[Deutschland] Brief von Nero vom 06. Juli 2018 – „Sommer in Berlin“

Quelle: barrikade

Ein Brief aus Berlin, verfasst am 06.07.2018

Nero befindet sich in Deutschland in Isolationshaft – Das vorzeitige Haftende (2/3 Strafe) wurde vorerst aufgehoben. Nero wurde inhaftiert, nachdem er im Juni ’17 einen Bullenhelikopter ins Visier eines Laserpointers nahm.

„Letzte Woche unterbrach ein Ereignis die gewohnte Knastmonotonie. Ich hatte meine 2/3 Anhörung. Dafür musste ich zum Gericht transportiert werden. Mich führte ein [ ] am Morgen zum Haupttor. In der Wartezelle lernte ich einen netten Mitgefangenen kennen, welcher in Anstaltskleidung und mit Hand- und Fussfesseln vor mir sass. Er erzählt mir, in gebrochenem Deutsch, dass er ebenfalls zu seiner 2/3 Anhörung gebracht werden soll. Bei ihm wäre das eine 2 Monatige Einsparung. Er sitzt wegen Diebstahl und nicht das erste Mal. Ansonsten schlägt er sich so durch. Meist übernachtet er auf der Strasse oder bei Freunden. Geld vom Staat bekommt er nicht und arbeiten will er auch nicht.

Eine dieser Geschichten die ich hier so häufig, so oder so ähnlich zu hören bekomme. Er fragt mich achselzuckend was er dem Richter denn sagen solle. Ich versuche ihm ein paar Floskeln mitzugeben. Arbeit, Wohnung, Familie, Tatauseinandersetzung… immer dasselbe. Wir müssen lachen. Auf Nachfrage erklärt er mir dann, warum er mit so hohen Sicherungsmassnahmen genervt wird. Er habe sich gerade ein Kopf aufgezogen, als ein Schliesser in seine Zelle stürmt. Er versucht die Flasche, als Beweis, zu greifen. Doch wird durch einen Stoss meines Freundes daran gehindert. Dieser schmeisst die Flasche aus dem Fenster, während der Schliesser panisch den Alarm betätigt.
Tätlicher Angriff auf Justizbeamte. Zack, Sicherungsstation, kein Fernseher, kein Kontakt zu anderen Gefangenen, keine privaten Sachen, keine Arbeit, kein Einkauf. Nur das Radio, Bücher und Du. Eine Stunde Hofgang, in einem kleinen extra eingezäunten Bereich. Er wurde aber seit seiner Ankunft vor 2 Wochen noch nicht raus gelassen. Normal, wenn du einer von den Schliesser*innen „angreifst“. Dann hast du keine Rechte mehr. Da lassen sie die Muskeln spielen. Anträge werden nicht bearbeitet, deine Post verschwindet und/oder kommt nicht an und deine Freistunde wird gestrichen. Mit ähnlichen Methoden sehe ich mich zur Zeit auch konfrontiert.

Unser Transporter chauffiert uns durch Berlin, direkt in den Gerichtskomplex. Dort heisst es wieder warten. Nach ein paar Stunden werde ich in einen Raum, mit U-förmig angeordneten Tischen und Stühlen eskortiert. Ich solle in der Mitte Platz nehmen. Vor mir sitzt ein junger Richter. Alles wirkt sehr locker und improvisiert. Nach einer Stunde ist das Theater vorbei. Ich bin nicht schlauer als vorher. Der Richter räumt sich eine Woche Entscheidungsfindung ein. Ich weiss nicht so recht was ich von dieser ganzen 2/3 Geschichte halten soll.
Die Staatsanwaltschaft hat jedenfalls alles in ihrer Macht stehende getan, um die Entscheidung zu ihren Gunsten, also negativ für mich, ausfallen zu lassen. Ein neues Verfahren, dass zu Nichts führen wird. Und am Morgen der Anhörung wurde der Richter darüber informiert, dass ein Auto einer Schliesserin gebrannt hat und bei mir ein Handy gefunden wurde, auf dem sie ein Bild eines Beamten entdeckten.
Eine sinnlose Information, da das eine mit dem Anderen nichts zu tun hat. Aber um eine gewisse Stimmung zu provozieren reichts.
Nun hiess es wieder warten. Für meinen in Ketten gelegten Freund lief es, wie zu erwarten, schlecht. Der Richter brauchte bei ihm keine Bedenkzeit, um sich gegen sein Ersucht zu entscheiden. Er schläft auf dem Boden, während ich Hegel zu entschlüsseln versuche.

Ein Junge zeigt dem Führerhaus den Finger und fängt an zu lachen und winken, als er mich sieht. Ich lächle zurück und meine Augen füllen sich.

Am frühen Morgen kommt unser Taxi. Ein extravagantes Modell, ein LKW mit einem umgebauten Kasten auf der Ladefläche, auf dem riesig „Justiz“ prangt.
Ziemlich gross für zwei Menschen denke ich, während ich in ein Einzelabteil gesperrt werde. Doch dann bemerke ich, dass schon ein paar andere Passagiere an Bord sind. Wir fahren einen Zickzack-Kurs, quer durch die Stadt. Steuern sämtliche Justizstellen an, um dort welche aufzunehmen und andernorts wieder abzuladen. Ich schaue aus dem kleinen, länglichen Panzerglasfenster, wie ich es immer tue bei Transporten. Normalerweise sind diese verdunkelt, sodass von draussen niemand reinschauen kann. Doch schnell stellte ich fest dass die Blicke der Vorbeiziehenden an meinen kleben bleiben. Als wir an einem Park halten springt eine Gruppe Säufer*innen auf und fängt an mir zu winken und die Faust in die Luft zu strecken. Ich erwidere den Gruß und sie fangen an wild und freudig zu gestikulieren. Ähnliche Reaktionen werden mir auf der ganzen Irrfahrt entgegen gebracht. Ich wurde mit jedem Gruß gerührter und sentimentaler. Ein Junge zeigt dem Führerhaus den Finger und fängt an zu lachen und winken, als er mich sieht. Ich lächle zurück und meine Augen füllen sich.
Als letztes steuert der LKW Tegel an. Wir wünschen uns das Beste und verabschieden uns. Er zurück in die Isolationshaft, Ich in Erwartung einer erneuten Disziplinarmassnahme, wegen des Handys. Diese lässt auch nicht lange auf sich warten. 2 Wochen Einschluss, Fernseh weg, Arbeit weg, Einkauf weg.

Abschliessend ein guter Tag. Ich habe viel anonyme und direkte Solidarität erfahren und einen guten Menschen kennengelernt. Jetzt sitze ich im Einschluss in meiner Zelle, die Sonne scheint herein.
Ein Ergebnis bzgl. 2/3 ist immer noch nicht gefallen, während grosse Panik wegen des erwähnten Autobrandes ausgebrochen ist. Ich beteilige mich nicht an dieser Hysterie. Was mir selbstverständlich negativ ausgelegt wird.

Ich hoffe das der G20-Gefangene in Zürich ähnlich entspannt auf seine Situation blicken kann und ihm der Rücken frei gehalten wird. Diesen grüsse ich an dieser Stelle ganz herzlich. (anm. des Abschreibenden: der Gefangene in Zürich sass nicht wegen G20, wurde aber im Zuge der G20-Razzien festgenommen)
Traurig wie ungestört die deutschen Behörden ihren Rachefeldzug europaweit durchziehen können.

Grüße gehen auch an Piecke, Thomas, Lisa, Max, Andreas und allen anderen Repression betroffenen Companeras.

Besonders gerührt, gepusht und gestärkt haben mich deine Worte Serhildan Ciwan! Ich hoffe du findest das was du vermisst an dem Ort an dem du dich nun befindest!

Gesondert möchte ich nochmal auf die Situation von Isa eingehen. Er hat, nun nach 4 Monaten U-Haft seinen Prozess. Und es ist erschreckend zu sehen was für eine Bedrohungslage ihm gegenüber konstruiert wird. Unterstützt ihn bei seinem laufenden Schauprozess: Verfahrengebiet.noblogs.org

Nero

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