018 vergrößerte sich der Kreis der Beschuldigten erneut um den professionellen Kletterer und Aktivisten Julij Bojarschinov aus Petersburg sowie Mikhail Kulkov und Maxim Ivankin aus Moskau. Bojarschinovwurde bereits am 21. Januar 2018 festgenommen. Zunächst wurde er nicht in Zusammenhang mit den anderen Beschuldigten gebracht, was sich aber nach durch Folter erzwungene Selbstbezichtigungen spätestens am 11. April 2018 änderte. Kulkov und Ivankin wurden am 4. Juli in Moskau verhaftet.

Die Repression richtet sich aber nicht nur gegen vermeintliche Mitglieder der vom FSB ausgedachten Terrororganisation „Netz“, sondern auch gegen die Familien, Freunde, Zeugen, Nachbarn und Unterstützer der Inhaftierten. So wurden Ende Juli Aktivisten aus Belarus in Moskau wegen eines Banners mit der Aufschrift „Der FSB foltert, NTV verschleiert“ als Kritik an einer diffamierenden Doku des staatlichen Nachrichtensenders NTV in Gewahrsam genommen. Außerdem wurde vor mehreren Monaten die Freundin eines Gefangenen bei der Rückreise aus Pensa in die Ukraine zunächst in Gewahrsam genommen und dann mehrere Tage inhaftiert, um von ihr Schuldeingeständnisse zu erpressen.

Um sich gegenseitig zu unterstützen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, hat sich Ende Juli diesen Jahres ein sogenanntes „Elternnetz“ gegründet, ein Netzwerk der Familien der inhaftierten und gefolterten Beschuldigten. Dass diese Vernetzung existenziell ist, beweist die Verlegung der drei in Petersburg inhaftierten Beschuldigen. Denn sie wurden vorcirca einem Monat ohne vorherige Mitteilung an die Familien und die Anwälte aus Petersburg mit dem Zug in die Untersuchungshaftanstalt nach Jaroslavl gebracht. Deshalb galten sie für mehrere Tage als verschollen.Die Betroffenen wurden außerdem in den ersten Tagen mit Schweinen untergebracht, da die Gefängnisleitung die Arrestzellen als Ställe nutzte. Selbst in den Einzelzellen werden ihnen ihre Rechte verwehrt. So ist ihnen der Hofgang verboten und dem inhaftierten Filinkov wurde die Übergabe von Medikamenten durch die Gefängnisleitung verweigert. Im Übrigen wurde vor wenigen Wochen ein Folterskandal in Jaroslavl aufgedeckt, der zur Verurteilung mehrerer Beamter geführt hat.

Erwähnenswert ist außerdem, dass der Pflichtverteidiger von Schakurskij vor wenigen Tagen wegen Missachtung der Interessen seines Mandanten durch die Anwaltskammer in Pensa gerügt wurde. Er hatte öffentlich die Schuld seines Mandaten zugegeben und trotz eindeutiger Verletzungen die Folterungen abgestritten.

Ausführliche Informationen und Neuigkeiten rund um den Fall Pensa oder den Netz-Fall gibt es unter rupression.com.

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