Die rebellische Gefangene Hülya ist auf der Suche nach Menschen, die ihr schreiben und sich mit ihr austauschen möchten. Ihr findet hier eine kurze Beschreibung zu ihrer Person sowie zwei ihrer Briefe aus diesem Jahr. Im Knast hat sie sich politisiert und sieht sich mittlerweile als Anarchistin.
Seid solidarisch und schreibt ihr!
Das Schreiben von Briefen ist eine Waffe!
…gegen Vereinzelung, Vereinsamung, Stagnation, Resignation und Isolation…
…gegen die auf Zerstörung angelegte Natur des Knast-Systems…
…gegen die Kontrolle des Lebens durch das Knastregime…
Hülya A.
„Ich bin 28 Jahre. Ich sitze einmal wegen schwerer Körperverletzung wegen einer Racheaktion an der Person, die für den Tod meiner besten Freundin verantwortlich ist. Und wegen Raubüberfall, ohne das jemand dabei jemals zu Schaden gekommen ist.
Habe insgesamt 6 Jahre und 6 Monate bekommen.
Ich bin Anarchistin geworden.“
Hülya A.
Buchungsnummer 84/17/4
JVA Willich II
Gartenstrasse 2
47877 Willich
Deutschland
Brief vom 01. September 2018
Der Kampf gegen den Richter
„Seit einigen Jahren bin ich eine Gefangene vom Staat werde unterdrückt und schikaniert. Ich kämpfe gegen den Staat und lasse mich vom Staat nicht einschüchtern und auch nicht unterdrücken. Im Gefängnissystem gibt es viele Regeln an die man sich anpassen muss, 95 Prozent tun es, wenige davon nicht. Ich hatte vor kurzem beim Landgericht Krefeld meinen ersten Anhörungstermin gehabt wegen meiner Reststrafe, ich bin inhaftiert, sitze wegen schwerer Körperverletzung und schweren Raubüberfall. Ich habe mich rächen müssen an einer Person die daran Schuld hat, dass meine Beste Freundin mit 18 Jahren gestorben ist bzw. ermordet wurde.
Meine Gesamtstrafe ist 6 Jahre und 6 Monate. Bin das erste mal in Haft und habe meinen ersten Prozess mit dem Richter und den Staat gehabt. Ich wurde zum Gerichtssaal geführt und belehrt. Mein Anwalt, der Richter, die Staatsanwältin und die Protokollführerin waren da. Der Richter hat mich nach vorne gerufen, ich bin nach vorn, habe mich hinsetzen müssen und dachte mir nur: „Ich habe die Kontrolle satt, immer Bullen, Gesetze, Staatsanwälte, ich hatte es satt von den Schweinen schikaniert zu werden, mich hilflos zu fühlen. Ich habe es satt zu hören, ich soll mich einfach ruhig verhalten, dann würde ich schließlich auch keinen Stress bekommen.“ So eine Scheiße, die einzige rationale Handlung wäre, verdachtsunabhängig jede Kontrolle in eine Straßenschlacht zu verwandeln. Ich habe es so satt. Der Richter ist mein Feind. Ich habe mir den Richter angeschaut und dachte: „jetzt geht dein Prozess los Hülya“, da war mir klar, dass Krieg und Frieden kein voneinander getrennter Prozess ist, sondern das die Situation in erster Linie Krieg ist. Er fing an zu reden. Frau A., ich habe Ihre Stellungnahme gelesen, da gibt es definitiv nix positives, dass ich Sie frei laufen lassen könnte. Es gibt gewisse Regeln an die man sich halten müsse, in Ihrer Stellungnahme steht drinnen, dass Sie mehrfach Disziplinarisch in Erscheinung getreten sind. Er würde mich unter der Voraussetzung gehen lassen, dass ich an einem Sozialtraining teilnehmen würde, meine Straftat reflektieren soll, zwangsläufig 5 Jahre Führungsaufsicht, und 5 Jahre dürfte ich in kein Ausland ein- und ausreisen.
Er fragte mich, Frau A., bereuen Sie Ihre Straftat? Ich schaute Ihm tief in die Augen und sagte, welche Straftat die ich begangen habe, welche fragte ich, dass jemand gestorben ist. Ist dem Staat scheiß egal, dass jemand unter der Erde liegt, nix vom Leben hatte, dass ist egal. Aber das ich mich an der Person gerächt habe, ist eine Straftat. Nein, ich bereue nix, meine Beste Freundin ist nicht mehr da.
Ich fragte den Richter. Herr Richter, macht Ihnen Ihr Beruf Spaß, Menschen zu verurteilen und einzusperren? Haben Sie Kinder? Ihre Kinder werden bestimmt auch eines Tages kriminell, werden hier auf der Anklagebank sitzen. Ich bereue nix. Ich habe mich erhoben und habe ganz laut gerufen, eines Tages wird die Revolte kommen. Sie werden dann aber nicht mehr existieren. Alle Knastmauern werden fallen und ich werde darüber springen und zum Schluss habe ich gerufen, es Lebe die Anarchie. Ich habe das Feuer, die Wut in mir rausgelassen, ich habe mich nicht unterdrücken lassen, profitabel für den Staat bin ich auch nicht. Der Richter schrie laut, raus aus dem Saal. Ich ziehe alles zurück, Sie werden Ihre Endstrafe machen. Ich habe noch eine Ordnungswidrigkeit von 200 Euro bekommen. Er rief noch, dass ich beim LKA eingetragen werden, ich habe mich umgedreht und gerufen Ciao. Nach dem ich alles hinter mir hatte, wurde ich wieder in die Zelle gebracht. Mein Anwalt fragte mich, ob ich mein Verstand verloren habe. Ich antwortete, nein, ich bin mir und meinen Ideen treu geblieben. Viel mehr war mir klar, dass ich mich durchgesetzt habe, meine eigenen Interessen. Mir war es egal zu welchem Preis, gegen die Herrschaft habe ich mich durchsetzen können. Das ist es wert, denn mir war klar, dass ich mich auf die Schikanen vom Staat nicht einlassen würde.
Ich war eine soziale Rebellin, jetzt bin ich eine leidenschaftliche Anarchistin. Ich habe viel von Alfredo Maria Bonnano gelesen. Er sagte „In Richtung Aufstand, wenn das eine Bedeutung hat für mich, dann ist es dies, von einem spezifischen Kampf ausgehen nach welchen man nicht weiß was passieren mag. Normalerweise gehen wir ins Gefängnis, normalerweise aber man kann nicht sagen nein, eine solche Entwicklung das ist nicht möglich, wieso nicht?“ Ja, denn ich musste selber in den Knast und habe mich politisiert und ich bin sehr stolz auf mich. Die Gerechtigkeit, ein Leben ohne Herrschaft, daran glaube ich ganz fest, deswegen der es selber am eigenen Leib gespürt hat, die Schikanen vom Staat , Ausbeutung, die Unterdrückung. Ich rufe alle dazu auf, Erhebt euch, ihr habt nichts zu verlieren. Denn ich habe es satt, die allgegenwärtige staatliche Überwachung, deswegen habe ich mich erhoben. Liebe Genossen und Genossinnen lasst euch vom Staat, von der Herrschaft, von den Unterdrückungen nicht beängstigen, auf die Demos, die Revolten, auf den Kampf.
Bleibt stark, lassen wir das Feuer neu aufflammen.
Es gibt nichts abzuwarten.
Solidarität selbst organisieren und direkte Aktionen.
Für die soziale Revolten
Solidarische Grüße“
Brief aus April 2018
Brief von Hülya A., JVA Willich II
“2015 kam Claudia nach Köln – Ossendorf in U-Haft ins Haus 10, ich lag auf der Beobachtungszelle 111 und sie kam auf die 112. Sie lag neben mir und wir wurden nach einer Zeit sehr gute Freundinnen, was es im Knast sehr sehr selten gibt. Sie war seit über 20 Jahren im Methadon Programm und wurde runterdosiert. Die letzten Wochen war sie garnicht mehr so lebensfreudig wie am Anfang, sie ging auch nicht mehr in die Freistunde und hat keinen Umschluss mehr mit mir gemacht.
Dann kam der 11.01.2016. Morgens beim Aufschluss um 6:00 Uhr gingen unsere Zellentüren auf. Claudia fragte mich nach Kaffee. Die Justizbeamtin sagte: „Nein“. Ich konnte sie aber überreden und habe Claudia etwas Kaffee gegeben. Claudia fragte daraufhin die Beamtin Frau Bürger ganz freundlich, da es ihr nicht gut ging, ob sie dem Hausmädchen etwas helfen dürfe, um etwas aus der Zelle rauszukommen. Natürlich kam ein direktes „Nein“. Die Türen wurden wieder zugeschlossen. Claudia rief mich aus dem Fenster. Sie erzählte mir, dass sie sich gestern versucht hat zu erhängen, aber das Band oder Tuch oder womit sie es auch versucht hat, wäre gerissen. Es verging am gleichen Morgen etwas Zeit.
Ich ging duschen und habe dort ein ganz komisches Bauchgefühl bekommen. Ich duschte, zog mich an und bin in meine Zelle. Keine Minute später habe ich eine Polterei gehört. Ich habe, glaube ich, sogar meinen Namen gehört, dachte ich für einen Moment. Ich bin an mein Fenster und habe zweimal „Claudia“ gerufen. Es kam keine Antwort von ihr. Da meine Zellentür noch offen war, lief ich raus, klopfte bei ihr, es gab keine Reaktion. Daraufhin habe ich die Klappe hochgemacht und sah sie mit einem Radiokabel um ihren Hals am Gitter hängen, an ihrem Zellenfenster. Ich schrie ganz laut: „Sie hängt. Sie hängt.“ Ihre Augen werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Der Beamte kam, hat auch die Klappe hochgemacht und schrie laut, er bräuchte eine Schere. Ich habe gesagt: „Schließen Sie die Tür auf!“ – „Nein“. Bis Frau Bürger mit der Schere kam, vergingen mindestens 10 Minuten. Die haben die Zellentüre aufgeschlossen, sie raus aus der Zelle geholt, aber es war viel Zeit vergangen. Ich wollte sie beatmen, doch die Drecksbeamten haben mich in ihre Zelle geschlossen. Ich konnte alles aus dem Türloch sehen und wusste, dass es zu spät war. Es kamen irgendwann die Ärzte und nach etwa 15-20 Minuten wurde sie weggebracht.
Ich hatte tiefe Schuldgefühle und war unter Schock. Die haben alle so getan als wäre nichts gewesen.
Später kamen die restlichen Gefangenen vom Sport wieder. 2 Tage habe ich nicht geredet, beschimpfte nur die Beamten: „Ihr Schweine! Ihr herzlosen Wichser! Ihr seid Schuld, wenn ihr die Türe vorher aufgeschlossen hättet, hätte sie es überleben können“. Einzelne Beamte und die Seelsorge versuchten an mich heranzukommen, sagten, dass ich abschließen sollte, aber ich konnte nicht.
Die nächsten Tage vergingen wie im Film. In der Freistunde meinte eine Gefangene nur: „Konnte sie sich nicht nach dem Einkauf umbringen? Sie hatte für mich mit eingekauft.“ Ich hörte es, stand auf, bin auf sie zu und habe auf sie eingeschlagen … mit ganzer Kraft. Der Hausalarm wurde ausgelöst. Die Beamten reagierten direkt, wir wurden auseinander gerissen, ich wurde auf meine Zelle gebracht, habe dort alles um mich herum kaputt geschlagen.
Im tiefsten Herzen erhoffte ich mir, dass Claudia aus dem Koma (in dem sie gelegen hatte) noch erwachen würde, aber die Seelsorge und die Psychologin sagten mir, dass sie es nicht überlebt hatte und die Maschinen abgestellt wurden. Wow, für mich ist die Welt untergegangen!
Später kam Frau Bürger und versuchte mit mir zu reden. Ich sagte ihr, dass sie an allem Schuld sei, dass ich gegen sie aussagen würde und der Staatsanwaltschaft erzählen würde, wie es war. Sie drohte mir, wenn ich das machen würde, werde ich das zu spüren bekommen. Ich lies mich nicht einschüchtern von der scheiss Justiz. Die Staatsanwaltschaft sollte kommen um Spuren sicher zu stellen und ich hätte als Zeugin befragt werden sollen, doch am gleichen Tag an dem sie kommen sollte, wurde mir plötzlich eine Psychose diagnostiziert, ohne dass ich mit Ärzten gesprochen habe. Sie wollten mir Medikamente verschreiben, die ich ablehnte. Die wollten mich foltern, die Drecksjustiz, weil sie wussten, dass ich das ernst meinte. Meine Türe ging auf, ich wurde von mehreren Beamten aufgefordert meinen Haftraum zu verlassen und mit ihnen mitzugehen. Ich weigerte mich und schrie. Die haben sich ihre Handschuhe angezogen, schwarze Lederhandschuhe. Sie hielten mich fest und gaben mir eine Spritze. Ich hatte plötzlich keine Kraft mehr. Ich konnte nicht laufen, bin aufgestanden, aber wieder auf den Boden gefallen. Es war eine Haydolspritze.
Sie haben mich in den Bunker verschleppt, mich ausgezogen, ein Nachthemd angezogen und wie einen Hund hineingeschmissen. Soweit ich mich erinnern kann, als ich meine Augen öffnete, bekam ich große Angst. Ich schrie, dass sie mich herausholen sollten. Es kam keine Reaktion. Die Angst in mir war so groß, ich habe sowas von gelitten. Ich bekam (täglich) nur 2 Scheiben trockenes Brot, wie ein Hund. In dem Moment dachte ich mir: „Das ist die Justiz. Das ist der Staat.“ Ich dachte an die Worte der Beamtin, und dass sie ihre Drohung wahr gemacht hatte.
Ich war 14 Tage ganz alleine im Bunker. Die haben mich mit Medikamenten und Spritzen ruhig gestellt. Ich war machtlos, hilflos. Das sind halt Drecksbeamte. Es hätte nur noch körperliche Gewalt gefehlt. Die Erinnerung für mich ist megakrass und wird mich mein Leben lang nicht loslassen.
Nach 14 Tagen durfte ich raus aus dieser Hölle. Zwei Tage später ging meine Zellentüre auf. Frau Bürger und noch eine Beamtin hielten mir Unterlagen vor, die ich unterschreiben sollte. Ich fragte sie, worum es ginge. Es ging um meine Überweisung in die Psychiatrie Bedburg-Hau. Ich fragte: „Wofür?“ Die wollten mich doch wirklich dazu zwingen, meine Zustimmung dafür zu geben! Ich war mega sprachlos, weigerte mich natürlich und beschimpfte und spuckte Frau Bürger an. Ich dachte mir, sie verdient wirklich den Tod. Erst starb Claudia und weil ich das alles mitbekommen hatte und mich nicht brechen lies, musste ich dafür büßen.
Frau Bürger sagte mir, dass es ein Nachspiel für mich geben, und sie mich anzeigen würde. Ich sagte ihr: „Machen sie, was sie wollen.“ Die JVA Köln – Ossendorf zeigte mich nicht an, nur Frau Bürger. Der Prozess gegen mich wurde fallengelassen, sie haben wohl gemerkt, dass ich im Recht bin und mir alles egal war. Ich habe mich nicht einschüchtern lassen. Das ist die Justiz und die Gerechtigkeit, dass ist der scheiss Staat. Das ist Ossendorf.”