Corona und das Kontaktverbot – aus Gefangenensicht

Quelle: freedomforthomas.wordpress.com

Allerorten melden sich nun PsychologInnen, aber auch SoziologInnen mit ihren Gedanken über Wirkungen des und den Umgang mit dem „Kontaktverbot“ in Zeiten der Corona-Pandemie zu Wort. Jedoch, es gibt eine Gruppe von Menschen, die sich seit jeher besonders damit auskennt: die Inhaftierten.

Kontaktverbote im Gefängnis

Wer aus dem Leben vor den Gefängnismauern herausgerissen wird, erfährt schon in den ersten Stunden einen nahezu vollständigen Abbruch grundlegender sozialer Interaktionen. Anfänglich noch in der kahlen Zelle im Polizeirevier, Stunden später in der Zelle der Untersuchungshaftanstalt, und danach über Jahre oder Jahrzehnte in den verschiedensten Verwahranstalten, die das hiesige Rechtssystem bietet. Der Verlust der elektronischen Kommunikation ist selbstverständlich: kein Smartphone, kein Skype, kein Internet.

Dafür ein Telefon im Flur, wo es keinerlei Privatsphäre gibt; wenn überhaupt (so ist im bayrischen Vollzug ein Telefonat nur in absoluten Ausnahmefällen gestattet). Lockerer geht es in der Sicherheitsverwahrung zu, dort gibt es stellenweise schon Telefone in den Hafträumen, so z.B. in Freiburg.

Die Besuche sind streng reglementiert, nur wenige Stunden im Monat (zur Zeit werden Privatbesuche wegen der Pandemie vollständig versagt), mindestens optisch überwacht, mitunter auch noch akustisch. Auch hier: wenig Privatsphäre.

Wie steht es um die anstaltsinternen Kontakte, denn bislang lag der Fokus auf jenen Verbindungen zu Menschen „draußen“. Aus Gründen, wie die Anstaltsleitungen stets betonen, von „Sicherheit und Ordnung“ werden auch die Kontakte innerhalb der JVA streng reglementiert, die Gefangenen in Kleingruppen möglichst voneinander getrennt gehalten. Je nach Anstalt sind die Zellen nur ein/zwei Stunden am Tag geöffnet, in anderen auch mal mehr als 12 Stunden.

Insofern würden sich AnstaltsmitarbeiterInnen verbitten, hier von Kontaktverboten zu sprechen, handele es sich doch lediglich um eine Reduktion von sozialen Interaktionsmöglichkeiten.

Wie damit umgehen?

Die ersten Stunden, Tage und Wochen nach der Inhaftierung stellen eine Art Ausnahmezustand dar, der aber bald dem Haftalltag weicht, der täglichen Routinen der frühmorgendlichen Lebendkontrolle, der Mittagessenausgabe, der Stunde im Knasthof an der frischen Luft, der Ausgabe des Abendessens und dem Nachteinschluss. Bis am nächsten Morgen alles von vorn beginnt.

Wenn die taz (31.03.2020, S.13, Interview mit der Psychologin Kirchhoff; https://taz.de/Psychologin-ueber-die-Coronakrise/!5672710/) fragt, wie lange denn die Menschen das „Kontaktverbot“ aushalten und die Fachfrau dann mutmaßt „Ich fürchte, nicht besonders lange“, kann aus Gefangenensicht dem nur entgegengehalten werden: im Gegenteil. Menschen sind sehr anpassungsfähig und halten solch ein Verbot über Jahre und Jahrzehnte aus. Zumindest mutet die Gesellschaft es ihren Gefangenen augenscheinlich schon immer und ohne viel Diskussion zu.

Wie gesagt, Routine ist ein wichtiger Stabilitätsfaktor. Sie vermittelt auch in einem unsicheren Umfeld und angesichts ungewisser Zukunft Sicherheit. Trotz aller Sorgen, sich Zeit nehmen um nachzudenken über sich, über das was bislang so wichtig erschien im Leben. Lesen. Briefe schreiben (oder e-mails). Jemanden anrufen. Also trotz aller Beschränkungen den sozialen Austausch suchen.

Und in all das, ich weiß, ich wiederhole mich, die tägliche Routine integrieren. Ich selbst verbrachte einige Jahre in der Isolationshaft, aber all die Jahre, und auch danach, bewahrte ich mir einen relativ strukturierten Tagesablauf, der früh morgens begann/beginnt, spätestens gegen 4:30 Uhr und dafür schon gegen 19 Uhr im Bett endet.

Der Lagerkoller ist eine reale Gefahr

Viel ist aktuell auch die Rede von steigender innerfamiliärer Gewalt, nun wo alle Zuhause sitzen (müssen). Ja, das ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr. So kam es hier in der Freiburger Sicherheitsverwahrung am 26. März zu einem tätlichen Angriff zweier Mittdreißiger auf einen wegen mehrfacher Vergewaltigung einsitzenden Verwahrten. Schon als zahlreiche Beamte den Flur sicherten, gelang es einem der beiden noch in die Zelle eines Pädophilen einzudringen, und auch ihn zu Boden zu strecken. Es mag sein, dass es selbst ohne die durch die Corona-Pandemie bedingten Verschärfungen im Haftalltag zu dem Angriff gekommen wäre, jedoch ist die emotionale Belastung auch für Gefangene hoch (in Italien oder auch Kolumbien kam es wegen dortiger Corona-bedingter Einschränkungen sogar zu Aufständen).

Hier in der JVA kamen den beiden Sexualtätern sofort Bedienstete zu Hilfe. Darauf werden viel zu viele Menschen in ihren Wohnungen vergeblich warten. Das ist eine erschreckende und bedrückende Feststellung. Es kann deshalb auch wichtig sein, sich möglichst aus dem Weg zu gehen, auch durch Verlassen der Wohnung (Spaziergang). Oder durch ein „sich-gegenseitiges-Ignorieren“: das lernen Gefangene schnell, die mitunter über Jahre in einer engen Doppelzelle miteinander leben (müssen). Übergriffe sind deshalb ein Faktum, aber niemals sollte der „Lagerkoller“ als Entschuldigung oder Rechtfertigung herhalten.

Die Einsamkeit der Menschen

Trotz aller „Bussi-Bussi“-Begegnungen sind, so meine Erfahrung, viele Menschen einsam, und sobald sie auf sich selbst zurückgeworfen werden, ob durch Krankheit, den Tod nahestehender Menschen oder wie jetzt durch die Einschränkungen in Folge der Pandemie, erleben sie eine Form trostloser Ungeborgenheit, die sie die Einsamkeit in aller Kälte, in aller Härte spüren lässt. Damit teilen sie das Los vieler gefangener Menschen – die aber auch lernen damit umzugehen.

Hier hilft Routine nur noch bedingt, denn hier geht es um eine Kernfrage des Mensch-Seins: was trägt mich? Nietzsche schrieb einmal: „Wer ein Warum im Leben hat, erträgt fast jedes Wie.“

Dieses „Warum“, oder besser: ein „Worauf-hin“ wird zum Ausgangspunkt. Auf die Zukunft gerichtet. Idealtypisch mögen politische Überzeugungen sein. Wer bei FFF aktiv ist, trägt dieses „Worauf-hin“ in sich und wird leichter die Gegenwart bewältigen, als ein Mensch der emotionale Stabilität durch Akte des Konsums (die ihm aktuell teilweise verwehrt bleiben) gewinnt. Zugleich werden sich AktivistInnen einer Gemeinschaft innerlich verbunden fühlen, auch wenn die jeweiligen AkteurInnen solitär in ihren Behausungen leben (müssen).

Ausblick

Wir haben gesehen, gefangene Menschen erleben schon systembedingt jede Kontaktverbote und -reduzierungen, die nun die Gesellschaften der ganzen Welt bestimmen. Aber gerade das Beispiel der Gefangenen ist geeignet Bewältigungsstrategien zu entdecken und vermittelt die Gewissheit, es ist ein (vorübergehendes) Leben auch unter den gegebenen Beschränkungen nicht nur möglich, es kann auch sinnstiftend erfüllt werden.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV)

Hermann-Herder-Str. 8

D-79104 Freiburg

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