Lauf, Genoss*in, der COVID ist hinter dir her!

Quelle: barrikade.info

Übersetzung eines Artikels aus Frankreich, der von mehreren Personen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, geschrieben wurde.

Im Original zu finden auf dem dem Blog dernieresnouvellesdelapeste.noblogs.org. Der Blog wurde zur Corona-Krise kreiert, um mit bescheidenen Mitteln dem Kommunikationskrieg der internationalen Regierungen etwas entgegenzuwirken…

Lauf, Genoss*in, der COVID ist hinter dir her!

Nun leistet sich der Staat eine prächtige Genesungskur. Nachdem er den öffentlichen Dienst zunichte gemacht und die Spitäler seit Jahren zu freien Märkten erklärt hat, scheint Macron herauszufinden, dass die private Marktwirtschaft im Gesundheitswesen eine schlechte Sache ist.

Waldbrände haben in den letzten Jahren ganze Länder zerstört, wie in Portugal oder in Griechenland im Sommer 2018. Und das aufgrund der Schließungen von Feuerwehr Einrichtungen, die wegen den Budget-Kürzungen im Zusammenhang mit den europäischen Austeritäts Maßnahmen durchgeführt wurden. Ein Funke hat genügt, um alles zu verwüsten. Und ein Virus kann sich heute ausbreiten und ein Gesundheitssystem zerstören, das bereits seit langem nur als ein drastischer Minimalservice funktioniert, wie es zum Beispiel gerade in Mulhouse der Fall ist (Mulhouse gilt als eines der Epizentren in der Covid19 Krise).

Die Tuberkulose richtet schon bereits im Stillen verheerenden Schaden an. Somit geht es bei dem Alarm, der seit einem Jahr durch die Dauerstreiks und Demos geschlagen wurde, nicht um einen simplen Virus, sondern um eine heruntergekommene Gesellschaft mit überfüllten und verschmutzten Städten, die von immer fragileren und jeglicher Resistenz beraubten Bevölkerungen belebt werden.

Auch wenn Macron sich für einen Napoléon auf Eroberungsfeldzug hält, wird das Pflegesystem nicht wieder ins 19. Jahrhundert zurückkehren, wo die Krankenschwestern – getrieben durch ihre Berufung – aus den Klöstern heraus kamen, um die Fronten mit ihrem Wohlwollen und ihrer Barmherzigkeit zu bewaffnen.

Das Spital ist ausgeblutet und wir wissen, dass wir nicht mehr richtig behandeln können, Covid hin oder her. Aber jetzt kommt alles, was nicht Covid ist, an zweiter Stelle, auch in den nicht betroffenen Gebieten. Ganze Gesundheitsdienste wurden geschlossen und lebensnotwendige Pflege wird nicht mehr gewährt. Die Sterblichkeit kann durchaus wegen anderen Aspekten angekurbelt werden, wenn man Eingriffe der Gefäßchirurgie und die Aufnahme von Notfällen auf unbestimmte Zeit verschiebt oder nicht mal in Betracht zieht. Einen chirurgischen Eingriff um eine Woche zu verschieben ist eine Sache, sie um einen Monat zu verschieben, eine andere. Der oder die Patientin wird sicherlich gestorben sein, bevor sie mit Covid angesteckt werden konnte. Die Intensivstationen machen Platz für reservierte Covid-Betten, aber dazu muss man Patient*innen verlegen oder ablehnen, so als ob man nicht aus Lebensnotwendigkeit, sondern aus Bequemlichkeit da wäre. Was die Notaufnahmen betrifft, so untersucht man die Leute aus der Ferne, bevor man sie wieder nach Hause schickt. Bei einigen Spitälern sind die Notaufnahmen schlichtweg fast leer. Eine ältere Dame ist 4 Tage lang mit einem gebrochenem Arm zu Hause geblieben, bevor sie ins Spital kam. Dies weil sie, wie man ihr schön eingetrichtert hat, die “Notaufnahme nicht überschwemmen” wollte. Für psychiatrische Notfälle gilt die selbe Politik. Sie sind wegen der möglichen Welle von Menschen, die Covid in sich tragen, geschlossen.

In den Krankenhäusern und den Unterkunftseinrichtungen verfügen die Pfleger*innen und Erzieher*innen über keine Schutzmasken. In gewissen Einrichtungen fordert man die Arbeiter und Arbeiterinnen mit folgenden Worten dazu auf, die Masken, die jetzt abgeschlossen aufbewahrt werden, nicht zu verwenden : “Ihr gefährdet das Leben der Patienten, wenn die Epidemie dann wirklich da ist, falls ihr jetzt welche nehmt!” Und natürlich wird dazu aufgefordert, jene, die sich nicht daran halten, zu denunzieren. Während die Direktion in Quarantäne ist, spielt man weiterhin die Geige der Berufung und der Barmherzigkeit des einsam kämpfenden Pflegepersonals und gibt wertvolle Ratschläge, wie man sich vor dem Virus schützen muss. Wie zum Beispiel, den Abstand eines Meters beim Waschen der Patient*innen einzuhalten. Nun gut, sobald Emmanuel und Brigitte die Patient*innen waschen kommen, werden wir ihnen gerne die Applause um 20 Uhr überlassen (Mittlerweile wird jeden Abend um 20 Uhr von den Balkonen und den Fenstern dem Pflegepersonal eine standing ovation gegeben. Wenn man bedenkt, dass noch vor wenigen Wochen die streikenden Pflegeleute in den Straßen von den Bullen niedergeknüppelt wurden, ist es ganz schön erniedrigend, dass sie heute jeden scheiß Abend Applaus bekommen und weiterhin ausgesaugt werden).

Die auferlegte Ausgangssperre ist da, um Zeit zu schinden. Aber es ist keine Lösung, wo jeder oder jede seinen Teil dazu beiträgt. Nach einer Woche Zwangs-Quarantäne steigen die Zahlen der Todesopfer in Italien weiterhin an. Es ist schwierig genau zu wissen, was gezählt wird. Bedenken wir den Mangel an Pflege, die Angst, die Toten in den Gefängnisaufständen, die wegen der fürchterlichen Haftbedingungen ausgebrochen sind, welche sich durch den Gesundheitsnotstand noch verschärft haben. Die Aufhebung der Besuchszeiten und der Verhandlungstermine, wo über eine eventuelle Freilassung verhandelt werden sollte, sind nicht zu ertragen. In Frankreich wie in Italien wird heute in den Gefängnissen gekämpft, während draußen einer Regierung gehuldigt wird, die seit ihrer Amtseinführung nicht aufgehört hat, sich durch ihre Inkompetenz, ihre Lügen und ihre Profitgier festzufahren. Das Gesundheitspersonal hat es nie geschafft, seine Rechte geltend zu machen, da es in seinem täglichen Burnout und der permanenten Inanspruchnahme atomisiert ist. Wir sollten keine Rückkehr zu einem kollektiven Gesundheitsdenken erwarten, zu einer Konzentration auf die Immunität, die den Begriff des Individuums selbst ins Spiel bringt. Denn für diejenigen, die 1984 kennen – ein dystopischer Roman einer Gesellschaft, in der der Große Bruder über das Handeln aller Menschen herrscht – ist es weniger die zentrale Maschine als die totale Isolation der Individuen, die diese Welt ohne jegliche Gedanken- und Handlungsfreiheit ermöglicht.

Die Quarantäne, obwohl sie lokal und auf ärztlichen Rat hin sinnvoll sein mag, zeigt uns einen totalitären Vorgeschmack, wenn sie per Ministerialerlass von einer in Panik geratenen Regierung verhängt wird, so dass unsere primären Ängste, unsere Wünsche mit grausamer Brutalität zum Ausdruck gebracht werden. Nachdem wir fast systematisch eingekesselt wurden, sind wir nun eingesperrt.

Ohne zu wissen, ob die Quarantäne den Virus ausmerzen wird, bringt sie eine gewisse Düsterkeit unserer Existenz ans Tageslicht. Wenn der Kühlschrank voll ist, die Internetverbindung funktioniert und die Leute, mit denen man in Quarantäne zusammenlebt, nicht allzu unangenehm sind, wird man sich fast noch gerne in seinem Zuhause einzusperren, vorausgesetzt man hat eines. Und das Vergnügen wächst, wenn wir wissen, dass wir uns an den Anstrengungen einer Nation beteiligen, dass wir “solidarisch” sind, indem wir ihre Richtlinien befolgen. Diesen Zustand der Isolation als Ausnahmezustand zu benennen, wird sich für manche Menschen wie ein Elektroschock anfühlen, der den alltäglichen Stillstand in ihren Leben aufzeigt. Sich einer gelebten Realität bewusst werden, die normalerweise nicht aufgezwungen wird.

Zum freiwilligen Gehorsam kommt der Wunsch nach Unterwerfung und der Genuss eines Weltuntergangs mit Kühlschrank und Netflix hinzu. Endlich kann man sich nur durch das Smartphone stimulieren lassen, ohne dabei Gewissensbisse haben zu müssen. Es sei denn, dass vielleicht all die Menschen, die aufs Land geflüchtet sind, neue Phalanstères aufbauen (Phalanstères: Theorie von Charles Fourier über ein Models für die Funktion einer neuen Gesellschaft, basierend auf dem Respekt der Wünsche jedes einzelnen). Oder die falschen Jogger*innen (da die sportliche Betätigung erlaubt ist, sind plötzlich unzählige Leute zu passionierten Jogger*innen mutiert) in den Städten einzig dazu trainieren, um nach den 45 Tagen der Meditation die Feindseligkeiten gegen die Herrschenden wieder aufzunehmen.

Ja, der Covid ist ein brutales Virus, der eine Gesellschaft ohne Immunität entlarvt. Als die Gesellschaft eines Staates, der sich in geopolitisch vorpubertären Sorgen verliert. Vorsicht im Umgang mit verletzlichen Menschen bedeutet auch, ihnen nicht Einsamkeit und Depressionen aufzuzwingen, währenddessen man gut informiert und auf die Risiken hinweist. Eine Information ist ein Werk der Forschung und Analyse, das zu viele Menschen vergessen. Besonders wenn es um Medizin und Immunität geht, wird es keine einfache Wahrheit geben und es wird keine politischen Experten geben, die uns retten werden. Es geht darum, auf den eigenen Körper zu hören, und vielleicht ist das etwas, was wir in den letzten Tagen lernen konnten. Sich die Zeit nehmen, verschiedene Methoden und Ergebnisse zu lesen und zu vergleichen. Wir sollten uns zum Beispiel Südkorea ansehen, das keine größere Krise erlebt hat. Einer der Gründe dafür könnte die Gewohnheit sein, sich die Hände zu waschen und sich um ältere Menschen zu kümmern. Dort hat sich auch die eingeführte Behandlung zur Immunstärkung mit Zink und Vitamin D sowie die Verwendung von Chloroquin im Frühstadium bewährt.
Eine zentrale Frage sollte auch sein, wie man vermeiden kann, die Bevölkerung durch Nachverfolgung von Telefonkontakten und Geolokalisierung, wie es dort der Fall war, erfassen zu müssen. Vorsichtig zu sein, dass man jemanden nicht mit einer Viruserkrankung ansteckt, ist etwas, das man anders lernen kann, es wird bereits getan. Die Gesundheitsfrage darf niemals ein Vorwand für Sicherheitspolitik sein.

Achtung also auf die Panikmache, die Epidemie wird wie alle Epidemien aufhören, sobald die Mehrheit der Menschen nach dem Kontakt mit dem Virus Antikörper entwickelt haben wird.
Andere Viren werden auftauchen, Ausbrüche werden hier und da weiterbestehen. Das ist unausweichlich, weil wir schlicht und einfach lebendig sind.
Dann werden die nötigen Mittel in den Krankenhäusern noch immer nicht vorhanden sein, und die Polizei wird noch mehr Spielraum in Bezug auf Kontrolle und Datenerfassung gewonnen haben.
In Italien spüren die Netzantennen die Anzahl der Menschen auf, die die Ausgangssperre nicht respektieren, indem sie die Mobiltelefone zurückverfolgen. Wir wussten, dass dies auch in Frankreich üblich bereits üblich war, aber es wird heutzutage ganz gelassen verkündet und durch die Gesundheitskrise und die Pflicht zum Hausarrest legitimiert.
Die Ausgehbescheinigungen (Formular, welches man ausfüllen und dabeihaben muss, wenn man das Haus verlässt) werden bald veraltet sein, weil wir nur noch einen Schritt zur Bestrafung aus der Ferne entfernt sind. Die digitalen Plattformen werden wieder einmal ihre Absurdität aufzeigen, da sich nicht alle Schüler*innen gleichzeitig verbinden können, mehrere Bugs werden selbst die fleißigsten Studenten überlistet haben. Aber der Traum von 5G wird uns trotzdem weiterhin verkauft werden können.

Zur gleichen Zeit, während die Arbeit immer mehr und mehr in den intimen Lebensbereichen stattfindet, bereitet sich die Regierung eine große Freude daran, die Heimarbeit (Homeoffice) auszubauen und ihre Notwendigkeit anzupreisen. Im Bildungsbereich hören die Lehrer und Lehrerinnen nicht auf, die Mails der besorgten Eltern zu beantworten, die begierig nach pädagogischen Ratschlägen fragen, um die Ausbildung ihrer Kinder vorantreiben zu können. Während andere Eltern nicht mal über Internet verfügen oder die pädagogischen Dateien, die man ihnen auf einem USB-Stick vor der Quarantäne ausgehändigt hat, nicht nutzen können.

Von den Einschränkungen der Ausgangssperre ist das ausgenommen, was als lebenswichtig bezeichnet wird: Zum Arzt gehen, Lebensmittel einkaufen, auf die Kinder derer, die arbeiten, aufpassen und sich allein körperlich betätigen (Fahrradfahren wurde gerade verboten, da sie gemerkt haben, dass man doch ziemlich weit kommt mit dem Fahrrad). Versammlungen sind verboten, und die wöchentlichen Demonstrationen der Gilets jaunes, die seit mehr als einem Jahr stattfinden und für welche die Regierung bisher keine Lösung gefunden hat, haben endlich ein Ende. Auf eine andere Weise als über den Computerbildschirm oder das Smartphone zu kommunizieren, ist offenbar nicht lebenswichtig. Die Widerstandsbewegungen sind physisch zum Stillstand gekommen. Selbst das Verteilen von Flugblättern oder Zeitungen ist ansteckend. Müssen wir uns nun ganz auf das Internet und seine Fähigkeit, uns zu verbinden, verlassen?

Diese aufgezwungene Einsamkeit schmerzt unheimlich, nach einer derartigen aufbrausenden Zeit von Begegnungen und Demonstrationen im letzten Jahr,. All diese Bullenkessel, in denen wir uns in einen Kampf Körper an Körper gegen Bullenketten wiedergefunden haben. All die Ausdünstungen unserer Ängste, unserer Wut und unserer Schweißes gingen uns reichlich am Arsch vorbei, trotz den Verletzungen und dem Tränengas, das wir miteinander teilten. Und übrigens, haben diese Gase nicht zu unserer chronischen Lungenschwäche beigetragen? Seit mehr als einem Jahr sind auf der ganzen Welt Revolutionsbewegungen entstanden und haben sich aufeinander bezogen, obwohl sie in den unterschiedlichen Formen und Kontexten existieren. Ein Widerstand, der sich seit Monaten gegen die Regierenden weltweit erhebt. Das Coronavirus existiert ebenfalls, aber die von den selben Regierungen eingeführten Maßnahmen, verfestigen ihren Autoritarismus und verstärken einen bereits permanenten Ausnahmezustand. Es wird an unserer Fähigkeit liegen, einen kollektiven Prozess von Reflexionen und Handlungen in Gang zu bringen, um den drastischen und auf Sicherheit fixierten Maßnahmen etwas entgegenzusetzen. Maßnahmen einer Regierung, die Nicht-Covid-Patienten sterben lässt und die ein Gesundheitssystem reorganisiert, dass sie bereits seit Monaten mit dem Tod ringen lässt.

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