Ein schwaches Herz? Untersuchungen nach Tod in Schubhaft eingestellt

Quelle: emrawi

In der Nacht von 11. auf 12. Juni 2019 starb ein 59jähriger Mann im Wiener Schubhäfn Rossauer Lände. Er war schwer krank, trotzdem wurde er für haftfähig erklärt. Nun wurden die Ermittlungen eingestellt. Ein weiterer Tod in den Händen der Behörden, der ohne Konsequenzen bleibt.

„Mein erster Eindruck, als ich den Klienten und die Zelle sehe: Haftunfähigkeit. Klient hat mehrere Verbände auf den Füßen, dazwischen offene Stellen und ziemlich starke Verfärbungen. Liegt mit Rücken zu mir im Bett, gelbe Flecken auf dem Bettlaken deuten darauf hin dass er ins Bett uriniert hat. Auf dem Tisch befinden sich mehrere Becher mit Tee/Kaffee (?) und ein Teller mit etwas eingetrocknetem Essen, außerdem sein Schubhaftbescheid.“

So ein Zitat aus einer Sachverhaltsdarstellung eines Sozialarbeiters* der Diakonie, der den Gefangenen Mann am Tag vor dessen Tod in Schubhaft besuchte. Die Polizei, die die Polizeianhaltezentren führt, in denen die Schubhaft vollzogen wird, wusste über den schlechten Gesundheitszustand bescheid, ein Amtsarzt bescheinigte sogar kurz zuvor die Haftfähigkeit des über Schmerzen klagenden Mannes, der selbst nicht mehr aus dem Bett aufstehen konnte (siehe dazu die Aussendung der Diakonie von vor einem Jahr).

Viele ungeklärte Fälle

Immer wieder sterben Menschen in Schubhaft und bei Abschiebungen, ohne das es zu einer Aufklärung kommt. Eine Sprecherin der Staatsanwält*innenschaft erklärte nun, dass zwei medizinische Gutachten eingeholt wurden, denen zu folge sich kein Fremdverschulden nachweisen lasse. Der Mann sei an Herzproblemen gestorben und diese wären für die Polizisten*, die für die Betreuung der Gefangenen zuständig sind, nicht erkennbar gewesen.

In zu vielen Fällen wird bei Menschen, die in den Händen von Polizei und Justiz sterben, im Nachhinein ein Herzfehler attestiert – und für den Tod verantwortlich gemacht. Dies betrifft Menschen im Gewahrsam der Behörden, denen die medizinische Versorgung verwehrt wird ebenso wie jene, die durch unmittelbare Anwendung von „staatlicher Zwangsgewalt“ umgebracht werden.

Erinnert sei hier an den Tod von Marcus Omofuma in den Händen dreier Fremdenpolizisten*. Von Anfang an war klar, dass Omofuma erstickte. Dr. Stoytcho Radanov, jener Gutachter in Bulgarien, der als erster den Körper des Toten untersuchte, stellte dies eindeutig fest. Trotzdem beauftragten die Behörden in Österreich Dr. Christian Reiter vom Institut für gerichtliche Medizin der Universität Wien, um die Todesursache erneut festzustellen. Dessen Ergebnis: Tod durch Herzfehler. Wie haltlos dieses Gutachten ist, wurde beim Prozess gegen die drei Fremdenpolizisten* deutlich. Die sachliche Argumentation des hinzugezogenen Obergutachters Bernd Brinkmann zerlegte Reiters Argumentation nach Strich und Faden. Für die Angeklagten hatte dies keine Auswirkungen, der Tod von Marcus Omofuma blieb für sie ohne Konsequenzen.

Wenn Bilder sprechen…

Auch Seibane Wague, der in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2003 von Polizei- und Rettungskräften im Wiener Stadtpark umgebracht wurde, wurde ein schwaches Herz attestiert. Dem Gutachten von Dr. Risser zufolge sei Seibane an Kreislaufversagen sowie aufgrund eines Herzfehlers gestorben. Mehrere Einsatzkräfte standen bzw. knieten auf dem bereits am Boden fixierten Mann, bis dieser sich nicht mehr rührte.

Der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) stufte die Verhaftung von Seibane Wague als nicht gesetzeskonform ein und gab damit der Beschwerde seiner Witwe Recht. Die Art und Länge der Fixierung, die Anbringung von Fußfesseln, die Misshandlung und Beschimpfung des Mannes wurden als rechtswidrig bezeichnet. Durch die Fixierung mit auf dem Rücken gefesselten Armen sei Seibane Wague „akut und konkret“ in seinem Leben gefährdet worden. Die Misshandlugen und Beschimpfungen wurden durch Zeug*innenaussagen glaubhaft belegt. Strafrechtliche Konsequenzen hatten sie keine.

Der Tod von Seibane erregte u.a. deshalb so viel Aufmerksamkeit, weil ein Anrainer* die Amtshandlung filmte und das Video veröffentlicht wurde. Die Ähnlichkeiten zum Mord an George Floyd sind nicht zu leugnen. Nach dem Tod Seibanes kam es zu massiven Protesten in Wien, bis heute wird an seinen Tod erinnert.

Immer dann, wenn bei Toten im Gewahrsam der Polizei von einem plötzlichen Herzfehler gesprochen wird, sollten die Alarmglocken läuten: Dass das Herz stehen bleibt, wenn ein Mensch aufgrund von Misshandlungen stirbt, ist klar. Doch warum bleibt das Herz stehen? Weil es zu schwach ist? Oder weil die brutalen Misshandlungen dies herbei führen?

Kein Anlass zur unabhängigen Überprüfung?

Die Diakonie forderte eine unabhängige und lückenlose Aufklärung der Umstände, die zum Tod ihres Klienten* in Schubhaft führten. Es sei notwendig die Haftfähigkeit sowohl bei der Verhaftung als auch während der Zeit in Haft festzustellen.

Jetzt sollte mensch meinen, dass in Österreich eine unabhängige Gerichtbarkeit existiert und von unabhängigen Gremien geprüft wird, ob alles ’nach Recht und Ordnung’ vor sich geht.

Nach dem Tod von Marcus Omofuma wurde dazu der Menschenrechtsbeirat gegründet, der als unabhängige Instanz jederzeit Zugang zu den Gefängnissen hatte. Vor allem zahlreiche Selbstmorde und Selbstverletzungen, sowie unzählige Hungerstreiks führten zu einer Reihe von Verbesserungsvorschlägen. Doch die Zustände in Schubhaft haben sich dadurch nicht generell geändert.

Mittlerweile wurde der Menschenrechtsbeirat umgebildet und die Zuständigkeit zur Kontrolle von Hafträumlichkeiten entzogen und der Volksawält*innenschaft übertragen. Diese kritisierte in der Vergangenheit immer wieder die Haftbedingungen und forderte deren Verbesserung. Im Zuge der politischen Umfärbungen von Ämtern und Behörden wurde unter der türkis-blauen Koalition neben dem einschlägig bekannten ÖVPler Werner Amon ausgerechnet der FPÖ Politiker Walter Rosenkranz zu einem der drei Volksanwält*innen ernannt. Seit Juli 2019 bis Juni 2025 ist er u.a. zuständig für die Bereiche Polizei-, Fremden- und Asylrecht.

Der Beantwortung einer Anfrage der APA an die Volksanwaltschaft im vergangenen Jahr ist zu entnehmen, dass diese keinen Anlass zur unabhängigen Überprüfung sieht. Die Überprüfung der Todesumstände obliege der Staatsanwält*innenschaft, die feststellen müsse, ob eine Anklage erhoben wird.

Zu den Akten gelegt

Nachdem der Fall nun zu den Akten wandern wird, ist kaum davon auszugehen, dass es je zu einer Aufklärung der tatsächlichen Todesumstände kommen wird. Denn laut Kurier von 26. Mai 2020 stellte die Staatsanwaltschaft Wien die Ermittlungen ein. Sie berief sich dabei auf die beiden oben genannten Gutachten, denen zufolge der 58-jährige Mann eines natürlichen Todes gestorben sei. Er sei haftfähig gewesen, denn: „Eine stationäre Behandlung hätte den plötzlichen Herztod des Mannes nicht verhindert“ so die Sprecherin der Staatsanwält*innenschaft. Und die Beamten, die angeblich halbstündlich den Zustand des Gefangenen via Blick durch ein Guckloch in der Tür der Einzelzelle prüften, hätten die Erkrankung des Herzens nicht erkennen können. Einmal mehr will keine*r schuld sein.

Ganz ist die Sache noch nicht entschieden. Die Hinterbliebenen haben ein Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht in die Wege geleitet. Dort soll geklärt werden, ob die Schubhaft überhaupt rechtmäßig und der Mann tatsächlich haftfähig war.

Anmerkung der Moderation: Dieser Text wurde am 11. Juni 2020 geschrieben und sollte am ersten Jahrestag des Todes erscheinen, wurde aber erst später veröffentlicht. #SayTheirNames

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