[Spanien] Interview über Klandestinität

Quelle: panopticon (leicht verändert)

Vor einigen Tagen erhielten wir ein Interview von Lisa, was sie mit einer Gefangenen der Organisation ETA in einem Knast in Madrid über Klandestinität geführt hat. Sie bat darum, dieses zu veröffentlichen. In diesem Interview wird im Zusammenhang mit der baskischen Bevölkerung das Wort Volk verwendet. Wir bitten darum dieses Wort im baskischen Kontext zu verstehen, was nichts mit Rassismus, jeglicher „Blut und Boden“ Rhetorik zu tun hat. Die revolutionäre und nationale Befreiungsbewegung im Baskenland, sieht all jene als Bask*innen, die sich als solche fühlen, begreifen und sehen, fernab von ihrer Herkunft und Abstammung.

Interview über Klandestinität

  1. Wie lange und in welchem Kontext warst du in der Klandestinität?

Ich musste auf Grund meiner Aktivität (Militanz) der bewaffneten Gruppe ETA in die Klandestinität gehen. Das erste Mal für etwa 2,5 Jahre, das zweite Mal für 9 Monate.

  1. War es eine spontane Entscheidung oder über eine längere Zeit durchdacht?

Die Entscheidung der ETA beizutreten war natürlich nicht spontan, aber ich würde auch nicht sagen, dass es eine langdurchdachte Entscheidung war. Ich würde sagen, dass es ein natürlicher Prozess war. Ich habe immer in dem Kampf der Befreiung unseres Volkes teilgenommen, seit ich ein Kind war, von zu Hause aus habe ich den Konflikt erlebt und schon sehr jung war ich mir dessen sehr bewusst und wollte immer am Kampf teilnehmen. Ich war ein Teil der Studentenbewegung, der Jugendlichen, Feministinnen, etc. Dann wurde mir angeboten ein Mitglied von ETA zu werden, das war für mich ein weiterer Schritt der Entscheidung für den Kampf. Obwohl ich Angst und Unsicherheiten hatte, konnte ich all das Leid, was mich und meine Geliebten erwarten würde, auf mich nehmen, und ich fühlte, dass ich diese Möglichkeit nicht verstreichen konnte oder wollte. Der Kampf brauchte Leute, die alles geben, wenn so viele Genoss*innen diesen Schritt machten, warum ich nicht? Ich wollte mutig sein und es versuchen. Und trotz aller benannten Hindernisse, war es für mich ein großer Stolz, Teil von ETA zu sein.

  1. Bevor du in die Klandestinität gingst, hattest du Erfahrungen von anderen Genoss*innen? War es ein überlegtes Thema?

Wenn ich sagte, dass ich den Konflikt von klein auf erlebt hatte, meine ich deshalb unter anderem, dass das Thema der Gefangenen und Verfolgten das tägliche Brot bei uns zu Hause waren. Ich habe mit meinem Vater und mit meiner Mutter Gefangene und Exilierte besucht, wir gingen auch auf Demos, klar, ich erinnere mich, dass meine Mutter mich immer animierte, den Gefangenen zu schreiben…das waren Leute, die in dem Moment nicht in der Klandestinität waren, aber es vorher mehr oder weniger erlebt hatten. Niemand hat mir genau gesagt, wie das Leben in der Klandestinität ist, aber es war auch nicht so fern für mich.

  1. Wie war der Anfang? Und danach?

Der Anfang war hart. Auf der einen Seite hatte ich das Pech ziemlich schnell abhauen zu müssen (ich wäre gern länger „legal“ in ETA geblieben, aber das war nicht möglich. Ein Genosse wurde verhaftet und gab meinen Namen unter Folter), ich war noch sehr jung und ohne Erfahrung. Ich fühlte mich sehr verloren, vor allem bis ich zur illegalen Infrastruktur von ETA kam. Aber ich fühlte mich auch sehr stolz, dass ich mir selbst zeigte, dass ich fähig war den Bullen zu entwischen, das gab mir Sicherheit (auch wenn mich die Unsicherheit in meinem ganzen Weg des Kampfes in die Klandestinität begleitete). Für mich persönlich war der Anfang sehr hart, auch weil die Repression meine ganze Familie traf, mein Bruder wurde verhaftet, mein Vater und ich waren auf der Flucht und meine Mutter zerstört. Nach einigen Monaten normalisierte sich die Situation in unserer Familie etwas, mein Bruder wurde entlassen, und mein Vater konnte ein etwas mehr oder weniger normales Leben in Iparralde – Euskal Herria (französisches Baskenland) führen (wo die spanischen Bullen ihn weder verhaften noch foltern konnten … normalerweise, aber wir kennen auch die Fälle von Genoss*innen die entführt oder umgebracht wurden in Iparralde – Euskal Herria, mit der absoluten Toleranz Frankreichs). Für mich war es eine sehr wichtige Erleichterung und ich ging den Weg des Kampfes mit mehr Leichtigkeit.

  1. Konntest du deinen Kampf weiterführen?

Die Etappe der Klandestinität war eine weitere Etappe in meinem Leben der Militanz/Aktivismus. Sicherlich wo ich mehr zum Kampf beitragen konnte in dieser Etappe, zudem war es die intensivste.

  1. Hattest du die Möglichkeit (irgendwie) mit deiner Familie und Freund*innen/Genoss*innen im Kontakt zu sein, zumindest, damit sie wissen, dass es dir „gut“ geht?

Das Leben und die Aktivität in ETA aus der Klandestinität erschwerte sehr den Kontakt zu meinen Geliebten. Wir erhielten manchmal sehr sehr lange Zeit gar keine Nachricht voneinander. In meinem Fall haben wir mit Briefen kommuniziert … ich werde niemals die Freude und Tränen vergessen von all den Briefen, die ich erhielt. Mit den Genoss*innen hing es davon ab, wo wir uns gerade aufhielten. Mit denen, die auch in der Klandestinität waren, hing es von der „Arbeit“ ab, die wir verrichteten, ob wir uns sahen oder nicht. Wir konnten manchmal Monate, sogar Jahre, 24 Stunden zusammenleben und uns dann nie wieder sehen. Später konnte ich im Knast viele Kontakte und Freundschaften wieder aufnehmen.

  1. Was war für dich am „schwierigsten“ und am „einfachsten“?

Ich glaube am schwierigsten in der Klandestinität ist das Leid für deine Geliebten. Für sie ist es grausam nichts von uns zu wissen. Sie wissen, dass sie jederzeit im Radio hören können, dass sie uns verhaftet haben (wenn die Verhaftung in Spanien ist, heißt dies, dass sie uns wild foltern) oder noch schlimmer, dass sie uns umgebracht haben oder dass wir tot sind. Das ist super hart. Als sie mich verhaftet haben (beide Male) hat vor allem meine Mutter aufgeatmet. Für sie war es besser ihre Tochter im Knast zu sehen, als nichts von ihr zu wissen. Das ist absolut verständlich, auch wenn mich das verärgert hat wenn die Leute froh waren mich im Knast zu sehen?? Ist das Freude, mich dort zu sehen? Das ist eine der vielen Widersprüche im Kampf, ich weiß. Die Angst vor der Folter oder dem Tod (von dir selbst oder dem/der Genoss*in) ist auch sehr schwer (Nächte ohne zu schlafen in Aufmerksamkeit jedes Geräusches …) aber ich denke, dass das sicher einfach zum Überleben ist, nicht etwas was du kontinuierlich hast, so war es zumindest für mich … Das einfachste in der Klandestinität ist das Gefühl der Freiheit, das du erlebst. Du lebst in einer Parallelwelt zu dieser Welt. In den Augen der „normalen Leute“ war ich eine „normale Person“, aber in Wirklichkeit war ich etwas Anderes. Ich weiß nicht, wie man das beschreibt, aber es ist ein spezielles Gefühl, sehr intensiv. Auch die Bindung, die zwischen den Genoss*innen entsteht ist speziell, sehr intensiv und normalerweise sehr schön (unabhängig von dem nicht-zusammenpassen was sein kann).

  1. Wie war die Verhaftung? War es ein Schock/Wut oder Erleichterung? Wie war es in die „Legalität zurück zukommen“ im Kontext des Knastes?

Die Verhaftung war beide Male eine riesige Wut und viel Frustration. Die Erleichterung war einerseits nicht in die Hände der spanischen Bullen gefallen und der Folter entgangen zu sein. Vom ersten Moment an weißt du in jedem Moment, dass sie dich verhaften werden, dass du für eine lange Zeit in den Knast gehst, aber das stoppt nicht den Schlag den du durch die Verhaftung erlangst. Da ist einmal die persönliche Seite aber auch die Konsequenzen, die deine Verhaftung in der Organisation hat, das große Problem was den Genoss*innen bleibt, die weiter in der Klandestinität kämpfen, dass Tor was der Feind geschossen hat. Ich denke, dass die Verhaftung irgendwie ein Fehler ist und ein Verlust auf allen Seiten (nur von deinen Geliebten gewinnst du, sie wiederzusehen und wieder umarmen zu können). „In die Legalität zurückzukommen“ innerhalb des Knast-kontexts ist ein riesen Schlag. Es ist von einem Freiheitsgefühl zu einem Gefangensein-gefühl in jedem Aspekt deines Lebens und deines Körpers zu fallen (Dein Geist ist das Einzige, was nicht gefangen ist. Unser freier Geist hat uns gerettet). Das erste Mal musste ich schon die Wut und die Trauer nicht mehr draußen zu sein, kontrollieren und das Erlernen des Lebens im Knast ist niemals einfach. Wenigstens hatte ich tolle Genoss*innen an meiner Seite. Beim zweiten Mal kannte ich das Leben im Knast schon mehr oder weniger (man lernt nie aus), aber die Wut und die Trauer und die Frustration waren so groß, dass es mir noch schwerer fiel, ruhig zu bleiben und mich zu animieren. Das Wissen, das Gefühl und die Praxis, dass das Leben im Knast und der Kampf niemals zu Ende gehen, ist die Basis weitermachen zu können, und das mit erhobenem Kopf, mit der Freude, der Kraft zu leben und zu kämpfen.

  1. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen „Knast“ und „Klandestinität“?

Die Unterschiede zwischen Knast und Klandestinität sind so wie zwischen den Farben schwarz und weiß. Die Gemeinsamkeit ist in gewisser Weise außerhalb der Gesellschaft zu sein. In der Klandestinität kann es mehr oder weniger so sein, aber normalerweise bist du von der Gesellschaft isoliert. Der Knast ist dazu gemacht, dich von der Gesellschaft zu isolieren. Der Unterschied ist, dass du in der Klandestinität versuchst, dich so wenig wie möglich in die Gesellschaft zu mischen und im Gegenteil dazu ist es im Knast ein täglicher Kampf gegen die vorgegebene Isolation zu kämpfen.

  1. Wie ist deine Reflektion nach all der Zeit dazu?

Ich fühle, dass ich sehr viel Glück gehabt habe, es geschafft und mich getraut zu haben, das Beste von mir für den Kampf, für die Befreiung unseres Volkes gegeben zu haben. Mit all unseren Fehlern und Miseren, denke ich, dass wir stolz auf unseren Kampf sein können. Ich fühle mich privilegiert, da ich an diesem Projekt teilnehmen konnte und noch immer kann, was nur durch all die Arbeit von tausenden von Frauen und Männern unseres Volkes (und internationalistischen Genoss*innen) möglich war und ist. Einige sind auf der Strecke geblieben oder haben schwere Krankheiten, und ich bin weiter am Leben, mit Energie und Freude, um weiterzukämpfen … was könnte ich mehr wollen?

Außerdem eine weitere Reflektion; die ehrlich ist, jetzt wo unsere Organisation nicht mehr existiert und wo die Klandestinität keine Option mehr in unserem Volk ist, fühle ich mich etwas erleichtert. Ich erinnere mich, als ich das zweite Mal in die Klandestinität ging (nach 4,5 Jahren Knast und ohne in Freiheit zu bleiben), fühlte ich mich wie auf Wolken, glücklich, als wenn das Leben mir eine zweite Chance geschenkt hätte. Aber ich war traurig wegen meinen Geliebten, klar (außerdem war mein damaliger Freund im Knast), aber ich war mir dieses Widerspruchs bewusst, ich fühlte mich sehr gut. Aber wenn ich jetzt nochmals in die Klandestinität zurück müsste (ich hoffe [im Brief steht an dieser Stelle nichts]) würde ich es anders erleben, es wäre viel härter meinen Geliebten ein drittes Mal so viel Leid zuzumuten, es wäre jedes Mal härter. Deshalb sehe ich es als Glück an, am Kampf teilzuhaben, ohne Waffen nehmen zu müssen.

  1. Fühlst du/Fühltest du dich auf eine gewisse Weise von deinem Umfeld entfernt/entfremdet? Wie hat dich dein Umfeld später unterstützt? Hast du dich mit diesen Erfahrungen verändert?

Natürlich musste ich mich von meinem Umfeld entfernen, zumindest physisch. Trotzdem fühle ich, dass wir sehr vereinigt und sehr nah mit meinem Umfeld (im Herzen und im Kopf) sind. Es ist unser täglicher Kampf zu versuchen, dass sie uns nicht trennen … sie haben es nicht geschafft und ich denke, dass ich mit Sicherheit sagen kann, sie werden es niemals schaffen!

Mein Umfeld hat mich wunderbar unterstützt. In jedem Moment und für alles waren und sind sie da, meine Geliebten. Sie haben immer mit mir gelitten, gekämpft und genossen. Mein Vater, mein Bruder, meine ganze Familie, meine Freund*innen … und meine Mutter.

Natürlich habe ich mich in diesen Erfahrungen verändert und in Wirklichkeit gefällt mir diese Veränderung. Ich bin mir sicher, ohne meine Militanz/mein Aktivismus in der ETA wäre ich eine andere Person. Ich habe einiges auf dem Weg verpasst (z.B. kann es sein, dass ich niemals eine Mutter sein kann, obwohl ich es immer wollte). Ich denke, dass das Leid der Genossinnen, die nicht Mütter werden konnten, unsichtbar ist. Oft spricht man über die Genoss*innen, die als Mütter oder Väter weit weg von ihren Kindern sein müssen, was natürlich auch sehr hart ist. Es gibt auch Männer die keine Väter sein konnten, aber ich denke, dass es für sie leichter war, gleichzeitig Mitglied und Vater zu sein, als für uns Frauen, da sie die Mütter ihrer Kinder zu Hause haben … Aber das sind die „Spielregeln“ und ich nehme sie in Kauf. So viele Jahre (und die wichtigen in meinem Leben … meine ganze „Jugend“) „außerhalb der Gesellschaft“ gelebt zu haben, hat sicherlich Schaden genommen, aber ich denke, dass ich auch einige wichtige Lektionen gelernt habe, auf eine antikapitalistische Art. Ich denke, dass mich das System nicht so sehr in seinen Bann gezogen hat wie viele Leute um mich herum, und das Gefühl gefällt mir.

  1. Was rätst du jüngeren Genoss*innen von heute, welche Punkte sollten sie im Bewusstsein haben oder reflektieren bevor sie solche Erfahrungen machen (könnten)?

Für mich ist es sehr wichtig mit uns selbst ehrlich zu sein (und mit unseren Genoss*innen) über unsere Ängste, Unsicherheiten und Unfähigkeiten zu sprechen. Das kann offensichtlich sein aber ich denke, dass es oft die Tendenz gibt sie zu verneinen oder sie zu verstecken im Namen der Stärke. Ich denke, dass es genau das Gegenteil ist, unsere Schwierigkeiten zu akzeptieren gibt uns Vertrauen und persönliche kollektive Stärke.

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