Quelle: indymedia
Es ist der Morgen des 31.12., Silvester – unmittelbar vor den Knastmauern der JVA Moabit hängt ein großes Adbusting. Kein Einzelfall an diesem Morgen: im gesamten Stadtgebiet Berlins hängen in direkter Nähe zu den dortigen Knästen Poster in Werbevitrinen, die verschiedene Aspekte des Knastes und das Konzept von Knästen als solche kritisieren.
Die Kritik richtet sich explizit gegen exorbitante Preise für das Telefonieren im Knast, horrende Haftungsbedingungen u.a. in Trakt 2 der JVA Tegel und Suizide Gefangener. Es wird aber vor allem grundlegende Kritik am Herrschen, Wegsperren und Strafen geäußert-
– so z.B. der Zusammenhang zwischen Armut und Einsperrung und dem Knast als Strategie gegen Widerständige die gegen Kapital, Staat, Nation und Patriarchat kämpfen.
Auf den einzelnen Adbustings sind verschiedene Slogans zu lesen. Was alle eint ist der Spruch: “Wo Herrschaft sichtbar ist – Freiheit für alle Gefangenen”. Laut den Aktivist*innen soll die Aktion mehr Aufmerksamkeit auf die Bereiche der Gesellschaft richten, bei denen die allgegenwärtige Herrschaft und Unterdrückung besonders hervorsticht. Aktivist*in Mel ergänzt, “ Gefangen-sein endet nicht an den Mauern der Knäste oder anderen Zwangsinstitutionen wie Schule – denn wer nicht selbst drin sitzt wird vom Staat, von Normen und anderen Mechanismen der Herrschaft, sei es in romantisierten Beziehungen oder bei der Ausbeutung durch Lohnarbeitsverhältnisse, stets terrorisiert und maximal kontrolliert.“ Das Wegsperren von Personen in Knäste zeigt dabei somit nur die Spitze des Eisberges. Mensch wird von der Gesellschaft ausgeschlossen – Zutritt und einen Weg zurück erhält nur, wer sich angepasst verhält und ausbeuten lässt.
Vom Zusammenhang zwischen Armut und Freiheitsentzug
In der JVA Plötzensee ist jede Dritte Person aufgrund einer Ersatzfreiheitsstrafe gefangen. Eine solche Strafe erhält, wer eine Geldstrafe nicht zahlen kann und somit dazu gezwungen ist, das Bußgeld in Tagessätzen abzusitzen. Aber nicht nur bei Ersatzfreiheitsstrafen sind Menschen, die ohnehin schon durch kapitalistische Verwertungslogik, permanente Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, strukturelle Benachteiligung und Diskriminierung an den Rand der Gesellschaft getrieben wurden, besonders betroffen. Dies verwundert nicht, schließlich sind Gesetze nicht vom Himmel gefallen und dienen den Interessen des Kapitals – so z.B. dem Erhalt von Eigentum und der Niederschlagung jeglichen Widerstandes. Dass es verboten ist, sich Obdach in leeren Häusern zu suchen oder weggeschmissenes Essen zu nehmen ist bezeichnend.
Wo Widerstand zu Haft führt
“Wer sich gegen die Verhältnisse wehrt wird weggesperrt!” steht auf einem anderen Poster. Hiermit wird darauf aufmerksam gemacht, dass auch Personen, die bewusst gegen die gegenwärtigen Verhältnisse und für eine befreite Gesellschaft aufbegehren – z.B. demonstrieren gehen, sich Wohnraum nehmen oder Spenden für politische Arbeit und Organisationen sammeln immer weiter kriminalisiert und nach Möglichkeit weggesperrt werden. Hier dienen unter anderem exorbitante Haft- und Bewährungsstrafen dazu Widerstand zu kriminalisieren, diffamieren und delegitimieren. “Wir wünschen allen Gefangenen viel Kraft und wollen Ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind. Hinter den Knastmauern wird an sie gedacht, es wird gekämpft und nicht aufgehört gegen das System, welches sie einsperrt und uns alle gefangen hält anzugehen!” sagt Aktivist*in Mel.
Herrschaft sichern – Leben zerstören
Mit den Plakaten vor der JVA Plötzensee soll auf die verheerenden (nicht nur) psychischen Konsequenzen von unwürdigen Haftbedingungen und dem bloßen Fakt des Eingeknastet-Seins aufmerksam gemacht werden. In den vergangenen beiden Jahren nahmen sich allein 7 Personen im Knast ihr Leben. Im Oktober dieses Jahrs beging eine Person am zweiten Tag seiner Ersatzfreiheitsstrafe (s.o.) Selbstmord, nachdem das Justizpersonal ihn als psychisch auffällig wahrnahm und einen Tag später auf Sicherheits- oder Kontrollmaßnahmen verzichtete. Aktivisti Luca entgegnet dazu: “Dass die Einknastung selbst ein schwer zu ertragender psychischer Stressor ist wird kaum erfasst, stattdessen lamentiert der Justizvollzug in der besagten Debatte von “Suizidprophylaxe” und “Krisenprävention”.”
Tägliche Schikane und Haftbedingungen
Die Unwürdigkeit des grundlegenden Wegsperr-Konzepts, wird durch vielseitige Formen der Schikane überboten. Der Slogan “30 Minuten telefonieren 10 Euro, nur ein Weg Gefangene zu schikanieren” thematisiert die diffamierenden Eingriffe auf Kontakt zu Angehörigen durch die Preise des Gefängnistelefonanbieters Telio. Vor allem angesichts des ausbeuterischen Lohnes, den Gefangene für Arbeiten erhalten hat dies eine enorm isolierende Auswirkung. Wie so eine „Resozialisierung“ stattfinden soll ist fraglich. Darüber hinaus wird mit einem weiteren Plakat auf den andauernden Rattenbefall von Gebäude 2 der JVA Tegel hingewiesen, welcher es bisher nur in Bezug auf die Kätzenintervention zur Rattenbekämpfung in die bürgerlichen Medien geschafft hat. Dass die Situation der Menschen selbst, gemeinsam mit Ratten in einer Zelle zu sitzen, nie Thema der öffentlichen Debatte war, zeugt davon wie sehr Menschen hinter Gittern aus unserem Bewusstsein verschwinden, indem Sprachrohre nach außen gekappt und jegliche Form von Organisation unterbunden werden.
Wir müssen erkennen, dass das, was Menschen in den Knast bringt oder zu Taten veranlasst gesellschaftliche Probleme sind, die nicht durch eine Strafe, ein Wegsperren gelöst werden. Deshalb sind es diese Verhältnisse (Armut, Missbrauch, Arbeitslosigkeit, Unterdrückung, Ausgrenzung, Ausbeutung etc.) die wir angehen müssen.
Hierzu rufen wir auch dazu auf, heute an der alljährlichen Antiknastdemo zu SIlvester zu beteiligen! Treffpunkt ist die Liebigstraße 34, von wo aus es zum Frauen*knast nach Lichtenberg gehen wird!
Free them all – free us all!
Infos zu:
Knastkritik:
www.abc-berlin.net/download
Gefangenengewerkschaft:
ggbo.de/
Ersatzfreiheitsstrafe:
entknastung.org/
Telefonpreisen:
ggbo.de/telio/