Knastneubauprojekt in Wien/Baumgasse

Parteipolitische Machtspiele rund um das leerstehende Gelände auf der Baumgasse 131

1928 wurde in der Rüdengasse 7-9 im Dritten Wiener Gemeindebezirk ein Jugendknast mit angeschlossenem Jugendgerichtshof errichtet. Nach der Straße, an der er gelegen war, machte sich bald der Name „Rüdenburg“ breit.


Der Jugendknast wurde auch nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten von den neuen Herrschenden weiter verwendet. Über die Rolle der Einrichtung in der NS-Zeit ist bislang wenig bekannt; dokumentiert ist etwa das Schicksal von Leopold Dietrich, der nach seinem Aufenthalt in der Rüdengasse in das Jugendkonzentrationslager Moringen deportiert wurde.
Nach 1945 nutzte die Zweiten Republik die „Rüdenburg“ wieder als ein Jugendgericht mit angeschlossenem Knast, um Menschen zwischen 14 und 18 Jahren, die sich dem Gesetz nach schuldig gemacht hatten, einem Tribunal zuzuführen. Während und bis zu den Verhandlungen diente der Knast als Untersuchungsgefängnis, kurze Haftstrafen mussten gleich vor Ort abgesessen werden; alle jene, für die eine höhere Strafe vorgesehen war, wurden in den Knast nach Gerasdorf überstellt.
Lange waren sich die Verantwortlichen in Politik und Justiz darin einig, mit dem Konzept einer eigenen Jugendstrafverfolgung den richtigen Weg zu gehen. Doch mit der Einsetzung der Schwarz-Blauen Regierung im Jahr 2000 sollte sich dies ändern. Der Blaue Justizminister Dieter Böhmdorfer arbeitete nun an seinen Plänen, die „Rüdenburg“ ersatzlos zu streichen. Als Vorwand lieferte er die massiv drastische finanzielle Situation des Justizministeriums, wohl nicht vergessen werden darf die Möglichkeit, in einem Streitpunkt einen kleinen Sieg über die  politische Konkurrenz (SPÖ) zu erzielen. Neben der SPÖ lief zwar auch ein Großteil der RichterInnen gegen Böhmdorfers Absichten sturm, dennoch gelang es den Freiheitlichen mit den Stimmten der ÖVP das Vorhaben durchzusetzen: 2003 wurde die „Rüdenburg“ entgültig geschlossen, die Jugendgerichtsbarkeit wurde auf die Bezirksgerichte aufgeteilt und die jugendlichen U-Häfltinge saßen ab nun in der Josefstadt – für die Haftstrafen war weiterhin in erster Linie Gerasdorf bestimmt.
Die Schließung war von Anfang an umstritten und wurde nicht nur von der SPÖ bekämpft. Da es in den österreichischen Knästen seit 2000 einen kontinuierlichen Anstieg an Häftlingen gibt und da auch die vier Wiener Knäste überfüllt waren, stellten sich viele Stimmen hinter die Forderung, einen neuen Knast in Wien zu bauen. Bereits zu Beginn des Jahres 2004 reagierte die Schwarz-Blaue Koalition und gab die Pläne für der Errichtung des „Justizzentrums Wien“, wie bald der offizielle Arbeitstitel lautete, bekannt. Dieses sollte allerdings kein – wie es sich die SPÖ gewünscht hätte – Jugendknast werden, sondern nach dem Vorbild der Josefstadt ein zweites Wiener Straflandesgericht mit angeschlossenem Knast.
Mit dem Bau wurde die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) beauftragt, die eigenen Angaben zufolge „das elementare Ziel verfolgt, den ehemaligen Liegenschaftsbestand des Bundes konsequent zu optimieren und nach marktorientierten Kriterien zu bewirtschaften.“
Noch 2004 leitete die BIG ein Verhandlungsverfahren nach dem Bundesvergabegesetz ein, um einen Projektpartner mit einem geeigneten Grundstück zu finden. Den Zuschlag erhielt im darauffolgenden Jahr die „PORR Solutions“, eine Tochtergesellschaft des „PORR-Konzerns“, mit ihrem fast 20.000 Quadratmeter großen Grundstück in der Baumgasse 131 im Dritten Wiener Gemeindebezirk. Der Vertrag zwischen der BIG und der PORR-Solutions sah vor, mit dem Baubeginn im Herbst 2007 zu beginnen und innerhalb von 18 Monaten das neue „Justizzentrum Wien“ zu präsentieren. 535 Menschen sollten in dem neuen Knast Platz finden, etwa die Hälfte davon war für Jugendliche bestimmt, zudem orientierten sich die Überlegungen an der Inhaftierung von rund 100 Frauen und 100 Menschen im sogenannten Maßnahmenvollzug.
Dass sich die Planungen als zu optimistisch herausstellten, musste spätestens der breiten Öffentlichkeit im Herbst 2007 aufgefallen sein, als es, Anstelle der Bagger und des Baubeginns in der Baumgasse vorerst einmal zu einer europaweiten Ausschreibung für ArchitektInnen zur Konzipierung des Knastes kam. Schließlich fiel im März 2008 die Entscheidung zu Gunsten eines Grazer Architektbüros, das mit ihren Entwürfen zu Überzeugen wusste: Die geplanten Kosten für den Komplex waren 77 Millionen Euro.
Als aber Anfang 2008 die Ergebnisse der Ausschreibung bekanntgegeben wurden, hatte sich hinter den Kulissen bei der Umsetzung des „Justizzentrums Wien“ entscheidende Veränderungen abgespielt, und hier ist auch der Grund zu suchen, warum sich der Baubeginn fürs Erste verzögerte. Es kam 2007 nach dem Ende der Schwarz-Blauen Regierung Schüssel II zu einem überraschenden Wahlsieg der Gusenbauer SPÖ, die Zuständigkeit der Justiz fiel in die Hände der neuen SP-Justizministerin Maria Berger. Nun schien die Stunde der SPÖ geschlagen zu haben, rasch mutierte das Projekt „Justizzentrum Wien“ zum „Jugendkompetenzzentrum Wien“, es hatte den Anschein, als könnte die SPÖ die Niederlage bei der Auflösung der „Rüdenburg“ vergessen machen und einen neuen Jugendgerichtshof und Jugendknast errichten. Und tatsächlich fuhren in der Baumgasse die ersten Bagger auf und begannen, die Bäume auf dem Gelände zu entfernen.
Noch bevor aber die Bauarbeiten richtig anliefen, blockierte der SPÖ Regierungspartner ÖVP, mit dem Argument, Wien brauche zwar einen neuen Knast, aber keinen Jugendgerichtshof mit angeschlossenem Knast und das Gelände stand bald wieder leer. Zwar versuchte die SPÖ das Projekt weiter voranzutreiben, eine neue Machtpolitische Konstelation aber änderte rasch die Zuständigkeiten, als die Regierung Gusenbauer noch Ende 2008 scheiterte.
Unter der neuen SP-Regierung Faymann fiel nun die Justizkompetenz der VP-Ministerin Bandion-Ortner zu, und spätestens ab diesem Zeitpunkt musste sich die SPÖ entgültig darüber im Klaren gewesen sein, dass das Thema Jugendknast in der Baumgasse nicht umzusetzen sein würde.
Die ÖVP blockierte nun mit dem Argument, wonach dem Justizministerium zu geringe Budgetmittel zur Verfügung stehen, die Mietkosten für das „Justizzentrum Wien“ zu bezahlen und im Allgemeinen die Kosten für den Komplex in keiner Relation zu den Vorhanden Haftplätzen und der Nutzung stehen. Auf VP-Seite befinden sich auch zahlreiche RichterInnen und StaatsanwältInnen, die mit dem, was etwa den Verkehr betrifft, ungünstigen Standort an der Wiener Süd-Ost-Tangente nicht einverstanden sind und bei zahlreichen Protestkundgebungen sogar mit Streik gedroht hatten.
Im Mai 2009 fielen die vorerst letzten wesentlichen Entscheidungen um den Bau des „Justizzentrums Wien“, als das Justizbudget für die nächsten beiden Jahre beschlossen wurde. Nun ist klar, dass die Regierung die Miete für den Komplex nicht bezahlen wird – das Justizministerium hat aufgrund seines knappen Budgets nicht ausreichende Mittel dazu.
Justizministerin Bandion-Ortner gab zwar in einer Presseaussendung bekannt, dass das Projekt noch nicht gestorben ist, der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser verkündete jedoch, dass ein Baubeginn in den nächsten zwei Jahren mit Sicherheit nicht möglich sei: Mittlerweile ordnete das Justizministerium eine Neuüberprüfung des ganzen Projektes an.

 

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