[Kanada] Bewährungsausschuss entscheidet Cedar über den Sommer weiter in Haft zu behalten

Quelle: its going down, übersetzt von abc wien

Update aus Hamilton, Ontario zur Entscheidung des Bewährungsausschusses, Cedar den Sommer über eingesperrt zu lassen, trotz der massiven Empörung der Community.

Nachdem wir fast fünf Tage gewartet haben, erhielten wir endlich das Ergebnis von Cedars Bewährungsanhörung. Am Montag, 8 Juli, gegen 16:56 Uhr, nach tagelanger Beratung, erhielten wir die Nachricht, dass der Widerruf der Bewährung bestehen bleibt. Nach der Einreichung von mehr als einem Dutzend eidesstattlicher Erklärungen beim Bewährungsausschuss; nachdem Hunderte von Community-Mitgliedern sich zu Wort gemeldet und Schritte gegen die Kriminalisierung von Pride -Verteidiger*innen unternommen hatten; nach einem Tag der Solidarität, an dem über 50 Aktionen auf mehreren Kontinenten zur Unterstützung der sich wehrenden Queers stattfanden, beschloss der Bewährungsausschuss dennoch, Cedar für den Rest des Sommers im Gefängnis zu behalten.

Die Ergebnisse des Bewährungsausschusses sind zwar erschütternd, aber für diejenigen von uns, die Erfahrung im Umgang mit dem Rechtssystem haben, nicht überraschend. Doch auch wenn es nicht überraschend ist, ist es etwas, was beachtet und aus dem gelernt werden muss. In Anbetracht des Ergebnisses ist es entscheidend, die allgemeinen Umstände sowie die besonderen Faktoren zu verstehen, die diese Situation verursacht haben. Das Wissen um die Gründe für Cedars Verhaftung und anschließende Inhaftierung sagt viel über unsere aktuelle Situation und liefert zahlreiche Warnungen, die wir bei unserem weiteren Handeln in Hamilton berücksichtigen sollten.

Eine der wichtigsten Fragen, mit denen sich der Bewährungsausschuss befasste, war die Frage, ob eine Rede von Cedar als Anstiftung zu einem Verbrechen und damit als Verstoß gegen die Bewährungsauflagen angesehen werden kann oder nicht. Im Gegensatz zu den vielen Erklärungen der Polizei von Hamilton, Cedar sei wegen angeblicher Anwesenheit bei der Pride verhaftet worden, deuten die internen Dokumente der Polizei darauf hin, dass Cedar größtenteils wegen eines anderen Vorfalls verhaftet wurde. Die Polizei lügt. Sie missbraucht regelmäßig ihre Macht und in keinster Weise, Gestalt oder Form kann kann sie damit betraut werden, die Welle des Hasses die über die Stadt gefegt ist, ist in Angriff zu nehmen. Am Montag nach der Pride wurde im Rathaus ein offenes Treffen einberufen, um Hamiltons queere, trans* und nicht-binäre Community zusammenzubringen. Das Treffen sollte ein safe space, ein sicherer Ort, sein – ein Ort für Queers, an dem sie die Möglichkeit haben, ihre Gedanken, Gefühle und Sorgen nach dem Angriff vom Wochenende zu äußern. Leider war dieses Treffen am Ende extrem unsicher. Während der Veranstaltung hielt Cedar eine feurige Rede, in der die Polizei kritisiert und Queers aufgefordert wurden, sich zu verteidigen. Die Rede bezog sich auch direkt auf die anwesenden uniformierten Polizist*innen und forderte sie heraus. All dies ist sehr wohl bekannt. Allerdings steckt mehr in der Geschichte, und dies ist für jede Diskussion über die von der Stadt vorgeschlagene „Richtlinie und Vorgehensweise bei Hassvorfällen“ von größter Relevanz.

Die Polizist*innen, die bei dem Treffen in Uniform anwesend waren, waren NICHT die einzigen Polizist*innen im Raum. Es war mindestens ein weiterer Officer anwesend, der allerdings undercover und in Zivil war. Als ob dies nicht schon genug des Angriffs wäre, gehört der betreffende Officer zu einer sehr bemerkenswerten Abteilung von HPS – der Hate Crime and Extremism Unit (Abteilung für Hassverbrechen und Extremismus). Das bedeutet, dass diese Abteilung nicht ausschließlich (und wohl auch nicht vorrangig) die gewalttätige Rechtsextreme untersucht. Stattdessen kommen sie wegen uns. Nur wenige Tage nachdem die Pride-Teilnehmer*innen von Hassgruppen (hate groups) angegriffen wurden, kommt ein Mitglied der Polizeieinheit, das speziell für den Umgang mit Hassaktivitäten zuständig ist, zu einem Treffen der queeren Community um die queere Community auszuforschen. Lasst das kurz wirken. Dieser Officer überwachte gruselig das Treffen und alle Anwesenden – er beobachtete und machte detaillierte Notizen, dokumentierte die Namen der anwesenden Personen, Dinge, die sie sagten, und wer weiß, was noch. Diese Aufzeichnungen wurden danach als Waffe verwendet und bildeten die Grundlage, auf der HPS ein Verfahren gegen Cedar aufbaute. Beim dem Treffen führte die Anwesenheit der Polizei nicht zu mehr Sicherheit für Queers, sondern zu mehr Gewalt. Um es klar zu sagen, ihre Anwesenheit brachte eine Trans*-Person ins Gefängnis; sie führte dazu, dass ein Mitglied unserer Community in einen Käfig gesteckt und isoliert wurde.

Vor diesem Hintergrund ist der jüngste Vorschlag des Stadtrats, sich „hassbezogenen Aktivitäten“ zu widmen, nichts anderes, als erschreckend. Gerade wenn ihr glaubt, die Reaktion der Stadt auf den Angriff bei der Pride könne unmöglich noch schlimmer werden, wird es tatsächlich noch schlimmer.  Falls ihr es verpasst habt, am vergangenen Freitag wurde angekündigt, dass die Stadtverordneten bald über eine neue „Hate Incident Prevention Policy“ abstimmen werden, die darauf abzielt, das Problem hasserfüllter (hate-based) Personen, Gruppen und Vorfälle in Hamilton anzugehen. Der Entwurf der Richtlinie sieht Bestimmungen vor wie die Installation weiterer Überwachungskameras am Rathaus und an anderen öffentlichen Plätzen, die Erhöhung der „allgemeinen Überwachungskapazität“ der Stadt im weiteren Sinne, die Anschaffung von mehr Mitteln für die Polizei für den Umgang mit Demonstrant*innen und Demonstrationen und die Einstellung eine*r speziellen Sicherheitsbeauftragten, der*die „mit der Untersuchung und Dokumentation von hassbezogenen Aktivitäten gegen städtisches Eigentum beauftragt ist“. Zusammenfassend lässt sich sagen, die Stadt wünscht mehr Überwachung, mehr Beteiligung der Polizei und mehr Datenbanken, die die Aktivitäten und persönlichen Daten der Menschen dokumentieren. All dies ist unglaublich beunruhigend, und wir sollten besorgt sein.

Für den Anfang ist das offensichtlichste Problem, dass diese Richtlinie nicht ausschließlich darauf verwendet wird, Rechtsextreme anzuvisieren. Es ist fast garantiert, dass sie sich gegen Queers, Antifaschist*innen, People of Color und andere linke Aktivist*innen richten wird (und sich vielleicht sogar darauf konzentriert). Es gibt eine lange Geschichte, in der solche Strategien gegen diejenigen angewandt werden, die politisch als Radikale gelten, und es hat sich bereits gezeigt, dass die Polizei von Hamilton unter dem Deckmantel des „Kampfes gegen den Hass“ unsere Communities kriminalisieren kann und wird. Wir werden einer stärkeren Überwachung ausgesetzt sein, wir werden mehr polizeiliche Schikanen und Gewalt erleben, und es wird mehr von unserem Leben aggressiv dokumentiert werden. Das macht wütend. Die Anwendung hassbezogener Gesetze und Maßnahmen zur Überwachung von Bewegungen für Gleichheit und die Befreiung aller ist beleidigend, und die Gleichsetzung von Antifaschismus mit Faschismus (nur zwei extreme Ideologien) ist grundsätzlich falsch. Während das Argument „beide Seiten“ in den letzten Wochen populär war, ist es wichtig, die Stadt laut und öffentlich daran zu erinnern, dass diese beiden Seiten völlig unterschiedlich sind.

Als nächstes stellt sich die Frage, wie Hass/Hass-Symbole/Hass-Aktivität definiert wird/werden. Die in der Vergangenheit vom Stadtrat verwendeten Definitionen waren fragwürdig, veranschaulichten jedoch auch die zugrundeliegenden politischen Sympathien. Im Laufe des letzten Jahres tauchten Hakenkreuze und andere Symbole „weißer Vorherrschaft“ (white supremacist) immer häufiger im öffentlichen Raum auf. Diese Hass-Symbole wurden jedoch wenig beachtet und die Politiker*innen der Stadt haben sich stattdessen auf andere Bereiche konzentriert – insbesondere auf die Debatte über das Circle-A und die Argumentation, dieses anarchistische Symbol als Hass-Symbol einzustufen. Dies gibt einen ziemlich guten Hinweis darauf, wo die Prioritäten des Stadtrats liegen.

Es stellt sich auch die Frage, wann bestimmte Gruppen als Opfer und/oder potenzielle Opfer von Hass anerkannt werden. Mit anderen Worten, welche Personengruppen oder welche Art von Personengruppen werden als gefährdet für hassbasiertes Targeting angesehen. Könnte zum Beispiel einer feministischen Aktion gegen Stadteigentum vorgeworfen werden, den Hass gegen Männer forciert zu haben? Viele in der Männerrechtsbewegung klassifizieren den Feminismus als eine Ideologie des Hasses und betrachten Männer in ihrer Gesamtheit als Ziel des Hasses.  Kommen wir zu einem konkreteren Beispiel, schauen wir uns die Polizei an. Die Polizei von Hamilton hat routinemäßig behauptet, die Polizei selbst sei eine wichtige Risikogruppe für Hass-Targeting und würde häufig Opfer von Hassverbrechen werden. Wenn also eine Gruppe eine Anti-Polizei-Demonstration organisiert, könnte man sie dann beschuldigen, an Hassaktivitäten teilgenommen zu haben? Würden queere Demonstrationen, wie sie nach der Pride organisiert wurden, als Anstiftung zum Hass eingestuft werden, wenn sie erneut stattfinden würden?

Und schließlich ist da noch das Thema der Datensicherheit und der damit verbundenen Risiken. Das Erstellen von Datenbanken und anderen Aufzeichnungen im Rathaus, die neben den persönlichen Informationen auch detaillierte Informationen über Personen enthalten, stellt eine sehr reale Bedrohung für diese Personen dar. Was wäre, wenn diese Aufzeichnungen in die Hände von Faschist*innen oder faschistischen Sympathisant*innen fallen? Einer der berühmtesten weißen Rassisten Kanadas, Paul Fromm, kandidierte bei den letzten Wahlen als Bürgermeister von Hamilton. Die Stadt Hamilton beschäftigt derzeit den bekannten Neonazis Marc Lemire – ausgerechnet in der IT-Abteilung! Es gibt eine Million Möglichkeiten, wie dies schiefgehen könnte, und wenn Mitglieder der extremen Rechten Informationen wie Wohnadressen und Arbeitsorte von Menschen beschaffen können, werden Menschen in Gefahr gebracht – sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Belästigung und potenzieller Gewalt konfrontiert sein.

Alle, die sich nach dem Angriff auf die diesjährige Pride und der anschließenden fehlerhaften Handhabung der Situation durch den Stadtrat und die Polizei von Hamilton dem Chor der Empörung angeschlossen haben, sollten sich weigern, befriedet zu werden. Versprechungen von mehr Überwachung und Unterdrückung von denselben Leuten, die sich lange weigerten, Queers, trans* und non-binary Menschen zu schützen, und diejenigen, die sich dafür eingesetzt haben, unter Strafe zu stellen, widerspricht absolut unseren kollektiven Interessen. Und all diejenigen, die sich zu Recht gegen Cedars politisch motivierte Verhaftung ausgesprochen haben, sollten sich einen Moment Zeit nehmen, um die eigentlichen Worte zu beachten, die Cedar ins Gefängnis zurückgebracht haben:

“If people say well we need cops there so they can de-escalate… it’s like how about we build de-escalation skills collectively? […] If we want the police there to use measured force in order to deal with situations, let’s figure out how to use measured force ourselves and decide when and how it’s appropriate to do so. I think building up strength to act, the strength needed to be violent if necessary is a necessary precondition for your choice to be peaceful to be meaningful, otherwise you’re just powerless.”

Für diejenigen, die uns kennen, wird es nicht verwunderlich sein, wenn wir uns weiterhin organisieren und für diejenigen mobilisieren, die mit Anklagen von der Pride konfrontiert sind, und für diejenigen, die trans*-, non-binary und queere Stimmen in dieser Stadt verstärken. Wir werden angegriffen. Wir werden uns verteidigen. Wir werden nicht zulassen, dass jemand unsere Community dafür kriminalisiert. Wir werden unerbittlich sein und weiter zurückschlagen. Bis unser*e Freund*in frei ist. Bis unsere Stimmen gehört werden. Bis wir sicher sind.

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