Bei einer Personalienkontrolle am Giesinger Bahnhof, im Juni 2016, wurden zwei Leute von den Bullen festgenommen. Der einen Person wird vorgeworfen, die anarchistische Straßenzeitung Fernweh verteilt zu haben, der anderen, diese „vorrätig gehalten zu haben“. Die Anklage im Strafbefehl lautete in einem Fall: „Billigung und Belohnung von Straftaten, Verstoß gegen das Pressegesetz und Volksverhetzung“, im anderen Fall „Verstoß gegen das Pressegesetz und Volksverhetzung“. Beide Personen legten Widerspruch dagegen ein und es kam zum Prozess, in dem natürlich beide vom Amtsgericht in allen Anklagepunkten zu nicht wenigen Tagessätzen Geldstrafe verurteilt wurden. Dagegen legten wieder beide Widerspruch ein. Ein weiterer Gerichtstermin ist noch nicht bekannt.
Es geht hier nicht um den Konflikt zwischen Einzelpersonen und dem den Staat, sondern um einen ganz konkreten Versuch der Bullen und Staatsanwaltschaft, Leuten einen Maulkorb anzulegen und den Boden dafür zu bereiten, Äußerungen (schriftlich oder mündlich), die sich gegen den Staat, gegen Autoritäten, gegen Nazis, gegen Bullen richten härter zu unterdrücken. Immer mehr entblößt sich dabei die ach so hoch geschätzte demokratische Meinungsfreiheit als das, was sie immer schon war: das Zuckerbrot für all die gehorsamen Lämmer, die glauben im besten aller möglichen Systeme zu leben und die alles sagen können, weil sie nichts „Falsches“ zu sagen haben. Für diejenigen, deren Vorstellungskraft und Fähigkeit zu Träumen noch nicht abgetötet wurde und die weiterhin die Demokratie und jede Form der Herrschaft entschlossen angreifen – sei diese nun demokratisch oder faschistisch, religiös oder weltlich – werden die Gesetze der Demokratie sicher nicht viel übrig haben. Das ist kaum eine Überraschung.
Trotzdem ist es für alle, die die Idee wirklicher Freiheit noch nicht aufgegeben haben, wichtig, solche Urteile auf keiner Ebene zu akzeptieren, da sie den Grundstein für immer mehr Repression gegen Feinde der Autorität und die Verringerung der Möglichkeiten hier zu agitieren legen.
Im aktuellen Urteil wird die „Billigung und Belohnung von Straftaten“ damit begründet, dass die Zeitung über die Brandstiftung an einem Transporter von Pegida (aus dem Internet übernommen) berichtet und, dass dies einen „notwendigen, längst fälligen Schritt auf faschistische Strukturen markiere“ und dass „rassistische Akteure und Hetzer direkt angegangen werden müssten, egal ob bei Tag oder bei Nacht.“
Der Paragraph der Volksverhetzung, der auf einen Absatz in der Zeitung angewendet wird, in dem die Bullen als „Bullenschweine“ bezeichnet werden und eine Situation geschildert wird, in der Leute zweier Konfliktparteien „den äußerst intelligenten Schluss fassten“ sich gegen die eintreffende Polizei zu vereinigen. Und sich schließlich mit körperlicher Gewalt gemeinsam gegen diese wehrten.
Jetzt kommt’s (aus dem Urteil): „Es wird nicht nur zu Willkürmaßnahmen gegen die Polizei aufgefordert, sondern die Gruppe der Polizeibeamten zugleich als auf der Stufe von Tieren siedelnd und ohne das Recht, als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gemeinschaft zu leben, dargestellt. Die Verbreitung dieser Äußerungen ist geeignet, den öffentlichen Frieden in der Bundesrepublik zu stören.[…] In dieser Kombination, in der Polizisten verächtlich dargestellt werden und zu Hass, Beleidigung und auch Gewalt gegen sie aufgerufen wird, ist die Menschenwürde der Gruppe herabgewürdigt.“ = Volksverhetzung. Dieser Paragraph ist bewusst so formuliert, dass solche schriftliche Aussagen nicht mal in der Öffentlichkeit kundgetan werden müssen. Es genügt, diese Zeitungen „vorrätig gehalten zu haben“ in einer geschlossenen Tasche.
Der Vorwurf des Verstoßes gegen das Pressegesetz kommt so zustande, dass behauptet wird, das Impressum wäre nicht vollständig gewesen (Drucker und Verleger fehlten). Wenn Name, Anschrift, Druckerei und Verleger auf einem Papier stehen, das in der Öffentlichkeit auftaucht (oder in einer Tasche aufbewahrt ist), bedeutet das eigentlich, dass nicht die Person, die es besitzt, für den Inhalt verantwortlich gemacht werden kann.
Das Gericht ist zwar kein Ort, an dem viel gewonnen werden kann, trotzdem dürfen Versuche, Leute einzuschüchtern und mundtot zu machen, nicht so einfach hingenommen werden. Wenn das Urteil der Volksverhetzung in diesem Fall bestehen bleibt, wird jedes Gericht es in zukünftigen Fällen heranziehen, sobald eine Autorität als Schwein bezeichnet wurde und über Gewalt gegen Autoritäten berichtet wurde.
Solche Urteile lassen sich auch ganz gut in die neue Gesetzgebung einbetten, die nicht nur auf Bestrafung abzielt, sondern auf die Anwendung neuer Repressionsmethoden bei Leuten, die „den öffentlichen Frieden stören oder bedrohen“, in Form von Integrationskursen und dem präventiven Tragen der Fußfessel.
Die repressiven Maßnahmen des Staates ziehen sich immer enger, es liegt an allen, sich dem zu widersetzen!