Quelle: indymedia
Heute – naja, genaugenommen morgen – sind wir fünf Monate eingesperrt. Es ist ein verregneter Sonntag, ich höre Radio Azadi und widme mich einer kurzen Zwischenbilanz.
Einundzwanzig Wochen, seit denen mich die kalte Bürokratie der Justiz mittels ihrer architektonischen Entsprechung, dem Gefängnis, von meinen Lieben, meinen Gefährt*innen, von meiner geliebten Familie trennt.
Ich habe viele Tränen geweint seither, ich will das gar nicht leugnen. Da waren Tränen der Trauer und Angst, wenn mir schlimme Geschehnisse draußen vor Augen führten, dass der Knast eben durchaus auch Isolation und eingeschränkte Handlungsfähigkeit bedeutet. Tränen, weil ich meine Lieben so sehr vermisse und die geraubten Wonnen eines gemeinsam genossenen, wilden Sommers bedaure.
Aber ich habe noch viel mehr Tränen der Freude und der Rührung vergossen, das ist sicher. Ich erinnere mich an so viele Momente, die die kalte Totalität meiner Situation nachhaltig erschüttert haben. Geliebte Stimmen, leidenschaftlich und liebevoll umgesetzte Einfälle sowohl im Radio als auch direkt hinter der Mauer, in Hör- und Sichtweite, hunderte Briefe voller Liebe und kämpferischer Energie haben mir so viel Wärme und Glück beschert das hat mich immer wieder überwältigt.
Diese Momente und nicht abreißende Neuigkeiten solidarischer Initiativen, von denen ich im Radio hörte und – ironischerweise – in den Ermittlungsakten las haben Solidarität erlebbar gemacht.
Und so habe ich in den vergangenen Monaten auch sehr viel gelacht. Weit mehr gelacht als geweint, ganz sicher.
Das Lachen ist im Knast nicht selten auch ein Ventil, ein Reflex nah am Zynismus, den die kafkaeske Realität hier drinnen unweigerlich provoziert. Doch vielmehr ist der Humor, das Lachen für mich auch ein Weg der Selbstbehauptung und ehrlicher Ausdruck meiner Freude über die Erkenntnis, dass die repressive Mühle sich an meiner Würde und meinem trotzigen Stolz abarbeitet ohne mich brechen zu können.
Beiden beschriebenen Gemütsregungen, dem Lachen und dem Weinen wohnt einerseits sehr viel Liebe inne, genährt durch euch da draußen. Andererseits ist da aber auch eine große Wut, die so Ausdruck findet. Die Welt der Unterwerfung des Individuums unter die Logik der Herrschaft ist grauenvoll und ich hasse jeden Aspekt, in dem sich diese Logik manifestiert. Da wo Uniformen (oder Zivis…) Gesetzen folgend (oder diese akzeptierenderweise ignorierend…) sogenanntes Recht durchsetzen, also die herrschende Ordnung mit Gewalt verteidigen, zeigt sie sich so unverblümt wie selten. Hier jedenfalls werde ich täglich Zeuge der Mechanismen, die jene brechen sollen, die sich der wohlorganisierten, verwalteten Ungerechtigkeit nicht unterordnen wollen oder können.
Doch macht es mich stolz und gibt mir Kraft so viele Menschen zu sehen, die sich dagegen entschieden haben diese Ordnung zu akzeptieren. Und stolz macht mich auch, einer von ihnen zu sein.
Dass selbstorganisierte Kämpfe und Solidarität diesen Verhältnissen durchaus etwas entgegenzusetzen haben, wurde in den letzten Monaten vielfach bewiesen und ich grüße von Herzen euch alle, die ihr kämpft.
– Ein Gefangener im UG Holstenglacis –