[Italien] „Das schönste Geschenk“ – Antonio, Beppe, Lorenzo und Niccolò aus dem Gefängnis in Ferrara

Quelle: act for freedom, übersetzt von abc wien

Im Laufe der Jahre haben wir oft mit unserer Vorstellungskraft gespielt und überlegt, wie und wann Asilo geräumt werden würde. Wie viele Polizist*innen in das Viertel eindringen, wie lange die Barrikaden halten, wie lange diejenigen, die es auf das Dach geschafft haben, Widerstand leisten können, ob die Räumung mit einer repressiven Operation verbunden wäre, wie die Reaktionen draußen aussehen würden.

Zwei Wochen sind vergangen, und bis heute wurden viele Fragen beantwortet. Aber wir kommen noch immer nicht darüber hinweg.

Vielleicht, weil sie uns nacheinander weggebracht haben, zuerst nach Le Vallette in Einzelhaft, dann in das „Special Unit“ des Gefängnisses von Ferrara. Wir waren über die Ermittlungen erstaunt, die uns als interne Sekte darstellen, die von einer breiteren Struktur derjenigen verborgen sei, die sich im Laufe der Jahre im Asilo organisiert haben. Eine Anklage, die auf ekelhafte Weise private, politische und freundschaftliche Gespräche auswählt und verdreht, mit der Absicht, die Behauptungen der Ermittlungen zu stützen. Eine Rekonstruktion, die in keiner Weise die Vielfalt der rebellischen Spannungen, Ideen und Impulse erfassen kann, die von diesem Ort in die Welt ausgingen.

Vielleicht liegt es daran, dass wir seit über einer Woche keine gepanzerten Transporter und Antiriot-Cops gesehen haben, die ganze Teile der Nachbarschaft abriegelten indem sie jede*n, der*die nicht dort lebte oder es nachweisen konnte, fernhielten, um das zu isolieren was mittlerweile die ehemalige Höhle der Subversiven ist. Vielleicht liegt es daran, dass wir keine Arbeiter*innen hörten, die Tag und Nacht darum bemüht waren, das Gebäude unzugänglich und vor allem unbewohnbar zu machen. Vielleicht liegt es daran, dass es uns nicht wirklich wichtig ist. Diese ersten Tage hier drin vergingen nicht in Nostalgie, sie wurden nicht mit dem Zurückblicken auf die vielen Erinnerungen und Momente, die an diesem Ort gelebt wurden und was es für jeden von uns bedeutete und dem Kampf, der von dort ausging und über die Jahre andauerte, verbracht, sondern in dem Bedauern, in diesen Tagen nicht bei euch da draußen gewesen zu sein: auf dem Weg vom Zentrum nach Aurora, in aufgeheizten Versammlungen, in einer Bar, um das Tränengas abzuwaschen.

Denn wenn Menschen mit der Räumung ein Zuhause verloren haben, einen Ort, an dem man sich organisieren und diskutieren kann, fühlten sich viele eines Stückes Freiheit beraubt, herausgerissen mit einer solchen Kraft, dass es einen Punkt ohne Rückkehr markiert. Ein „Funke“. Eine Kriegserklärung, auf die jede*r antworten wollte und deren Echo über die Kilometer, Mauern und Gitter, die uns trennen, hinausreicht. 

Dies ist das schönste Geschenk, das sie uns machen konnten: zu wissen, dass die Räumung vom Asilo und die Reaktion auf die Ermittlungen Gelegenheiten für jede*n Einzelne*n waren, das Unwohlsein, die Wut und die Rebellion weit über die einzelnen Kämpfe und Aktionen derer hinaus auszudrücken, die sich dort seit Jahren ständig organisierten.

Und dann spielt es keine Rolle, ob wir Asilo wiedererkennen werden, wenn wir rauskommen; wir werden in den Augen derer, die dort sein werden, die gleiche Liebe und Wut erkennen, die heute in Turin zu finden ist.

Es gibt Hoffnung. Eine Hoffnung, die nicht im besetzten Asilo liegt, sondern in den Herzen, Köpfen und Händen derer, die sich entschieden haben.

„die Gefangenen“.

Antonio, Beppe, Lorenzo und Niccolò‘.

Ferrara, 18. Februar 2019

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