Quelle: hambacher forst
Triggerwarnung: Der Text enthält detailierte Beschreibungen von physischer und psychischer Polizeigewalt sowie deren Folgen bis hin zu Todeswunsch und Tod
Lasst uns über Repression sprechen. Das Leben als politisch aktiver Mensch im Hambacher Forst gehört oft mit zur schönsten Zeit, die viele von uns je erleben durften – und führt ebenso häufig zu den schrecklichsten Momenten. Dabei reden wir, die wir diesen Text verfassen, nicht von kalten Winternächten auf halb fertigen Plattformen; nicht von den aufeinander folgenden Tagen, an denen es nur noch Brot und Tofu zu essen gab; auch nicht von Beziehungsstreits und Liebeskummer. Es geht um die Eingriffe polizeilicher Maßnahmen in unseren direkten Lebensraum, um physische und psychische Verletzung durch Polizist*innen, um Gerichtsurteile, Gewahrsamnahmen. Um die Gratwanderung zwischen Macht, Ohnmacht und Selbstermächtigung. Um die Angst vor und die Traumata nach Begegnungen mit denen, die sich die Sicherheit des Staats auf die Fahnen geschrieben haben.
Während Aufenthalte im Gefängnis in der öffentlichen Wahrnehmung wenigstens ab und an erscheinen – wie beispielsweise die Inhaftierung von Winter und Jazzy in der großen Räumung in 2018 -, bleiben die Langzeitfolgen von Repression noch immer in großen Teilen im Dunkeln.
In der stark gewachsenen Bewegung rund um den Hambacher Forst und um Klimagerechtigkeit im Allgemeinen fehlt uns an vielen Stellen ein kritischer Diskurs darüber. Wir sehen in Videos Sitzblockaden aus der Räumung, in der Aktivist*innen der Polizei „Ohne Helm und ohne Knüppel seid ihr schön“ zusingen. Wir sehen Extinction-Rebellion-Aktivist*innen, die sich bei der Polizei für ihre eigene Räumung bedanken (warum dann noch mal blockieren?) und mit Beamt*innen aktiv zusammenarbeiten. Das tut weh. Denn es verniedlicht Polizeieinsätze und verharmlost die Wunden, die andernorts immer wieder durch ebenjene entstehen.
Dieser Text soll dazu beitragen, ein kleines bisschen mehr Bewusstsein darüber zu schaffen, was Repression mit uns Aktivist*innen machen kann. Er berichtet von einem Extrembeispiel dafür, was so vielen in der Hambi-Räumung 2018 widerfuhr. Steffen Meyn – von uns Sonne genannt – war nicht die einzige Person, zu deren Tod die Räumung beitrug.
Gleichzeitig erzählen wir hier die Geschichte einer geliebten Person – auf dass die Erinnerung nie verloren gehen möge.
Elf
Für viele Monate war der Wald der einzige Ort für Elf, an dem seine Krankheit nicht im Vordergrund stand. Hier wurde nicht darauf geschaut, was Elf nicht konnte, stattdessen standen Fähigkeiten und Wert für die gesamte Besetzung im Fokus. Ähnlich wie Remus Lupin – der Werwolf in „Harry Potter“ – war Elf hier nicht „der*die*das Kranke“ sondern ein wichtiger Teil des Widerstandes. Elf baute Infrastruktur auf und kochte, organisierte überlebenswichtige Ressourcen und erledigte Pressearbeit – genau wie andere Aktivist*innen auch. Die körperliche Aktivität und der damit verbundene Muskelaufbau linderten Schmerzen, in einem Maße, wie es in einer Schule, Berufsschule oder Universität beträchtlich schwieriger geworden wäre. Für diesen Text muss die Krankheit leider eine zentrale Rolle spielen.
Gesundheitliche Ausgangslage
Elf war an einem Tumor erkrankt, der noch vor längeren Aufenthalten im Hambacher Forst medikamentös so eingestellt war, dass er nicht weiter wuchs. Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass lebenslang schwer verträgliche Medikamente dagegen genommen werden müssten. Umso froher war Elf, als der Tumor besiegt schien und besagte Medikamente abgesetzt werden konnten. Einige Monate später – im Frühjahr 2018 – setzte jedoch erneutes Tumorwachstum ein. Elf begann schweren Herzens mit erneuter Medikamenteneinnahme und zumindest die offen sichtbaren Symptome gingen zurück.
Nachdem der Hambi zum gefährlichen Ort deklariert worden war, wurde es schwierig, sich gleichzeitig um die eigene Gesundheit und das Zuhause zu kümmern. Verschiedene andere Menschen schmuggelten sowohl die Tumormedikamente, welche gekühlt gelagert werden müssen, als auch Schmerzmittel in den Wald – unter erheblichen juristischen Risiken, da letztere teils unter das Betäubungsmittelgesetz fielen.
Die Räumung
Dann kam die Räumung. Elf befand sich über mehr als zwölf Stunden angekettet in dem Baumhaus NoNames, das über Monate hinweg sein Zuhause war. Sein erstes eigenes Zuhause …
Während einige Polizist*innen halbwegs professionell interagierten, verhielten sich die beiden vom SEK Kassel, die am nächsten an Elf positioniert waren, eher wie auf einer Spaßveranstaltung – gespickt mit Häme und sexistischen Kommentaren. „Rollo“ und „Uschi“, wie sie sich scherzhaft nannten – angelehnt daran, dass sich viele Aktivist*innen im Wald selbst neue Namen wählen -, beschallten Elf dauerhaft mit dem Schlager „Cordula Grün“. Sie sprachen über Stunden von einer Hochzeit zwischen „Rollo“ und Elf (mit „Uschi“ als „Trauzeugen“). Daneben zeigten sie offen Schadenfreude über die Zerstörung und übten psychischen Druck aus: „Oh, noch ein Baum wird gefällt – und du bist schuld – wenn du nur ‘rauskommen würdest bzw. das nie getan hättest …“.
Aufgrund falscher Informationen waren alle Pressevertreter*innen und solidarischen Beobachter*innen bereits gegangen, als Elf vom Baum transportiert und in die Gefangenensammelstelle gebracht wurde. Unterstützer*innen schrieben später über den Hambacher-Forst-Account auf Twitter:
Am Nachmittag starb unser Freund Sonne, der Journalist Steffen Meyn. Die Dokumentation von Räumungen durch Presse kann extrem hilfreich für Aktivist*innen sein – vor laufender Kamera haben Polizist*innen oft doch noch einmal mehr Skrupel, allzu krasse physische Gewalt anzuwenden. Sonne wusste das genau. Im hastigen Versuch, schnell an einen Ort zu klettern, von dem er die laufende Räumung hätte filmen können, stürzte er von einer Hängebrücke.
Aus dieser Zeit zitieren wir Berichte verschiedener Menschen aus dem EA-Büro – einer juristischen Unterstützungsstruktur für Aktivist*innen:
1. Der erste Anruf von E. aus der Gesa (=Gefangenensammelstelle, Anm. der Verfasser*innen) ist für mich fast ein Standardtelefonat. Er kommt aber etwas überraschend, da ich anhand des für eine andere Person gemeldeten Medikamentenbedarfs bereits davon ausging, Elf sei frei. Dass Elf in eine Gemeinschaftszelle gesperrt ist, klingt unter diesen Rahmenbedigungen gut. Dass es psychisch völlig fertig ist, erwähnt es, man merkt es ihm insgesamt aber noch nicht an. Es freut sich darüber, dass zufällig ich, eine ehemalige Bezugsperson, das Telefonat angenommen habe.
2. Dann ein weiterer Gesa-Anruf. Ich nahm ab, die Person am anderen Ende fragte nur: „War es Sonne?“ Ich bejahte, kurz dankbar dafür, dass uns ein solidarischer Mensch sofort den Waldnamen mitgeteilt hatte, sodass ich zumindest in dieser Situation nicht noch nachfragen musste. Mit dem Telefon verließ ich den Raum, konnte andere Personen um mich nicht ertragen. Nichts hatte mich darauf vorbereitet, einer gefangenen Person am Telefon sagen zu müssen, dass ein Freund von ihr tot war. Wir telefonierten eine Weile. Wenigstens war die Polizei dieses eine Mal nicht ganz pietätlos. Ich war überfordert, wusste nicht was ich sagen sollte, immer wieder schwiegen wir nur, aber ich wollte ihr das Gefühl geben, dass ich da bin, mit ihr trauere. Es war kein Gespräch, was ich abwürgen konnte, wie sonst manchmal nötig (um das Telefon frei zu bekommen). Die Person tat mir so leid, Freund tot und völlig unklar, ob sie frei kommen würde (war in Einzelhaft mit schwererem Vorwurf, Haftprüfung angedroht). Ich weiß nicht mehr, was ich genau gesagt habe, aber am Ende bedankte sich der Mensch dafür, dass ich mir Zeit genommen hätte, vielleicht war es also nicht völlig falsch. Mich hat das Telefonat aus der Bahn geworfen – noch heute wühlt mich die Erinnerung manchmal auf. (Quelle)
3. Als Elf am nächsten Vormittag durch den Gesasupport freigemeldet wird, bitte ich darum, es persönlich sprechen zu können. Zu diesem Zeitpunkt war die rechtliche Gewahrsamsfrist nach EA-Infos (und nach dem Fristbeginn, der bei anderen angesetzt wird) bereits um 10h überschritten. Für mich rangiert dieses Telefonat ganz weit oben bei den schlimmsten EA-Jobs meines Lebens. Erinnern kann ich mich daran, dass Elf mittendrin in Tränen ausbricht und an den Satz: „Hätte ich mich nur mal früher umgebracht“, das aber umso deutlicher.
Nach einer Woche, gefüllt hauptsächlich mit Schmerz, Leeregefühlen und apathischem Herumsitzen, wandte Elf sich einem der wenigen Dinge zu, die noch irgendeinen Sinn zu enthalten schienen. Elf schlich sich wieder in den Wald. Im Baumhaus Zweigheim angekettet traf Elf zum zweiten Mal auf „Rollo“. Neben dem obligatorischen Abspielen von „Cordula Grün“ wurde „Rollo“ körperlich aufdringlich: „Soll ich dir den Rücken stützen?“, fragte er und rutschte nah an Elf heran.
Nach den Räumungserlebnissen
Psychische Entwicklung
Unmittelbar nach der NoNames-Räumung war Elf sehr in sich gekehrt, starr, hatte kein Interesse an einem „wie weiter“. Beim ewigen Hin und Her in der Gefangenensammelstelle zwischen Sammel- und Einzelzellen lautete seine Reaktion nur noch „Egal, ob die mich doch noch ins Gefängnis stecken.“. Vor der Gesa traf Elf auf geliebte Menschen, brach kurz weinend zusammen und hat anschließend tagelang nur vor sich hin gestarrt. Wege von wenigen Metern zwischen Bett und Bad waren in den ersten Tagen fast nicht zu bewältigen, so sehr fehlte es an physischer, psychischer und geistiger Kraft.
Irgendwann waren die körperlichen, Tumor- und Medikamentenbedingten Schmerzen nicht mehr von den psychosomatischen Schmerzen der Trauer unterscheidbar. Opioid-Konsum und damit verbundene psychoaktive Wirkungen wie aktive Stimmungsschwankungen zwischen überdrehtem Kichern und elendem Weinen stiegen an. Die Traumata der ersten Baumhausräumung ließen sich durch Weiterkämpfen natürlich nicht kompensieren. Die Räumung ging weiter. Sonne blieb tot.
Nach der zweiten unangenehmen Entfernung von einem Baum durch „Rollo“ kapselte Elf sich von allen bis auf den allerengsten Bezugspersonen fast völlig ab, nahm nur noch die Schmerzen wahr.
In den folgenden Monaten hat Elf sich nie von der Räumung und dem Verlust des Zuhauses erholt. An besonders schlimmen Tagen hat Elf quasi nur geweint – falls dafür noch Kraft da war – und „Ich will nach Hause.“ gesagt.
Physische Entwicklung
Elfs Energielevel wurde nie ansatzweise wiederhergestellt. Bis zum Schluss war es schwer, zu definieren, welche Schmerzen psychosomatisch und welche reell durch den Tumor entstanden sind. Alles belief sich auf einen Teufelskreis: Energielosigkeit und Schmerzen verdammten zur Untätigkeit. Diese wiederum führte zum Verbleiben in Ohnmacht, ohne jegliche – auch politische – Handlungsfähigkeit, die Elf stets sehr wichtig war, es gab auch keine Kapazitäten für eine psychoemotionale Aufarbeitung des Geschehenen. Durch die physische Untätigkeit kam es zusätzlich zu einer weiteren Verschlechterung des körperlichen Zustands, da Muskelaufbau Schmerzminderung sowie Bewegungsmöglichkeit gefördert hätte. Das wiederum führte zu noch mehr Energielosigkeit, Ohnmachtsgefühlen und Schmerz.
Ende Oktober wurden die Schmerzen so stark, dass Elf sich freiwillig in ein Krankenhaus begab. Neue Opioide halfen nur bedingt, die Spezialmedikamente gegen den Tumor wirkten nun nicht mehr – jedenfalls stellte sich spätestens im November heraus, dass der Tumor sichtbar von Woche zu Woche wuchs.
In seiner Abhängigkeit von speziellen ärztlichen Institutionen konnte Elf nicht in der Gegend um den Hambacher Forst bleiben, wo Begegnungen mit Menschen aus der Gemeinschaft, in der Elf vor der Räumung gelebt und geliebt hatte, leichter gewesen wären und eventuell Linderung hätten verschaffen können. Einige enge Bezugsmenschen wichen nicht von Elfs Seite. Andere Hambis kamen immer wieder zu Besuch.
Tod
Zum unaufhaltsam wachsenden Tumor kam ärztliche Unaufmerksamkeit. Anfang Februar 2019 starb Elf an einer Infektion des Hirnwassers, eine geplante Operation war so nicht mehr möglich.
Einige Zeit später wurde die Leiche eines Freundes von Elf aufgefunden. Die beiden hatten einander aus dem Wald gekannt. Eine wirkliche Todesursache konnte nicht festgestellt werden. Der Freund hatte schon länger an Depressionen gelitten; Freund*innen von ihm berichten, dass er nach der Nachricht von Elfs Tod vollends zusammengebrochen sei und sich davon nicht mehr erholt hätte.
Seit Beginn der Räumung haben die sowieso psychisch belasteten Aktivist*innen rund um den Hambi bis dato fünf besetzungsinterne und -nahe Menschen verloren, in politischen Kämpfen wie in physischen und psychischen Krankheitssituationen.
Elfs Wunsch war es immer gewesen, im Wald zu sterben.
Elf, du wärst selbst lieber wie Remus Lupin im Kampf für deine Überzeugungen gestorben als langsam an der hinterhältigen Krankheit und deiner Psyche.
Wir hätten dir das gegönnt.
Rest in Power!