„In einer Diktatur stehst du dem Staat ganz allein gegenüber“ – Interview mit Aktivist*innen des Anarchist Black Cross (ABC) Belarus

Quelle: GaiDao No 92 August 2018

Wie sieht Eure Arbeit beim ABC aus? Wie arbeitet ihr, und was sind Eure kurzfristigen und langfristigen Ziele?

Die Arbeit des Anarchist Black Cross (ABC) in Belarus [Weißrussland; Anm. d. Red.] ist vielfältig. Ganz klassisch, wie die meisten es sich wahrscheinlich vorstellen können, machen wir Solidaritätsarbeit für Menschen, die von Repression betroffen sind. Das heißt wir stellen finanzielle Hilfen für Gerichtskosten zur Verfügung, um Strafen und ähnliches zu bezahlen. Aber darüber hinaus wollen wir auch nicht aus den Augen verlieren wie Repressionen aussehen können und funktionieren. Das fängt an bei Psychoterror und geht bis zu blanker Gewalt gegen Aktivist*innen. Wir versuchen deshalb so breit wie möglich zu arbeiten, soweit uns das innerhalb der derzeitigen politischen Lage möglich ist und unter Berücksichtigung unserer persönlichen Kapazitäten.

Schon seit einer Weile bieten wir Sicherheitstrainings für Aktivist*innen an. Wir stellen Printmaterial her, das Aktivist*innen in ihrem Kampf gegen Repression verwenden können. Auf unserer Website versuchen wir auch staatliche Maßnahmen gegen Anarchist*innen zu dokumentieren. Wir versuchen Leute zu ermutigen uns direkt anzuschreiben, wenn sie von Repression betroffen sind. Vielleicht muss man dazu sagen, dass unsere Gruppe nicht offen ist. Wegen der ständigen Repression gegen Anarchist* innen hierzulande müssen wir anonym bleiben. Niemand verkündet öffentlich seine Mitgliedschaft im ABC. Workshops und Vorträge, die wir manchmal halten, werden nicht als Events des ABC veranstaltet, auch wenn manche*r vielleicht ahnen kann, dass sie von uns sind. In Sachen Ziele versuchen wir eine Sicherheitskultur in der anarchistischen Bewegung zu etablieren, die sich Repression widersetzt, oder die zumindest deren Ausmaße reduziert. Man muss aber auch sagen, dass wir nur ein Teil einer größeren anarchistischen Bewegung sind und wir hoffen, dass wir nur eins von vielen Rädchen sind, die die Bewegung am Laufen halten. Letztes Jahr berichteten westliche Medien, dass die weißrussischen Behörden ihre Strategie gewechselt hätten: Aktivist*innen und Oppositionelle werden immer nur für ein paar Tage am Stück gefangengenommen, dafür aber mehrere Male hintereinander. So haben Menschenrechtsorganisationen und westliche Regierungen es schwerer diese Behandlung zu skandalisieren. Für die Betroffenen jedoch kann es sehr einschüchternd und entmutigend sein.

Gab es einen Anstieg an staatlicher Repression über die letzten Jahre, oder ist es ungefähr gleich geblieben?

Diese wiederholten Ingewahrsamnahmen sind eigentlich nichts Neues. Das hat bestimmt schon 2004, 2005 angefangen. Ich weiß von einem Genossen aus einer weißrussischen Kleinstadt, der uns erzählt hat, dass er mehrere Male für 15 Tage in Haft war, einfach nur, weil er der lokalen Polizei als Aktivist bekannt war. So gesehen hat sich die Strategie der weißrussischen Polizei nicht geändert. Die Absurdität der Kurzzeit-Ingewahrsamnahmen erregt mehr Aufmerksamkeit seit Technologien wie das Internet es möglich machen Nachrichten und Infos darüber breiter zu streuen. Was sich aber geändert hat ist die Intensität, mit der die Polizei gegen Anarchist*innen vorgeht. Eine ganze Zeit lang gingen viele verschiedene protestierende Gruppen auf die Straßen und die Anarchist*innen waren nur eine von ihnen. Über die Jahre konnte die Polizei aber liberale und auch nationalistische Gruppen zerschlagen, so dass Anarchist*innen nun fast die einzigen sind, die noch auf die Straße gehen. Das zieht natürlich die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, aber auch die des Staates. Wenn Anarchist*innen in den Nachrichten sind ist das ein guter Grund gegen sie vorzugehen. Was seit einem Jahr vermehrt passiert sind willkürliche Razzien, bei denen elektronische Geräte und solche Dinge beschlagnahmt werden. Zwar führen sie meist nicht zu gerichtlicher Verfolgung, aber diese Taktik wirft deinen Alltag aus der Bahn, besonders wenn du abhängig von deinem Computer bist oder von Notizen oder andere Dinge die konfisziert werden können. Nach den Protesten im März [2017, wegen des Arbeitslosensteuer-Gesetzes; Anm. d. Red.] wurde niemand wegen Gewalt gegen Polizist*innen angezeigt. Es gab zwar Androhungen zwei Personen wegen Gewalt gegen Polizist*innen anzuklagen, aber das ist dann doch nicht passiert. Die Situation mit Svyatoslav war etwas seltsam, denn er wurde erst im Herbst danach verhaftet, also fast ein halbes Jahr nachdem die Proteste stattgefunden hatten. Viele meinten das sei ein komischer Schachzug. Er wurde dann eben verhaftet und jetzt hat er drei Jahre bekommen. Er gehört zu dem Teil der einfachen weißrussischen Bevölkerung die solidarisch mit den von Repression betroffenen Anarchist*innen bei den Protesten im Februar und März 2017 waren. Vergangenen Winter haben wir auch die Information bekommen, dass die Polizei versucht alle zu verhören, die damals im Zusammenhang mit den zwei Personen, die der Gewalt gegen Polizist*innen beschuldigt wurden, festgehalten worden sind. Bislang gibt es aber noch keine Entwicklungen in diesem Fall. Seit letztem Jahr hat sich die Situation dahingehend verändert, dass die Zahl der Repressionen angestiegen ist und die Polizei versucht mehr Kontrolle über die Anarchist*innen auszuüben, um auf lange Sicht proaktiv gegen Proteste vorgehen zu können. Dieses Jahr, am sogenannten Freiheitstag, dem 100. Geburtstag der kurzlebigen Volksrepublik Weißrussland, gab es auch Proteste gegen das Gesetz über die Arbeitslosensteuer. Hunderte von Aktivist*innen wurden in der Zeit vor den Protesten festgenommen und es gab Razzien in den Büros einer Menschenrechtsorganisation in Vesna, wobei es zu zehn Festnahmen kam.

War das ABC beteiligt an den Aktivitäten oder auch betroffen? Denkt ihr die Intensität der Repression hat ein neues Level erreicht?

Dieser sogenannte „Freiheitstag“ wird nicht von Anarchist* innen gefeiert, weil er ganz klar nationalistisch ist. Der einzige Grund, dass Anarchist*innen dafür mobilisiert haben, liegt darin, dass der Tag letztes Jahr zu einem Protest gegen das geplante Arbeitslosensteuer-Gesetz umgewidmet worden war. Dieses Jahr hatte dieser Tag nichts mit sozialen Protesten zu tun, auch wenn es wieder Versuche von verschiedenen nationalistischen Gruppen gab, die ihre soziale Agenda gerne in Bezug zu diesem Thema platziert hätten. Das hat die Polizei aber nicht davon abgehalten trotzdem bekannte Anarchist*innen aufzusuchen und ihnen anzudrohen, sie der Teilnahme an diesen nationalistischen Feierlichkeiten zu beschuldigen. Gerade in Kleinstädten macht die Polizei keinen Unterschied zwischen Anarchist* innen und anderen protestierenden Gruppen. Wir können aus Sicherheitsgründen nichts dazu sagen, ob jemand von uns hier von Repression betroffen war, aber Teile unseres Kollektivs haben auf die ein oder andere Art an diesen Protesten teilgenommen.

Weißrussland wird auch „die letzte Diktatur Europas“ genannt – wie manifestiert sich das? Und denkt ihr es ist ein Ende in Sicht?

Nun ja, eine Diktatur manifestiert sich in dem Versuch jeden Aspekt deines Lebens zu kontrollieren. Deine Wünsche gehören nicht dir, sondern die, denen du gehörst, entscheiden was Du zu wollen hast. Es manifestiert sich in dem Druck auf Angestellte des öffentlichen Diensts, auf Angestellte in staatlichen Betriebe & Institutionen die Staatszeitungen zu abonnieren und an staatlich organisierten Versammlungen teilzunehmen; auf Lehrer*innen die Unterschriften der Eltern ihrer Schüler*innen für Kandidat* innen bei Lokalpolitik-Wahlen zu sammeln; auf Studierende und Arbeiter*innen wählen zu gehen um nicht aus ihrem Wohnheim geworfen oder am Arbeitsplatz kontrolliert zu werden. Es ist nahezu unmöglich eine Veranstaltung auf der Straße ohne staatliche Genehmigung durchzuführen. Auch Veranstaltungen drinnen unterliegen Restriktionen. Diktatur ist auch etwas, das den Kern einer Gesellschaft trifft: Es zerstört zwischenmenschliche Verbindungen, versucht dich vom Rest der Gesellschaft zu isolieren und minimiert so die Möglichkeit dich zu organisieren oder auch nur den Status Quo zu hinterfragen. In einer Diktatur stehst du dem Staat ganz allein gegenüber – ob auf der Behörde oder in der Polizeistation. Ich denke das ist auch der Grund warum die Leute hier versuchen den Besuch dieser Orte um jeden Preis zu vermeiden. Selbst die einfache Prozedur einen Pass zu ändern kann genug Stress bei dir verursachen um einen bitteren Nachgeschmack zu hinterlassen. Um zum Ende zu kommen … Es gibt ja das Sprichwort: „Wie hoffen auf das Beste und sind gefasst auf das Schlimmste.“ Und so hoffen wir, dass es vielleicht in ein paar Tagen schon vorbei ist, aber bereit uns darauf vor, dass es noch eine lange Zeit so bleiben wird.

Nun mal etwas Positives – gibt es zur Zeit anarchistische Projekte, die besonders aufregend sind?

Klar! Ich meine, schau Dir mal unser Projekt an! Es ist extrem positiv! Haha. Seit über zehn Jahren gibt es hier Food not Bombs – eine der wenige anarchistischen Initiativen die offen geblieben sind und die es irgendwie schaffen die Repressionen der Polizei abzuwehren. Und dann haben vor ein paar Jahren einige Menschen etwas namens „Free University“ gegründet – eine Bildungsinitiative von Anarchist*innen für Leute, die sich für ganz andere Themen interessieren. Es gibt auch eine offene anarchistische Bibliothek, die Leute einmal in der Woche besuchen können und wo sie sich Bücher über Anarchismus ausleihen können, die man nicht so leicht in Buchläden kaufen kann. Nicht vergessen darf man auch die Gruppen, die sich mit dem Really Really Free Market Konzept [Umsonstladen bzw. Umsonstflohmarkt; Anm. d. Red.] beschäftigen und damit jedes Mal hunderte von Menschen mit den verschiedensten Hintergründen zusammenbringen.

Wie können unsere Leserinnen die anarchistische Bewegung inWeissrussland, bzw. eure Arbeit für das ABC, unterstützen?

Man kann dem ABC Belarus natürlich immer etwas spenden. Weisrussland ist kein reiches Land, ein Arbeiter*innen(monats)gehalt beträgt nur etwa zwischen 200 und 450 Euro. Deshalb sind wir sehr abhängig von Unterstützung aus dem Ausland! Abgesehen davon könnt ihr immer vorbeikommen und eine Weile bleiben. Die anarchistische Bewegung in Weisrussland braucht enthusiastische Aktivist*innen, die nach etwas suchen, wo sie ihre Energie reinstecken können. Aber wundert Euch nicht, wenn ihr nach ein paar Monaten des Landes verwiesen werdet. Der Kampf gegen die Diktatur ist nicht nur ein Kampf gegen Lukashenko, sondern auch dafür, dass so etwas nicht in anderen Ländern passiert. Liberale Länder sind oft näher an autoritärer Herrschaft als sie denken. Von seinen Nachbarn zu lernen ist vielleicht der erste Schritt dem vorzubeugen.

 

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Anarchist Black Cross (ABC)

Das Anarchist Black Cross (ABC) ist eine Solidaritätsorganisation für Anarchist*innen und andere politische Gefangene in Haft. Daneben leistet sie Rechtshilfe und klart über Sicherheit in der politischen Arbeit auf. Wann das ABC genau entstand ist umstritten – klar ist aber der Anlass, nämlich die Russische Revolution von 1905, bei der viele Anarchist*innen in Haft gerieten, von den bestehenden Hilfsorganisationen wie dem Politischen Roten Kreuz, aber oft wenig bis keine Unterstützung bekamen. Zunächst nannte es sich in Analogie dazu das Anarchistische Rote Kreuz, benannte sich allerdings nach der Revolution von 1917 in Anarchistisches Schwarzes Kreuz um, um Verwechslungen mit dem Internationalen Roten Kreuz zu vermeiden. Von Beginn an war das ABC international aufgestellt: So unterstützen britische und russische Anarchist*innen ihre in Russland inhaftierten Genoss*innen. Heute gibt es ABC-Ortsgruppen auf allen fünf Kontinenten.

 

Arbeitslosensteuer-Gesetz in Belarus

Nach dem „Dekret zur Vorbeugung des sozialen Anhängigkeit“ vom April 2015 sollten langfristig Arbeitslose gezwungen werden Abgaben an den Staat zu leisten, der tief in einer Wirtschaftskrise steckt. 2017 sollte das Gesetz endgültig eingeführt werden, wurde aber aufgrund massiver Proteste ausgesetzt. Im Januar 2018 wurde ein ähnliches Dekret verabschiedet, das den Titel „Zur Förderung der Beschäftigung der Bevölkerung“ tragt. Zwar müssen Menschen, die weniger als 183 Tage im Jahr arbeiten, nicht mehr die im vorherigen Dekret festgelegten US$240 abgeben, jedoch sollen sie für vom Staat subventionierte Services und Leistungen aufkommen.

 

Aktuelle Repression in Belarus

Die massive staatliche Verfolgung der Anarchist*innen in Belarus hält an. Wie das ABC Belarus berichtete griffen am 30. Juni Spezialeinheiten der politischen Polizei ein informelles anarchistisches Treffen auf einem Campingplatz an. Die Polizisten gaben dabei Schüsse aus Sturmgewehren in die Luft ab, anarchistisches Propgandamaterial wurde beschlagnahmt. Alle Aktivist*innen wurden auf die Knie gezwungen und von der Polizei gefilmt. Einige der Anarchist* innen wurden mehrfach verprügelt, weil sie Fragen stellten oder sich weigerten, das zu tun, was die Polizei wollte. Die Cops versuchten, mindestens eine Person dazu zu drängen, falsche Aussagen zu machen. Da diese nicht zustimmte, wurde sie ebenfalls verprügelt. Während der 7 Stunden konnten die Leute weder essen noch trinken, der Gang zur Toilette war ein schwieriges Unterfangen. Während der ganzen Zeit des Überfalls regnete es und die Leute mussten auf dem nassen Boden liegen, die die sich am meisten widersetzten wurden als Strafe in den Regen gesetzt. Am Ende verließ die Polizei den Wald ohne Festnahmen und gab allen eine Vorladung zu einem Verhör über die „extremistischen“ Materialien, die beschlagnahmt wurden.

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