Quelle: de.indymedia.org
Shorty und die Armbrust-Affäre
Seit einigen Jahren berichtete ich immer wieder über Shorty, einen Sicherungsverwahrten in den 40’ern. Mittlerweile an die 20 Jahre in Haft, immer wieder Furore machend mit seinen kreativen und kuriosen Einfällen. Zudem ist er nicht bereit, sich dem Vollzugsregime widerstandslos zu ergeben, zieht dann gegen Maßnahmen vor Gericht und gewinnt dort immer wieder. Könnte man sein Verhalten, wie auch das anderer Insassen die destruktiv agieren, als einen Akt der Selbstverteidigung deuten?
Der 22.September 2020
An einem sonnigen Septembertag, es war Herbstanfang, gingen in der JVA Freiburg fünf sportliche Uniformierte den Flur der Station2, Abteilung Sicherungsverwahrung hinunter – in Richtung der Räume der Arbeitstherapie (AT). Was die dort wohl wollen? Sie kamen nach wenigen Minuten aus der AT mit Shorty im Schlepptau. Es sollte das letzte Mal sein, dass wir Shorty für Wochen gesehen haben. Als er abgeführt wurde, da wirkte er noch ganz entspannt.
Stunden später, also noch am selben Tag hörten wir es plötzlich aus dem Keller der Anstalt schreien und gegen die Wände und Zellentür trommeln. Shorty war im ‚Bunker‘ gelandet, juristisch korrekt: im besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände. Ein Loch im Boden als WC, Dauerbeleuchtung, Kameraüberwachung, ein reißfestes Hemdchen als Bekleidung. Shortys Trommeln gegen die Wände und Türen wummerte durchs ganze Haus. Fast drei Tage lang, immer wieder unterbrochen von einigen Stunden Stille.
Die Armbrust
Eine selbst gebastelte und funktionstüchtige Armbrust war, wie wir erfuhren, bei einer Durchsuchung in Shortys Zelle gefunden worden. Einige Tage später wurden Bedienstete beobachtet, die im Gefängnishof einen in mehrere Metern Höhe im Putz steckenden Pfeil fotografierten. In seiner Bastelfreude war Shorty auf die Idee gekommen, es wäre der passende Zeitpunkt eine Armbrust aus Stabilo-Stiften und einem Kondom zu basteln. Die Anstalt fand das dann nicht so lustig, zumal er in der Anfangszeit seiner Inhaftierung, er saß noch in Untersuchungshaft, an einer Geiselnahme beteiligt war.
Die anstaltsinterne Verlegung
Nach rund drei Tagen im ‚Bunker‘ wurde Shorty ins Hauptgebäude der Strafanstalt verlegt. Da er Sicherungsverwahrter ist und sich in der Vergangenheit schon Verwahrte gegen solche Praxis erfolgreich vor Gericht wehrten, war absehbar, dass er früher oder später wieder in der SV-Abteilung anstranden würde. Wie er uns dann vor einigen Tagen erzählte, kam er erst auf die Isohaft-Station der Strafanstalt, habe dort Nahrung und Trinken verweigert, sei von dort weiter gereicht worden auf die Krankenstation, bevor er schlussendlich im Iso-Trakt der SV landete. So kann er sich zumindest mit den anderen Sicherungsverwahrten am Fenster unterhalten, auch wenn er in seiner Zelle wenig mehr als einen Fernseher nicht besitzen darf, denn dort befindet er sich nach wie vor in strenger Einzelhaft.
Shorty, Fenrir, Slim- und die Selbstverteidigung
Schon um die Osterzeit 2020 kam es zu einem körperlichen Angriff an welchem zwei jüngere Sicherungsverwahre, Fenir und Slim (alle Namen geändert) beteiligt gewesen sein sollen: beide noch keine 40, schon lange Hafterfahrung hinter sich, durch die SV noch eine unabsehbare Zeit hinter Gittern vor sich, sollen zwei andere Sicherungsverwahrte in deren Zellen aufgesucht und dann körperlich attackiert haben. Weil man ihnen zudem einen versuchten Mord unterstellte, kamen sie für einige Monate in Untersuchungshaft.
Erst dieses Ereignis, und jetzt der Armbrustfund bei Shorty. Hier wie dort im Grunde eher destruktiv zu nennende Verhaltensmuster, welche von der Haftanstalt auf vertraute Weise, nämlich mit Repression, beantwortet wurde.
Allen drei Verwahrten ist neben dem eher noch jungen Alter, einem auffälligen spätadoleszenten Verhalten im Alltag (manche sprechen eher von pubertären Verhaltensweisen), einer langdauernden Inhaftierung, nämlich fast oder auch knapp mehr als 20 Jahren eine mit Händen greifbare Perspektivlosigkeit gemein. Und alle drei wollten unbedingt weg aus Freiburg, weg aus dem sarkastisch-zynisch als ‚Totenhaus‘ verschrienen Bereich der Sicherungsverwahrung. Nicht nur, weil hier jährlich insassen sterben, sondern weil die SV auch einer seelischen Gruft zu ähneln scheint. Fenrir und Slim zieht es in andere Bundesländer und Shorty möchte einen Versuch in einer psychiatrischen Anstalt wagen.
Es ist ein geradezu tragisches Moment, dass die Überlebensimpulse von Shorty, Fenrir und Slim jedoch zwangsläufig vom Justizapparat auf die erwähnte Weise beantwortet werden mussten. Denn solche sind es: Überlebensimpulse, Akte der Selbstverteidigung. Der, wenn auch destruktive Versuch, sich dagegen zu wehren als Subjekt ausgelöscht zu werden, und fürderhin als zu verwahrendes gefährliches Objekt dem Strafsystem zur Verfügung stehend, nur darauf zu warten älter zu werden. Mitarbeitende der Justiz werden eine solche Deutung vermutlich vehement bestreiten und auf die vielen ‚Therapieangebote‘ hinweisen, welche auch Shorty, Fenrir und Slim offen gestanden hätten. So dass auch allen Dreien zumindest die Perspektive, eines (fernen) Tages wieder in Freiheit zu gelangen offen gestanden habe und letztlich, zumindest theoretisch, weiterhin offen stehe.
Zum Gehorsamssubjekt
Um sich diese Optionen offen zu halten, hätten sie sich allerdings zu unterwerfen gehabt, sie hätten zu „Gehorsamssubjekten“ (Byung-Chul Han, „Psychopolitik“) werden müssen, wogegen sie sich mit jenen Mitteln welche ihnen vertraut erschienen, gewehrt haben. Und um so mehr sie sich verteidigen, umso mehr müssen sie leiden: Isolationshaft, Entzug eines Großteils ihrer persönlichen Habe; in Falle von Ferir und Slim zudem eine ekletante Verlängerung der sowieso unabsehbaren Dauer der Inhaftierung. Selbst wer sich unterwirft und das Los auf sich nimmt, sich als Gehorsamssubjekte einzuordnen, wird nicht zwangsläufig mit einer Freilassung belohnt. Im Gegenteil, mehr Insassen in der SV erleben, dass auch nach vielen Jahren therapeutischer Gespräche, Gruppen und Interventionen, die Entlassung aus der Haft in weiter Ferne liegt, denn es findet sich immer noch dieses oder jenes das der „therapeutischen Bearbeitung harrt. Je mehr sie sich anschmiegen an das Vollzugssystem, die Bediensteten hofieren, ihnen zu Gefallen sein wollen, um ihre Gunst wetteifern, um so mehr scheint deren ‚Ich‘ zu verlöschen.
Ein Prozess gegen welchen sich Shorty, Fenrir und Slim wehren und der Schule machen wird. Denn im Grunde jährlich treffen in den SV-Anstalten Menschen mit Ende 20, Anfang 30 ein, wo in früheren Jahren solche im Alter von über 50 oder jenseits der 60 anlandeten.
Ausblick
Die jüngeren Sicherungsverwahrten sind noch eher bereit sich zu verteidigen, wobei sie fast zwangsläufig auf das Verhaltensrepertoire zurückgreifen, das ihnen vertraut ist. Wie sollen sie es auch anders handhaben? Es ist schon schwer genug im Gefängnis zu sitzen, während die Strafe verbüßt wird, Aber vielen erscheint es zumindest noch irgendwie einsichtig, dass sich diese Gesellschaft des Mittels der Strafhaft bedient um begangene Straftaten zu ahnden (von Alternativkonzepten will ich heute gar nicht erst anfangen). Dieses Narrativ ist hier im Bereich der SV im Grunde täglich von den Insassen zu hören. Zu kippen beginnt es aber genau in dem Moment, in welchem die Strafe abgesessen ist und Mensch in der SV landet. Eingeführt mit Gesetz vom 24.11.1933 von den Nationalsozialisten, ermöglicht es die dauerhafte Inhaftierung auch nach Ende der Strafhaftzeit. Wenn es von Gerichten gebilligt wird: bis zum Tod!
Mit 29,30,35 oder 40 Jahren dann in eine SV-Anstalt aufgenommen zu werden, vor sich das Dunkel vieler Jahre, oder auch Jahrzehnte der Inhaftierung, darum wissend, dass die zugemessene Strafe verbüßt ist, lässt gerade die jüngeren Insassen rebellieren.
Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg
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