[Niederlande] Solidarität mit den in Belgien verfolgten Anarchist*innen

Quelle: autonomen den haag, übersetzte von abc wien

Heute haben wir vier Banner an verschiedenen Orten in Den Haag, Niederlande, aufgehängt, in Solidarität mit den Anarchist*innen, die in Belgien verfolgt werden. Hunderte von Flyern wurden ebenfalls verteilt.

Ab 2008 begann der belgische Staat groß angelegte Ermittlungen, die – immer ohne Zugeständnisse – auf verschiedene Kämpfe abzielte, die sich gegen Haftanstalten, Grenzen, Gefängnisse und die Welt der Autorität und Ausbeutung richtete. Im Fadenkreuz: die anarchistische Bibliothek Acrata, anarchistische und antiautoritäre Publikationen (Hors Service, La Cavale und Tout doit partir), dutzende von Flyern und Postern, mehr als hundert Aktionen, Angriffe und Sabotagen… mit anderen Worten der Kampf gegen die Macht in all ihren verschiedenen Ausdrucksformen.

Ursprünglich der „Beteiligung an einer terroristischen Gruppe“ angeklagt werden 12 Gefährt*innen schließlich unter dem Vorwurf der „kriminellen Vereinigung“ in der Woche vom 29. April 2019 vor Gericht gestellt.

Ende 2008, inmitten diffuser Auseinandersetzungen, die durch die Aufstände in Griechenland nach der Ermordung von Alexis durch die Polizei ausgelöst wurde, leitet die belgische Bundesanwaltschaft eine Untersuchung gegen Anarchist*innen und Anti-Autoritäre ein. Auf der Grundlage einer Liste von Aktionen, die die Polizei der „anarchistischen Bewegung“ zuschreibt, und während der Kampf gegen den Bau eines neuen Gefangenenlagers in Steenokkerzeel läuft, wird die Untersuchungsrichterin Isabelle Panou 2010 mit der Ermittlung beauftragt, die nun unter die Anti-Terror-Richtlinie fällt. Erst im Mai, dann im September 2013, finden im Rahmen dieser Untersuchung ein Dutzend Hausdurchsuchungen statt, die verschiedene Häuser sowie die anarchistische Bibliothek Acrata in Brüssel betrifft. In diesem Zusammenhang taucht zum ersten Mal der Begriff der Anti-Terror-Ermittlung auf. Diese Untersuchung wird von der Anti-Terrorabteilung der föderalen Kriminalpolizei mit Unterstützung der Staatssicherheit und des Allgemeinen Nachrichten- und Sicherheitsdienstes der Armee sowie verschiedenen Antiterrorgruppen anderer europäischer Länder geleitet. Die Untersuchung wird 2014 abgeschlossen und gipfelt in der Einreichung der Anklageschrift gegen zwölf Anarchist*innen und Antiautoritären bei Gericht.

In dieser Untersuchung hat die Bundesanwaltschaft versucht, nicht weniger als 29 individualisierte Anklagen zu erheben. Neun Gefährt*innen wird vorgeworfen, einer terroristischen Organisation anzugehören und mehr oder weniger lange Zeit an terroristischen Aktivitäten beteiligt gewesen zu sein. Drei von ihnen werden beschuldigt, die „Anführer“ zu sein. Darüber hinaus werden drei weitere Personen, die nach einem Angriff auf die Polizeistation von Marolles, Brüssel, verhaftet wurden, beschuldigt, einen Tag lang dieser terroristischen Gruppe angehört zu haben, sowie verschiedene Anklagen im Zusammenhang mit dem Angriff. Dies sind die allgemeinen Vorwürfe.

Ergänzt werden sie dann durch konkretere Anschuldigungen wie die Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration außerhalb der Haftanstalt 127bis in Steenokkerzeel (von den Staatsanwälten in „versuchte Brandstiftung“ und „terroristische Straftat“ umgewandelt), die Vorbereitung und Teilnahme an einem Angriff auf die Polizeistation in Marolles (von der Staatsanwaltschaft als „terroristischer Akt“ bezeichnet), mehrfache Angriffe und Verwundungen von Polizeibeamt*innen, Behinderung der öffentlichen Straßen, Schäden in unterschiedlichen Formen, Ladendiebstahl, Brandstiftung an Fahrzeugen der Gefängniswärter*innen auf dem Parkplatz des Gefängnisses Ittre, Anstiftung zu terroristischen Straftaten…. Es sei darauf hingewiesen, dass diese spezifischen Anschuldigungen jeweils auf bestimmte Gefährt*innen gerichtet sind, d.h. nicht jede*r ist wegen allen Vorwürfen angeklagt.

Hintergrund dieser seit mehreren Jahren andauernden Untersuchung, die nicht weniger als 32 Kisten mit Fallakten hervorgebracht hat, ist, dass die Bundesanwaltschaft davon ausgeht, dass insbesondere in Brüssel eine „anarchistische terroristische Gruppe“ aktiv wäre und die Angeklagten an diesen Aktivitäten „mitgewirkt“ oder sie „begünstigt“ hätten. So hat sie beispielsweise eine Liste von etwa 150 Angriffen, von denen eine ganze Reihe Brandsätze gegen die Herrschaftsstrukturen, Polizeistationen, Gerichte, Banken, Unternehmen, die sich im Geschäft der Inhaftierung bereichern, Baustellen, Diplomatenautos, Eurokraten und NATO-Beamte, Mobilfunkantennen sind…. Alle diese Angriffe fanden zwischen 2008 und 2013 in Brüssel und Umgebung statt.

Die Erfindung einer terroristischen Gruppe, die für all diese Fakten verantwortlich wäre (wenn auch nur durch die Tatsache, sie „ermöglicht zu haben“), lässt weit hergeholte Spekulationen für die Anklage zu: Eine Bibliothek wird zum Rekrutierungsort, Diskussionen werden zu heimlichen Treffen, Flugblätter und Zeitungen anarchistischer Kritik werden zu urbanen Guerillahandbüchern, Demos und Kundgebungen werden zu Aufrufen zum Terrorismus, die Affinitätsbindungen zwischen Menschen im Kampf und der daraus resultierenden Selbstorganisation werden zu „einer strukturierten terroristischen Gruppe“. Die Erfindung einer „anarchistischen Terrorgruppe“ ist offensichtlich ein eher ungeschickter Versuch des Staates, die antiautoritäre und revolutionäre Subversion auf die Arbeit einer einzigen „strukturierten Gruppe“ zu reduzieren. Mit dem Versuch, eine Handvoll unbequemer Anarchist*innen hinter Gitter zu bringen, zielt der Staat darauf ab, die Widerständigen davon abzuhalten, direkt gegen das vorzugehen, was uns unterdrückt und ausbeutet, und alle Wünsche, Möglichkeiten und kritischen Überlegungen, die mit dieser autoritären Welt kollidieren, vollkommen zum Schweigen zu bringen.

Was also auf dem Prüfstand steht, ist ein Mosaik aus Kämpfen, Revolten, Ideen, direkten Aktionen, Kritik, revolutionären Vorstellungen, Agitationen, die seit Jahren versuchen, die Herrschaft anzugreifen. Dabei betrifft der mögliche Gerichtsprozess nicht nur die Angeklagten, sondern auch jede*n Einzelne*n, jede*n Anarchist*in, jede*n Revolutionär*in, jede*n Rebell*in gegen die Ordnung, jede*n Ungehorsame*n gegenüber der Autorität, der*die sich weigert, angesichts von Ausbeutung und Unterdrückung träge zuzusehen. Im Visier ist die Suche nach selbstbestimmtem Handeln, Selbstorganisation im Kampf, direktes Handeln in all seiner Vielfalt, die Entscheidung, anarchistische und revolutionäre Ideen zu verteidigen und zu verbreiten, um zusammen mit anderen Rebell*innen an selbstorganisierten und autonomen Kämpfen teilzunehmen. Und schließlich, ohne jeden Zweifel, ein kämpferischer Ansatz des Anarchismus, der vom Individuum, der Affinität, der Informalität ausgeht.

Es wäre absurd, die Repression, die heute einige Anarchist*innen und Antiautoritäre trifft, von all der Repression zu trennen, die versucht, (oft präventiv) jede Kritik an der etablierten Ordnung und dem Aufstand zu unterdrücken. Mit „terroristischen Bedrohungen“, Flüchtlingskrise, Verbrechensbekämpfung und sehr realen Kriegen läuft die staatliche Repression heute auf Hochtouren. In einer Zeit, in der sich die Gründe für soziale Konflikte immer schneller verschieben, ist die Neutralisierung aller, die ihr Denken und ihre Pläne stören, Teil eines Prozesses, der auf die Ausgebeuteten und Unterdrückten abzielt: die Verhärtung der Überlebensbedingungen, die Militarisierung der Grenzen, die Einführung einer massiven technologischen Kontrolle, der Bau neuer Gefangenenlager usw.

Sich gegen diesen repressiven Schlag zu verteidigen, der Gefährt*innen unter dem Vorwurf des Terrorismus vor Gericht bringen will, bedeutet, jede Möglichkeit und jeden Raum anarchistischen und antiautoritären Handelns zu verteidigen. Und sich durch die Solidarität mit den beschuldigten Gefährt*innen der staatlichen Repression, die darauf abzielt, alle subversiven Aktionen zu lähmen, zu widersetzen.

Wenn der Kampf für die Freiheit ein Verbrechen ist, wäre die Unschuld wirklich das Schlimmste von allem.

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