Quelle: contrainfo
Im letzten halben Jahr wir die Debatte um die Ausgabe der Rote Hilfe Zeitung zum Thema „Siegerjustiz“ mitverfolgt und uns zumindest in Gesprächen in unserem Umfeld daran beteiligt. Jetzt ist die Folgeausgabe mit klarem politischen Statement seitens der Roten Hilfe raus und wir wollen dazu ein paar abschließende Gedanken festhalten.
Der RHZ-Schwerpunkt und die (fehlende) Debatte
Ende 2016 brachte die Rote Hilfe Zeitung (RHZ) den Themenschwerpunkt “Siegerjustiz-Verfolgung und Deligitimierung eines sozialistischen Versuchs” raus, d.h. zur Verfolgung von DDR-Loyalen und anderen Ostdeutschen durch die BRD-Justiz nach 1990. Darin wird die DDR als „ein sozialistischer Versuch“ (Titel) und „Teil unserer Geschichte, unserer Kämpfe um eine freie Gesellschaft“ (S. 25) beworben. In vielen Nebensätzen und Untertönen wird das Bild der DDR als eines letztendlich zwar gescheiterten, aber prinzipiell zu unterstützenden sozialistischen Staates beschworen. Weder gibt es also auch bloß Ansätze einer Analyse der Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse in der staatskapitalistischen Diktatur DDR, noch wird die Verfolgung zahlreicher Freiheitsbewegungen durch den DDR-Staat erwähnt. Stattdessen kommen die Menschenschinder zu Wort: Es wird eine dreiseitige Rede des Staatsführers Erich Honecker unkommentiert abgedruckt und zwei ehemaligen Stasi-Obersten Raum gegeben. Die zwei Autoren Klaus Eichner und Karl Rehbaum waren im Auslandsnachrichtendienst der DDR „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA) des MfS tätig.
Und um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, heißt es gleich zu Beginn des Leitartikels (S. 24): „Es begann eine regelrechte Hexenjagd auf ungezählte Menschen, die in der DDR lebten, für sie arbeiteten, an ihrem Aufbau oder ihrem Schutz beteiligt waren. Und sie hält bis heute an. Minister_innen, Offiziere, Werksleiter_innen, Lehrer_innen, kleine und kleinste Funktionär_innen, einfache Mitglieder vor allem der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), Entscheidungstragende, Ausführende und Unbeteiligte wurden und werden juristisch, medial, diskursorisch, aber auch beispielsweise berufs- oder rentenrechtlich diffamiert, ausgegrenzt, gehetzt, angeklagt und manchmal auch verurteilt.“ Und am Ende des Artikels: „Daher gehört ihnen, genauso wie allen anderen von Repression betroffenen fortschrittlichen Kämpfer_innen in anderen Regionen, Epochen oder Bewegungen, unsere Solidarität.“ Klar kann man analysieren, wie der BRD-Staat gegen die Funktionäre und Unterstützer_innen des DDR-Regimes vorgegangen ist. Aber das Redaktionskollektiv macht weit mehr. Es ruft zur Solidarität mit Minister_innen, Offizieren, der Stasi („Menschen, die […] an […] ihrem Schutz beteiligt waren), Entscheidungstragenden und Ausführenden, Funktionär_innen usw. auf. Es stellt sich hinter ein System, das auf der staatlichen Unterdückung jeglicher Opposition und der staatlich organisierten Ausbeutung der Arbeiter_innen basierte und das zum Glück untergegangen ist, und hinter seine Täter_innen. Was nicht heißt, dass wir es heute besser finden – im Gegenteil!
Nach der Veröffentlichung wurde innerhalb, außerhalb und mit der Roten Hilfe rumdiskutiert. Ausführliche öffentliche Diskussionsbeiträge hat es vor allem aus Dresden gegeben und zwar von der Rote-Hilfe-Ortsgruppe Dresden, dem Anarchist Black Cross (ABC) Dresden und der feministischen Gruppe e*vibes. In all diesen Beiträgen wurde klar gemacht, dass die DDR-Propaganda der RHZ absolut inakzeptabel ist.
Rote Hilfe, linke Einheit und die Toleranz staatskommunistischer Propaganda
Die Rote Hilfe Ortsgruppe Dresden machte sich im Folgenden um eine Debatte innerhalb der Roten Hilfe stark, forderte eine Distanzierung vom Inhalt der Siegerjustiz-Ausgabe und schlug vor, eine Ausgabe der RHZ zum Thema Repression in der DDR zu gestalten. Von all dem wurde bis heute nichts erreicht.
Stattdessen veröffentlichte der Vorstand der Roten Hilfe am 3. Februar 2017 seinen Standpunkt zur Debatte und hat es damit im Grunde nur noch schlimmer gemacht. Kurz gefasst: Während der Diskussion zum Thema habe es im Vorstand von Ablehnung bis Begeisterung über den Themenschwerpunkt alle Haltungen gegeben. Das sei nicht verwunderlich, schließlich sei die RH eine „strömungsübergreifende Organisation“. Der Vorstand habe auch nicht vor, eine Meinung zum Thema zu entwickeln. Und er werde sich nicht vom Themenschwerpunkt distanzieren. Dann plötzlich: Die RH unterstütze „Gefangene und Kriminalisierte […], wenn sie aufgrund ihres linken Selbstverständnisses angegriffen werden“. Man könne ja die DDR kritisieren, aber es gehe doch darum, „was im Vordergrund steht, wenn Genoss*innen aufgrund ihrer politischen Identität und ihrer Aktivitäten von der BRD-Justiz kriminalisiert werden“. Und zuletzt: Die DDR sei – so auch der Titel der Stellungnahme – „in jeder Hinsicht ein Teil linker Geschichte“.
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